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Wissenschaftsfreiheit von der Gewerkschaften Gnaden?

Professor Dr. Jörn Axel Kämmerer, Hamburg

12/2023

Editorial 12-2023 KämmererWas ist der Ampel-Regierung die Freiheit der Wissenschaft wert? Nicht genug, befanden bereits im März die Freiburger Professoren Ralf Poscher und Andreas Voßkuhle angesichts von Plänen des Bundesarbeitsministeriums (BMAS), eine alle Beschäftigungsbereiche, auch Universitäten, erfassende Verpflichtung zur Dokumentation geleisteter Arbeitszeit einzuführen (FAZ v. 25.3.2023, S. 11; s. auch Brors NZA 2023, 670). Sie warnten, dass Deutschland, wenn Streben nach wissenschaftlicher Erkenntnis dem Gesetz der Stechuhr unterworfen werde, als Wissenschaftsstandort bald am Ende sei. Das von solchen Szenarien unbeirrte BMAS hat mit einem wenig später, am 18.4., vorgelegten Referentenentwurf seinen Willen zur umfassenden Dokumentationspflicht bekräftigt, erklärt sich aber scheinbar zu einer Konzession bereit. Denn bei „Führungskräften, herausgehobenen Experten oder Wissenschaftlern“ gestehe Art. 17 I der Arbeitszeit-Richtlinie 2003/88 den Mitgliedstaaten Ausnahmen zu. Obwohl sie nach Art. 17 II der Richtlinie durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder auf tarifvertraglichem Wege statuiert werden dürften, will der Entwurf für § 16 VII Nr. 3 ArbZG nur Letzteres akzeptieren und erklärt dazu: „Aufgrund ihrer Sachnähe können die Tarifvertragsparteien oder auf Grund eines Tarifvertrags die Betriebspartner festlegen, für welche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die Voraussetzungen zutreffen.“

Die Begründung für die behauptete Sachnähe bleibt der Entwurf schuldig, und der Eindruck, dass das Ministerium mit derlei vor allem den Gewerkschaften gefällig sein will, drängt sich auf. Selbst wenn Tarifpartnern tieferes Verständnis für „academia“ zuzutrauen wäre, würde es sich schwerlich in besonderer Rücksichtnahme für Hochschulen widerspiegeln – warum auch, wenn die meisten Lehrstühle und wissenschaftlichen Leitungsposten mit beamteten Frauen und Männern besetzt sind, die zwar unter die Richtlinie fallen, dem Arbeitszeitgesetz aber nicht, auch keinem Tarifvertrag, und deren Belangen das Beamtenrecht gewiss Rechnung tragen wird? Bei den Angestellten des sogenannten akademischen Mittelbaus kann Schutz vor Ausbeutung Dokumentationsanliegen rechtfertigen. Auf Regeln, die ihm Schutz und Autonomie zugleich vermitteln, wird sich der wissenschaftliche Nachwuchs indes kaum hoffen können, schon weil es ihm an der starken Lobby fehlt. Und was ist mit den gar nicht wenigen Professorinnen und Professoren, die an privaten Hochschulen forschen und lehren? Der Entwurf nimmt auf sie nicht nur keine Rücksicht, sondern straft diese Hochschulen und ihre Wissenschaftler geradezu ab. Denn dass private Hochschulen – aus unterschiedlichen Gründen – der Tarifbindung zumeist abhold sind, ist kein Geheimnis.

Wenn es vom Wohlwollen der Tarifpartner und insbesondere der Gewerkschaften abhängt, ob und wie sich Wissenschaft entfalten kann, droht nicht nur eine Verletzung der Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 III GG). Um diese Entfaltung wie bisher ermöglichen zu können, werden Hochschulen faktisch zudem gezwungen, sich im Widerspruch zu Art. 9 III GG, der auch die negative Koalitionsfreiheit garantiert, einem Tarifvertrag zu unterwerfen, freilich ohne Erfolgsgarantie. Auch private Forschung und Lehre verdient Respekt und Rücksichtnahme und damit eine ihren Belangen gerecht werdende gesetzliche Öffnungsklausel. Wer vor die Wahl gestellt wird, ob er der Wissenschaftsfreiheit oder der Koalitionsfreiheit absagen will, hat das Ticket nach Karlsruhe schon so gut wie gelöst.

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