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Querulantentum: Indiz für Prozessunfähigkeit?

LSG Nordrhein-Westfalen
Ein Ar­beits­lo­ser hielt seit 2015 al­lein das LSG NRW mit 188 Ver­fah­ren wegen Grund­si­che­rung auf Trab. Die So­zi­al­ge­rich­te be­stell­ten schlie­ß­lich eine An­wäl­tin als "be­son­de­re Ver­tre­te­rin": Nach einem Gut­ach­ten litt der Mann an einer krank­haf­ten Per­sön­lich­keits­stö­rung, durch die er pro­zess­un­fä­hig war.

Es gibt Menschen, die ständig im "Verteidigungsmodus" leben, weil sie davon überzeugt sind, dass ihnen Unrecht geschieht. Gegenüber Ämtern und Gerichten entpuppen sie sich dann als zähe Gegner. So war es auch im vorliegenden Fall, in dem ein Sozialhilfeempfänger massenhaft immer wieder neue Verfahren hauptsächlich wegen Grundsicherung vor Gericht angezettelt hatte (daneben ging es aber auch um die Feststellung der Unpfändbarkeit, Ansprüche auf Auskunft oder Datenlöschung). Allein von 2015 bis 2020 wurden beim LSG Nordrhein-Westfalen für ihn 188 Aktenzeichen angelegt. Dabei war auffällig, dass der Mann grundsätzlich immer dasselbe Vorgehen an den Tag legte – und die gerichtlichen Behörden mit sich regelmäßig wiederholenden Befangenheitsanträgen, Anhörungsrügen und Beschwerden überschüttete.

Dem Sozialgericht reichte es irgendwann. Weil es dem Mann wegen krankhafter Querulanz (durch gesteigerte rechthaberische Verbohrtheit und darüberhinausgehende krankhafte Uneinsichtigkeit) die partielle Prozessunfähigkeit attestierte, bestellte es eine Anwältin als besondere Vertreterin nach § 72 SGG. Der Vielkläger ging in Beschwerde. 2020 beauftragte das LSG einen Sachverständigen, der seine Prozessfähigkeit in sage und schreibe 31 Verfahren begutachten sollte. Bis Ende 2023 nahm der Mann trotz Zusagen für eine kostenlose Anreise mit dem Taxi und dem Angebot, eine Begleitperson mitbringen zu dürfen, keinen der vom Gutachter angebotenen Termine wahr. Auf Basis von 3.500 Seiten Akten erstattete der Experte schließlich auf Bitten des LSG ein Gutachten nach Aktenlage: Er diagnostizierte bei ihm eine komplexe Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen Zügen, "die seit vielen Jahren keine realitätsbasierte Steuerungsfähigkeit im Rechtsverkehr mehr zulasse".

Das LSG NRW wies die Beschwerde gegen die Bestellung einer besonderen Vertreterin zurück. Das Gericht sei auf Grundlage des Gutachtens davon überzeugt, dass der Vielkläger partiell prozessunfähig sei (Beschluss vom 29.08.2024 – L 6 AS 380/20 B).

So habe der Sachverständige für das Gericht nachvollziehbar den Schluss gezogen, dass der Betroffene einem dauerhaft von einem krankhaft "wahnhaft dominierten Störungsbild" nachgewiesenermaßen rückblickend bis in die Jahre 1990 und früher unterliege. "Inhaltliche Ziele der ursprünglichen Rechtsverfolgung würden aus den Augen verloren", so die westfälischen Sozialrichterinnen und -richter. Aus diesen Gründen sei er dauerhaft nicht in der Lage, generell im Rechtsverkehr mit Einsicht und Steuerung seinen Willen zu bilden und nach dieser Einsicht zu handeln. Dies bedeute für ihn eine generelle Störung im Rechtsverkehr für die Zeit von vor 2011 bis heute. Von einer eigenen Anhörung des Manns sah das LSG ab (Beschluss vom 29.08.2024 - L 6 AS 380/20 B).

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

Knospe, Recht gesucht und nicht gefunden… – Der bewusstseinsgespaltene Weg des Querulanten zwischen Rechtsempfinden und Rechtsverhalten, NZS 2024, 206

BSG, Verwendung von Diagnosesystemen bei Feststellung psychischer Störungen, NZS 2023, 744

Engel, Das "schwierige Publikum" – über den Umgang mit Querulanten, VR 2022, 117


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