Die Kritik an der Juristenausbildung reißt nicht ab. Doch trotz vieler Initiativen ändert sich bisher nichts. Die "Gesellschaft für Didaktik der Rechtswissenschaft" will laut Initiator Julian Krüper die Debatte professionalisieren und ein Forum für die juristische Lehre werden, ganz ohne Aktivismus.
beck-aktuell: Am Donnerstag wird die Gesellschaft für Didaktik der Rechtswissenschaft gegründet, Sie sind einer der Mitinitiatoren. Lassen Sie uns einmal vorne anfangen: Wie entstand die Idee?
Krüper: Die Idee entstand im Herausgeberkreis der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft, deren Mitherausgeber ich bin. Zuerst ganz informell. Wir hatten den gemeinsamen Wunsch, die verschiedenen Stakeholder, die sich mit der Juristenausbildung und ihrer Reform befassen, zusammenzubringen. Denn es gibt zwar eine ganze Reihe von Initiativen an verschiedenen Standorten und mit ganz verschiedenen Ansätzen. Aus unserer Sicht fehlte aber eine gewisse Institutionalisierung – und ja, auch Professionalisierung der Debatte. Dafür wollen wir ein Forum bieten und das versuchen wir mit dieser Gesellschaft zu erreichen.
Wir haben dann im Juni 2024 einen Aufruf gestartet, viele Kolleginnen und Kollegen, Universitäten und Hochschulen angeschrieben, und wir freuen uns sehr, dass wir fast 300 Interessensbekundungen bekommen haben. Eine doch recht stattliche Zahl, die uns zeigt, dass das Thema nicht nur eine Handvoll Menschen interessiert. Deshalb werden wir die Gesellschaft am morgigen Donnerstag offiziell – in der Rechtsform eines Vereins – im Rahmen einer Fachtagung in Bochum gründen.
"Die Rechtswissenschaft hat großen Nachholbedarf"
beck-aktuell: An wen richtet sich die Arbeit der Gesellschaft und wer soll ihr zukünftig angehören können?
Krüper: Die Gesellschaft soll all denjenigen offenstehen, die beruflich mit der Juristenausbildung zu tun haben. Das kann die Hochschullehrerin sein, der Leiter eines Justizprüfungsamts – und es gibt auch die Möglichkeit kooperativer Mitgliedschaften, z.B. für Richter- oder Anwaltsorganisationen oder auch für die Kammern und andere Vereine und Verbände. Mit ihrer Arbeit richtet sich die Gesellschaft wiederum an alle, die institutionell mit der Juristenausbildung befasst sind: die einzelnen Hochschullehrer, Referendarausbilder, die juristischen Fakultäten, die Justizministerien der Länder und auch die Berufsverbände. Aber wir werden natürlich auch Angebote für unsere Mitglieder haben.
beck-aktuell: Was ist das Ziel der Gesellschaft?
Krüper: Die Gesellschaft versteht sich als eine wissenschaftliche Fachgesellschaft. Mir persönlich ist das auch sehr wichtig, denn ich finde, dass die Reflexion über didaktische Fragen Teil der wissenschaftlichen Disziplin sein sollte – eine Art Grundlagenfach. In anderen Disziplinen – etwa in der Medizin – ist es ganz selbstverständlich, dass man sich reflektierend mit der Lehre auseinandersetzt. Da hat die Rechtswissenschaft großen Nachholbedarf.
Wir wollen den Diskurs um die Juristenausbildung zusammenführen und weiterentwickeln. Dabei geht es einerseits darum, die Lehre konkret zu verbessern, aber auch darum, didaktisch grundierte Reformvorschläge zu entwickeln. Wir befinden uns aktuell noch in der Gründungsphase, aber grundsätzlich wollen wir regelmäßig Tagungen veranstalten und Fortbildungsangebote für Mitglieder machen. Wir werden eigene Reformprojekte anstoßen und Vorschläge entwickeln. Außerdem wollen wir Ansprechpartner sein für die Ministerien der Länder und auch ein Knotenpunkt für die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen, etwa der Hochschulforschung und der psychologischen Bildungsforschung. Wir haben auch darüber nachgedacht, einen Lehrpreis zu vergeben – das muss aber natürlich noch organisiert werden.
"Der Diskurs hat sich verzettelt und das ist ein Problem"
beck-aktuell: Trotz jahrelanger Debatten ist eine grundlegende Reform des Jurastudiums bisher ausgeblieben. Woran krankt die Reform-Diskussion?
Krüper: Dass die große Reform bisher ausgeblieben ist, hat meines Erachtens verschiedene Gründe. Ich schaue jetzt mal nur auf die universitäre Juristenausbildung. Wir dürfen natürlich nicht unterschlagen, dass auch die Hochschulen in hohem Umfang und sehr hoher Qualität Rechtsausbildung betreiben. Aber bei der universitären Juristenausbildung ist ein großes Problem das Auseinanderfallen von Ausbildungsbetrieb und Prüfungsbetrieb. Das heißt: Diejenigen, die die Ausbildung verantworten, sind nicht dieselben, die das Staatsexamen verantworten. Das hat den Nachteil, dass sich die juristischen Fakultäten aus der Frage der didaktischen Verantwortung weitgehend zurückgezogen haben und die Prüfungsämter dafür nicht zuständig sind. In der Folge sprechen sehr viel über das Examen, aber über die vier, fünf Jahre bis dahin so gut wie gar nicht. Es gibt keinen produktiven, strukturierten Austausch zwischen den Prüfungsämtern und den Fakultäten.
Daran krankt auch die aktuelle Reformdiskussion. Viele sind zu Recht unzufrieden. Es gibt zahlreiche Initiativen, die Effektivitätsmängel, Strukturmängel und inhaltliche Defizite beklagen. Aber sie nehmen einander kaum wahr. Immer wieder tauchen neue Initiativen auf, was begrüßenswert ist, aber es gibt wenig wechselseitigen Austausch. Der Diskurs droht sich zu verzetteln und es fehlt ihm eine gemeinsame sachliche Grundlage und das ist ein Problem.
beck-aktuell: Was sind aus Ihrer Sicht die drängendsten Themen bei der Jura-Ausbildung?
Krüper: Vielen der Initiativen ist zu Recht daran gelegen, den akuten Druck zu lindern. Das sind etwa die Diskussionen um Ruhetage, um die E-Klausur und darüber, ob man Kommentare benutzen dürfen sollte. Das ist verständlich – die Belastungen sind für unsere Studierenden zum Teil schon hoch. Ich persönlich halte diese Fragen aber eher für Nebenkriegsschauplätze. Auch der juristische Bachelor ist nur Kurieren am Symptom, so sehr er auch unter den gegebenen Umständen einen Sinn hat. Man müsste aber doch grundsätzlicher anfangen.
Ein Thema, das mich persönlich sehr umtreibt, ist die Reform des Curriculums. Zum einen die Inhalte – das ist ein ewiger Streitpunkt in der Juristenausbildung. Es gelingt seit Jahrzehnten nicht, die Curriculumsinhalte auszudünnen, obwohl das dringend nötig wäre. Zum anderen ist das aber auch die Curriculumsstruktur: Was wird wie in welchen Formaten gelehrt? Das sind z.B. Fragen der Digitalisierung der Lehre, der Mediendidaktik und der Prüfungsformate. Hier ist die Frage: Welche Lernziele verfolgt man eigentlich mit einem Curriculum? Im Moment reden wir über diese Themen auf einem ganz naiven und oberflächlichen Niveau. Ich glaube, dass es da ganz dringend eine tiefergreifende Diskussion braucht.
"Wir sind kein Bündnis von Aktivisten"
beck-aktuell: Nach der Gründung, was steht zuerst auf der Agenda der Gesellschaft?
Krüper: Ein Punkt wird sicher sein, Mitglieder zu gewinnen. Die Gesellschaft für Medizinische Ausbildung, also die Parallelgesellschaft aus dem medizinischen Bereich, hat über 1.000 Mitglieder – davon träumen wir aktuell noch. Aber es wird natürlich darum gehen – und das ist ganz banal –, finanzielle Ressourcen für den Verein zu generieren. Organisatorisch wird viel zu tun sein.
Inhaltlich werden wir erst einmal die Themen sondieren: Wir haben in aller Breite Themen gesammelt, die in der aktuellen Diskussion vorkommen. Daraus werden wir Arbeitsschwerpunkte bilden, abhängig auch von den Interessen der Mitglieder. Diese gilt es dann in Formate zu übersetzen, seien es Workshops, öffentliche Veranstaltungen oder Kooperationsformate mit den bestehenden Reforminitiativen.
Was mir ganz wichtig ist: Wir sind kein Bündnis von Aktivisten. Wir wollen diese Fragen aus der Logik des Fachs heraus diskutieren und wissenschaftlich behandeln. Es gibt eine kritische Masse von Stimmen, die zu der Reformdebatte beitragen, aber diese müssen vernetzt werden. Der juristische Wissenschaftsbetrieb muss Position beziehen und wir hoffen, dass die Gesellschaft für Didaktik der Rechtswissenschaft dazu einen Beitrag leisten kann.
Prof. Dr. Julian Krüper ist Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Verfassungstheorie und interdisziplinäre Rechtsforschung an der Ruhr Universität Bochum und Mitherausgeber der Zeitschrift für Didaktik der Rechtswissenschaft und Herausgeber des Handbuchs "Rechtswissenschaft lehren". Er ist einer der Initiatoren der Gesellschaft für Didaktik der Rechtswissenschaft.
Die Fragen stellte Denise Dahmen.