Rechtsanwalt Professor Dr. Ludger Giesberts, LL.M. (LSE), Köln
Der Den Haager Court of Appeal hat nun mit Urteil vom 12.11.2024 (Az: 200.302.332/01) auf Berufung der Shell PLC das erstinstanzliche Urteil aufgehoben. Stellt die Entscheidung nun – wie vielfach angenommen – einen Rückschlag für den Klimaschutz dar? Das Gericht sieht keinerlei konkrete Verpflichtung für Shell, CO2 Emissionen um 45 % oder um einen anderen Prozentsatz zu reduzieren. Hauptgrund: Shell sei im Falle der Scope 1 und 2 Emissionen auf einem guten Weg, weil bereits Maßnahmen getätigt wurden und das Unternehmen bis 2030 eine Reduzierung von 50 % erreichen wolle. Bei Scope 3 Emissionen ergebe sich eine konkrete Reduktionsverpflichtung für einzelne Unternehmen weder aus der existierenden Klimagesetzgebung noch aus der verfügbaren Klimawissenschaft. Die Vorinstanz hatte die aus dem Völkerrecht (UNGP) ins niederländische Recht transportierte Sorgfaltsverpflichtung – den Schutz von Menschenrechten – durch Unternehmen angeführt. Dieses Prinzip forme u.a. den niederländischen, ungeschriebenen „standard of care“, der die Verpflichtung von Shell zur Emissionsreduzierung begründe. Die Berufungsinstanz bejahte zwar diesen völkerrechtlichen Einfluss, nahm daraus aber keine konkrete Verpflichtung für Shell an. Eine solche Verpflichtung auf einen bestimmten Prozentsatz sei nach dem Berufungsgericht bei Scope 3 Emissionen auch wenig effektiv: Wenn Shell hier weniger Öl und Gas fördere und verkaufe, würden andere Unternehmen in diese Lücke springen. Der Autofahrer tanke dann eben an anderen Tankstellen und es käme zu keiner Emissionsreduzierung. Für den Klimaschutz sei nichts gewonnen.
Ganz ohne Verpflichtung haben die Den Haager Richter Shell jedoch nicht gesehen: Den Schutz vor den schädlichen Folgen des Klimawandels sieht das Gericht als ein Menschenrecht an. Unternehmen wie Shell seien verpflichtet, solche Rechte zu wahren und sich für den internationalen Klimaschutz einzusetzen. Das Gericht spricht von einer horizontalen Wirkung der Grundrechte zwischen Privaten. Offen bleibt, ob diese Verpflichtungen rein objektive Pflichten sind oder Rechtspositionen, die auch Dritten Klagerechte – in welchem Umfang auch immer – vermitteln. Die Ausführungen des Berufungsgerichts dürften für die erste Betrachtung sprechen. Diese Frage avanciert zu einer der Kernfragen von Klimaklagen – wie auch das Urteil des EGMR vom 9.4.2024 (NVwZ 2024, 979) gezeigt hat. Letztendlich wird das Revisionsgericht entscheiden, ob und in welchem Umfang das Urteil des Berufungsgerichts Bestand haben kann. Unabhängig davon, bleibt indes festzuhalten, dass eine etwaige, für die Kläger negative, finale Entscheidung nicht zum befürchteten Rückschlag für den Klimaschutz führen wird. Wohl und Wehe des Klimaschutzes hängen nicht vom Erfolg vor Gericht ab. Klimaschutz ist nämlich Sache des Gesetzgebers. Nur er kann selbstinitiativ allgemeingültige kohärente Maßnahmen erlassen, um den Klimaschutz voranzutreiben, während Gerichte auf Anruf lediglich punktuelle Lösungen in Zwei- oder Mehrpersonenverhältnissen anbieten können.