Redaktion beck-aktuell, Prof. Dr. Joachim Jahn ist Mitglied der NJW-Schriftleitung
Manche Politiker, Wissenschaftler und Praktiker meinen: Gesetzgeber und BVerfG haben unseren Sicherheitsbehörden zu sehr die Hände gebunden. Zugleich kamen aus ihren Reihen bei einer Veranstaltung der Konrad-Adenauer-Stiftung Warnungen vor einem Verbotsantrag gegen die AfD.
Das Sicherheitspaket der nun zerbrochenen Ampelkoalition ist hinter seinen eigenen Erwartungen zurückgeblieben. Das meint zumindest Felor Badenberg, die inzwischen in die CDU eingetretene Justizsenatorin von Berlin und vormalige Vizepräsidentin des Bundesamts für Verfassungsschutz. Vielmehr sei es ein "Sicherheitspäckchen", das Sicherheit bloß verspreche, sagte Badenberg am Freitag auf einer Veranstaltung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung in der Bundeshauptstadt. Immer noch fehlten den Sicherheitsbehörden die nötigen Instrumente, kritisierte sie mit Blick auf die rechtsextremistischen und islamistischen Terroranschläge von Hanau, Halle und auf den Weihnachtsmarkt auf dem Berliner Breitscheidplatz. Die einstige Geheimdienstlerin vermisst etwa die biometrische Gesichtserkennung, mit der Journalisten die als mutmaßliche RAF-Terroristin gesuchte Daniela Klette im Internet gefunden hatten – mittels einer allgemein verfügbaren Software, die die deutsche Politik den Sicherheitsbehörden noch immer verweigere.
Badenberg nannte es ein wichtiges Anliegen, Anschläge schon im Vorfeld zu verhindern. So wünschte sie sich auch die vom EuGH inzwischen erleichterte Vorratsspeicherung von Verkehrsdaten, die bei der Telekommunikation anfallen. Einen 17-Jährigen aus Elmshorn, der einen Anschlag mit einem Lkw geplant haben soll, habe man beispielsweise nur mittels seiner IP-Adresse identifizieren können. "Der Hinweis darauf kam wie so oft aus dem Ausland." Das Problem sei ein "enormes Misstrauen gegenüber Sicherheits- und Strafverfolgungsbehörden – dabei leben wir in einem Rechtsstaat".
Auch die Möglichkeit einer Überwachung von Telekommunikation bezeichnete die Justizsenatorin als "wahnsinnig wichtig": Die StPO-Befugnis dazu laufe heutzutage oft ins Leere, weil Messengerdienste wie WhatsApp Nachrichten von Ende zu Ende verschlüsselten. "Wir bekommen da nur geschwärzte Seiten übermittelt." Aus ihrer Sicht hat sich die Rechtslage noch nicht an das angepasst, was in Zeiten der Festnetz-Telefonate wie selbstverständlich als erlaubt galt. Ein weiteres Defizit sieht die Justizsenatorin bei Verboten rechtsextremer Vereinigungen mit völkischem Verständnis: "Stattdessen schwadroniert man über ein AfD-Verbot, obwohl lediglich drei ihrer Landesverbände als gesichert rechtsextremistisch eingestuft sind."
Nur mit Hilfe befreundeter Nachrichtendienste
Die Bedrohungslage im In- und Ausland nehme permanent zu, warnte auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries, zugleich Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr), das die Nachrichtendienste des Bundes – den Bundesnachrichtendienst (BND), den Militärischen Abschirmdienst (MAD) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) – überwacht. Die Rechtsprechung des BVerfG schränke deren Befugnisse immer weiter ein. "Wenn wir so weitermachen, werden wir die Sicherheit der Bürger nicht garantieren können." Durch die Karlsruher Hürden für das Abhören sogar von Ausländerinnen und Ausländern im Ausland blieben viele Gruppen und Einzeltäter unter dem Radar der Sicherheitsbehörden, "wenn uns befreundete Nachrichtendienste mit ihren weitergehenden Befugnissen nicht zur Seite sprängen". Die "Zeitenwende" sei in weiten Teilen von Politik und Verfassungsgericht noch nicht angekommen: "Datenschutz wird zum Täterschutz, wenn wir das so weitertreiben." Den Karlsruher Richtern und Richterinnen empfahl er, doch einmal zwei Wochen lang in einem der deutschen Nachrichtendienste zu hospitieren.
Luca Manns von der "Forschungsstelle Nachrichtendienste" an der Universität Köln beklagte zudem eine immer weitergehende "Zerfaserung" der Karlsruher Rechtsprechung, die in der Praxis kaum noch nachvollziehbar sei. Schließlich gelte seit dem sogenannten Polizeibrief der Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg das Trennungsgebot, das Geheimdienstlern exekutive Befugnisse verbiete. In den Anfangsjahren der Bundesrepublik habe es allerdings dennoch Fälle gegeben, in denen Verfassungsschützer bei Verhören und Verhaftungen in Sachen Spionage oder Terrorismus noch selbst mitgemischt hätten. Manns unterstrich: "Die Musik spielt heutzutage beim informationellen Trennungsgebot" – also den Hürden für die Übermittlung geheimdienstlicher Erkenntnisse an Polizeibehörden.
"24 Anschläge verhindert"
Marc Hallensleben vom BKA lobte immerhin die drei gemeinsamen Plattformen zum Austausch von sage und schreibe 40 Bundes- und Landesbehörden, die nach Terrorakten geschaffen wurden. Nun koche nicht mehr jede Behörde "ihr eigenes Süppchen", sondern habe mit regelmäßigen Lagebesprechungen 24 Anschläge auf deutschem Boden verhindert. Weniger optimistisch zeigte sich Tobias Engelstätter von der Bundesanwaltschaft. Der Oberstaatsanwalt zeigte anhand von Beispielen wie dem der mutmaßlichen Linksextremistin Lina E., die zusammen mit Komplizen Rechtsextreme und Neonazis in Sachsen und Thüringen attackiert und teilweise lebensgefährlich verletzt haben soll, dass etwa Verdachtsfälle auf Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StGB) den Strafverfolgern nach der geltenden Rechtslage kaum mitgeteilt werden dürften. Eine juristische "Doppeltür" beschränke solche Weitergaben gleich doppelt: erst die Herausgabe von Informationen durch Geheimdienste und dann auch noch die Einleitung von Ermittlungsverfahren.
Einen schweren Stand hatte da in der ganztägigen Veranstaltung Matthias Bäcker von der Universität Mainz. Der Juraprofessor hat schon diverse Verfassungsklagen gegen Sicherheitsgesetze in Karlsruhe geführt, mitunter für die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), und auch zumindest teilweise gewonnen. Als er sagte, man habe bei der "außerordentlich strengen Rechtsprechung" viel mehr gekriegt als selbst erwartet ("Aber das haben wir gerne genommen"), musste selbst die im Publikum anwesende Verfassungsrichterin Astrid Wallrabenstein lächeln. So habe das BVerfG eine Woche zuvor die G-10-Kontrolle "praktisch gekillt"; darin ging es um jene Bundestagskommission, die – neben dem bereits erwähnten PKGr sowie dem Unabhängigen Kontrollrat (UKRat) – Maßnahmen im Bereich des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses nach Art. 10 GG prüft.
"Immer noch weitgehende Verfassungsverstöße"
Dennoch befand Bäcker: "Eine Reform des Nachrichtendienstrechts ist unstreitig erforderlich, um deren Schlagkraft auszubauen." Die bestehenden Regelungen genügten noch immer in weiten Teilen nicht dem Verfassungsrecht. So seien die Gesetze zu den drei Bundesdiensten vor lauter Verweisen aufeinander nicht verständlich und schlüssig: "Das versteht keiner." Von Entscheidungen des EuGH zum Datenschutz in diesem Bereich erwartet Bäcker, dass noch "einiges Schmerzhafte" auf uns zukommen werde. Bemerkenswert: Was den MAD angeht, plädierte der Rechtswissenschaftler sogar für eine Stärkung der Befugnisse. Schließlich handele es sich bei der Landesverteidigung um einen besonders verwundbaren Bereich, in dem extrem hohe Schäden drohten.
Noch stärkere Worte als Senatorin Badenberg fand Ex-Bundesverfassungsrichter Peter Müller gegen einen AfD-Verbotsantrag. Angesichts des ungewissen Ausgangs, der jahrelangen Dauer und des erforderlichen Nachweises der Staatsfreiheit (also der Abwesenheit von V-Leuten in Führungspositionen, wie sie das höchste Gericht im NPD-Verbotsprozess verlangt hatte) warnte er ausdrücklich davor. "Ein Höcke macht noch keine AfD", zweifelte er leidenschaftlich die Sinnhaftigkeit an: "Wenn das schiefgeht, ist das der Persilschein." Und selbst bei einem Erfolg: "Die politischen Gründe für die über 30% AfD-Wähler etwa in Thüringen wären damit nicht aus der Welt – verlieren wir die dann endgültig?" Erst recht habe das BVerfG Anträge auf die Verwirkung der Grundrechte Einzelner nach Art. 18 GG, wie es in Bezug auf Höcke mitunter gefordert wird, stets "mit spitzen Fingern" angefasst – diese Verfahren seien bislang alle gescheitert. Günter Krings (CDU) sprang seinem Parteifreund zur Seite. Der rechtspolitische Sprecher der Unions-Bundestagsfraktion befürchtete eine "Märtyrerrolle". Er verwies darauf, dass die Verwaltungsgerichte, die Einstufungen der Partei durch den Verfassungsschutz als rechtsextremistisch gebilligt haben, einen anderen Maßstab hätten als das BVerfG bei einem Verbot.
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
Wöhlert, Der Verfassungsschutz – Struktur, Aufgaben und rechtliche Grundlagen, JuS 2024, 644
Schlömer, Rechtskontrolle nachrichtendienstlicher Maßnahmen, ZRP 2024, 143
Thiel, Neuordnung der Datenübermittlung durch Nachrichtendienste, ZRP 2023, 234
Bantlin/Graulich, Aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und daraus folgende Reformerfordernisse für die Nachrichtendienstkontrolle, GSZ 2023, 179
Vogt, Novellierte strategische Ausland-Fernmeldeaufklärung im Bundesnachrichtendienstgesetz, DÖV 2023, 689
Gitter/Marscholleck, Erster Teil der Reform des Nachrichtendienstrechts, GSZ 2024, 45
Hingott, Die Aufgabenerfüllung und Informationsgewinnung des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) im Auslandseinsatz, GSZ 2018, 189