Ein 1993 geborener Syrer flüchtete im Juni 2018 nach Griechenland, wo er direkt nach seiner Ankunft auf der Insel Leros inhaftiert wurde und aufgrund des EU-Türkei-Abkommens in die Türkei zurückgeschoben werden sollte. Der Mann beantragte daraufhin Asyl. Als er nicht zu einem Termin erschien, weil er auf Grund als schlecht empfundener Lebensbedingungen in einem überfüllten Flüchtlingszentrum die Insel verlassen hatte, wurde sein Asylantrag eingestellt.
Im September 2018 wurde der Syrer an der deutsch-österreichischen Grenze festgenommen, als er versuchte, mit gefälschten Dokumenten nach Deutschland einzureisen, wo er Asyl beantragen wollte. Zu einer Antragstellung kam es jedoch nicht, die deutschen Behörden schoben ihn am Folgetag zurück nach Griechenland ab. Dort wurde der Mann für zwei Monate inhaftiert, weil die griechischen Behörden Fluchtgefahr sahen, ihn für gefährlich für die Öffentlichkeit hielten und weil die Entscheidung über die Abschiebung in die Türkei noch ausstehe.
Im Oktober 2018 ging der Syrer gegen seine Inhaftierung vor, weil die Haftbedingungen gegen Art. 3 der EMRK verstießen. Seine Einwendungen wurden noch im Oktober 2018 abgelehnt, noch bevor er im November 2018 als besonders schutzbedürftige Person eingestuft und dann auch freigelassen wurde. Im April 2020 erkannte Griechenland ihm schließlich die Flüchtlingseigenschaft zu.
Asylantrag in Deutschland rechtswidrig nicht bearbeitet?
Der Mann machte geltend, schon bei seinem ersten Aufenthalt in Griechenland unmenschlichen Haftbedingungen ausgesetzt gewesen zu sein. Auch habe er bei dem Verhör in Deutschland den Wunsch geäußert, in Deutschland Asyl beantragen und nicht nach Griechenland zurückkehren zu wollen. Man habe ihm entgegnet, er würde in jedem Fall nach Griechenland abgeschoben werden, ob "auf freiwilliger Basis oder im Gegenteil", und dass man seinen Asylantrag nicht bearbeiten werde, so der Syrer. Tatsächlich wurde der Asylantrag niemals registriert. Auch wurde dem Mann trotz Nachfrage aus laut EGMR "unbekannten Gründen" keine Anwältin oder kein Anwalt gestellt und er hatte keinen Zugang zu rechtlichen Informationen über mit seinem Asylantrag verbundene Rechte.
Der EGMR sieht es als erwiesen an, dass der Mann aus Syrien in seinen Rechten verletzt wurde (Urteil vom 15.10.2024 - 13337/19). Deutschland hätte sich versichern müssen, dass er in Griechenland nicht unter Bedingungen festgehalten werde, die gegen das Verbot der unmenschlichen Behandlung verstoßen. Dadurch, dass die Haftbedingungen in Griechenland als verletzend eingestuft wurden, habe die ausgebliebene Überprüfung durch Deutschland den Syrer in Art. 3 EMRK verletzt. Es sei bekannt, dass Griechenland zuvor schon mit der unrechtmäßigen Behandlung von Schutzsuchenden aufgefallen ist. Auch der Asylantrag des Syrers hätte bearbeitet werden müssen. Jeder Geflüchtete habe das Recht, dass ein Asylantrag, in dem Land in dem er gestellt wurde, auch bearbeitet wird.
In Griechenland sei er durch die Haftbedingungen in Art. 3 EMRK verletzt worden, so das Gericht weiter. Er sei auf Leros über einen längeren Zeitraum ohne Zugang zu Tageslicht und Bewegungsmöglichkeiten festgehalten worden, worin eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung liege. Auch sei er in Art. 5 EMRK verletzt, der das Recht auf Freiheit und Sicherheit schützt. Als Asylbewerber habe er nicht rechtmäßig inhaftiert werden können, solange sein Asylantrag noch nicht geprüft wurde. Die spätere Anerkennung als schutzbedürftige Person stärke seine rechtliche Stellung und unterstreiche daher die illegale Natur seiner Inhaftierung, so der EGMR. Das Gericht verurteilte Deutschland zu 8.000 Euro Schadensersatz. Griechenland wurde zu einer Strafzahlung von 6.500 Euro verurteilt (Urt. v. 15.10.2024 - 13337/19).