Der Koalitionsvertrag von SPD und Union steht. Die Gesetzgebung soll anders werden, strukturierter und innovativer. Auch für Zivil-, Straf- und Verwaltungsgerichte hat Schwarz-Rot Pläne. Zwei andere wichtige Themen für Juristen aber finden sich gar nicht.
Nach wochenlangen Verhandlungen haben SPD und Union am Mittwoch den Koalitionsvertrag vorgestellt. "Hinter uns liegt ein hartes Stück Arbeit, aber vor uns liegt ein starker Plan, mit dem wir unser Land gemeinsam wieder nach vorn bringen können", sagte der designierte Kanzler Friedrich Merz (CDU) bei der Pressekonferenz.
Eine "echte Staatsreform" wollen CDU, SPD und CSU auf den Weg bringen. Noch in 2025 sollen u.a. eine "ambitionierte Modernisierungsagenda für Staat und Verwaltung" und ein "Effizienzfonds" dabei helfen, den Staat nutzerfreundlicher für seine Bürgerinnen und Bürger zu gestalten.
In den Plänen finden sich auch mehrere Ideen für eine bessere Gesetzgebung: Gute Gesetzgebung sei gründlich, integrativ und transparent, heißt es. Das Recht müsse verständlich und digitaltauglich sein: "Erst der Inhalt, dann die Paragrafen".
In der Frühphase von Gesetzgebungsverfahren sollen dafür Praxischecks stattfinden. Betroffene und Vollzugsexpertinnen und -experten aus Bund, Ländern und Kommunen sollen mit angemessenen Fristen beteiligt werden. Nicht zuletzt Verbände, die über Jahre zu kurze Fristen moniert hatten, dürfte es freuen: Die Beteiligungsfristen werden definiert, wenn auch nur "in der Regel": vier Wochen.
Messbare und innovativ: Erfolgsziele und Reallabore für Gesetze
Gesetzentwürfe sollen laut dem gemeinsamen Papier Visualisierungen von Organisationsstrukturen, Prozessabläufen und Wirkungsmodellen enthalten. Der Wirkungsgrad von Gesetzen soll nachprüfbar werden und Erfolgsindikatoren etabliert werden, an denen Gesetzesvollzug später gemessen wird.
In neuen und alten Gesetzen will die künftige Koalition Öffnungs- und Experimentierklauseln einfügen, Reallabore und Abweichungsrechte sollen Innovation fördern und so die Gestaltungsmöglichkeiten aller Verwaltungsebenen von Bund bis Kommune stärken. Ein Bundesexperimentiergesetz ist angedacht.
Auch die Grundeinstellung in der Verwaltung soll sich ändern. Neben strukturellen Maßnahmen wie der Bündelung in Service-Einheiten, Prozessautomatisierung und Personalabbau soll unter anderem das öffentliche Dienstrecht um leistungsorientierte Komponenten erweitert werden. Die Beurteilung im öffentlichen Dienst soll um Kriterien wie "lösungsorientierte Vorgehensweise" und "Ausschöpfung bestehender Beurteilungs- und Ermessensspielräume" ergänzt werden.
Justiz: Bessere Digitalisierung inklusive KI, besserer Zugang zum Recht
Neue Arbeitsweisen wollen die Koalitionäre auch in der Justiz. Ein neuer Pakt für den Rechtsstaat aus drei Säulen soll die Qualität der Rechtsprechung sichern und schnelle Entscheidungen ermöglichen: eine bessere (nicht nur mehr!) Digitalisierung, schlankere und schnellere Verfahrensabläufe und mehr Personal.
Dafür will der Bund Standards für die digitale Dokumentenübermittlung einschließlich Behördenakten an Gerichte und Staatsanwaltschaften festlegen. Gemeinsam mit den Ländern will er die schon länger angedachte Bundesjustizcloud umsetzen. Ein Justizportal soll kommen, mit einer Kommunikationsplattform, einem Vollstreckungsregister und weiteren, teilweise schon angelaufenen oder zumindest in der Testphase befindlichen Bürgerservices wie zum Beispiel die digitale Rechtsantragsstelle, aber auch der Zugang zum digitalen Rechtsverkehr für Bürgerinnen und Bürger und kleine Unternehmen. Ein "Robojudge" soll nach der Vorstellung von Union und SPD nicht kommen, sehr wohl aber KI in der Justiz zum Einsatz kommen.
Die Justiz in der Fläche will Schwarz-Rot "festigen" und durch eine "deutliche Erhöhung des Zuständigkeitsstreitwertes" die Amtsgerichte stärken. Ob das über die schon von der Ampelkoalition geplante, der Diskontinuität zum Opfer gefallene 8.000-Euro-Streitwertgrenze hinausgeht, ergibt sich aus dem Papier nicht. Auch die Rechtsmittelstreitwerte sollen erhöht werden.
Verfahrensrecht: Das soll sich ändern in ZPO, StPO und VwGO
Offenbar über alle Gerichtszweige hinweg soll aber der Zugang zur zweiten Tatsacheninstanz begrenzt werden - um die Verfahrensdauer zu verkürzen, wie es im Koalitionsvertrag heißt. Auch Präklusionsfristen will Schwarz-Rot ausweiten. Die Verfahrensordnungen wollen CDU, SPD und CSU "in das digitale Zeitalter übersetzen", damit Verfahrensplattformen Akten ersetzen und digitale Beweismittel aufnehmen können.
Zur Modernisierung der ZPO will die neue Bundesregierung nach eigenen Angaben die Vorschläge der BMJ-Reformkommission "Zivilprozess der Zukunft" auf- und weitere Maßnahmen zur Bewältigung von Massenverfahren ergreifen. Auf Bundesebene sollen Rechtsgrundlagen für Möglichkeiten der richterlichen Verfahrensstrukturierung geschaffen werden, etwa durch frühzeitige Verfahrenskonferenzen oder Vorgaben zur Strukturierung des Parteivortrags. Schätzungs- und Pauschalierungsbefugnisse – wohl für die Richterinnen und Richter – sollen gestärkt werden. Außerdem soll in der Zivilgerichtsbarkeit ein Online-Verfahren eingeführt werden.
Die StPO, deren letzte geplante Reform vor allem wegen der Pläne zur Dokumentation der Hauptverhandlung in einem quälend langen Prozess schließlich zwischen den Ampelkoalitionären versandete, wollen auch die neuen Koalitionäre umfassend überarbeiten. Dafür soll aber erst einmal eine "Kommission aus Wissenschaft und Praxis unter Beteiligung der Länder" eingesetzt werden. Ein Fokus der konservativ-sozialdemokratischen Regierung liegt dabei offenbar auf dem Opferschutz.
Auch in der VwGO soll es Neuerungen geben, unter anderem mehr Einsatz von Einzelrichtern und -richterinnen. Die Einführung von Pilotverfahren will die neue Koalition prüfen. Eine offenbar dem erforderlichen Kompromiss geschuldete Formulierung findet sich zu den Verfahrensmaximen im Verwaltungsverfahrensrecht: "Verwaltungsgerichte sollen sich unter Beibehaltung des Amtsermittlungsgrundsatzes künftig stärker auf den vorgebrachten Parteivortrag und auf eine Rechtmäßigkeitsprüfung konzentrieren."
Das fehlt: Reform der Juristenausbildung, anwaltliches Berufsrecht
Die Wünsche, die zwei andere juristische Berufsgruppen an den Gesetzgeber formuliert hatten, haben es jedenfalls in den Koalitionsvertrag als große Leitlinie nicht geschafft. In dem 146-seitigen Dokument findet sich zu einer Reform der Juristenausbildung, die zuletzt mehrere juristische Verbände im Zusammenschluss gefordert hatten, kein Wort.
Auch Forderungen aus der (Syndikus-)Anwaltschaft zum anwaltlichen Berufsrecht, zum Beispiel für Sozietätswechsel, aber auch für eine Ausweitung des Legal Privilege inklusive Beschlagnahmeverbot und Zeugnisverweigerungsrecht auch bei internen Untersuchungen, werden im Dokument nicht erwähnt.