Prominente deutsche Staatsrechtler wollen den AfD-Anwalt Ulrich Vosgerau offenbar nicht mehr als Mitglied ihrer Vereinigung wissen. Sie werfen ihm auch seine Teilnahme am berüchtigten Potsdamer Treffen vor.
Die Vereinigung der deutschen Staatsrechtslehrer gehört zu den ältesten juristischen Gesellschaften im deutschsprachigen Raum und zählt mittlerweile über 800 Mitglieder. Als sie vor zwei Jahren ihren 100. Geburtstag feierte, gratulierte der Bundespräsident persönlich per Videobotschaft. Doch wenngleich ungemein renommiert, dringt wenig über den Verein nach außen. Sein Ruf ist elitär und eher konservativ, nun aber regt sich im Innersten etwas.
Wie am Sonntag die FAZ berichtete, wollen sich zahlreiche – zum Teil sehr prominente – Mitglieder von ihrem Kollegen Ulrich Vosgerau offiziell distanzieren. Auf der Jahrestagung in der kommenden Woche in Luzern soll die Distanzierung beschlossen werden, wie auch beck-aktuell aus dem Umfeld der Vereinigung bestätigt wurde. Hintergrund ist Vosgeraus Nähe zur AfD: Der Staatsrechtler, der gegenwärtig als Anwalt tätig ist, vertrat die Partei etwa in Organstreitverfahren vor dem BVerfG, er war auch Verteidiger des AfD-Politikers Björn Höcke in dessen Strafverfahren wegen des Gebrauchs der SA-Parole "Alles für Deutschland". Auf Vosgerau geht auch der Begriff der "Herrschaft des Unrechts" zurück, den er in Bezug auf die Flüchtlingspolitik Angela Merkels prägte.
Vosgerau nahm am Potsdamer Treffen teil
Dies allein hat jedoch wohl nicht den Ausschlag für die Entscheidung der anderen Mitglieder gegeben, sich explizit gegen Vosgerau zu stellen. Hinzu kommt, dass Vosgerau am berüchtigten Potsdamer Treffen im November 2023 teilgenommen hat, über das das Recherche-Netzwerk Correctiv erstmals berichtet hatte. Was dort genau besprochen wurde, ist Gegenstand zahlreicher Gerichtsverfahren gewesen. Jedenfalls sprachen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, zu denen u. a. der bekannte österreichische Rechtsextremist Martin Sellner gehörte, auch über einen "Masterplan für Deutschland“. Sellner hielt dabei einen Vortrag über "Remigration" und erklärte, dass man auf "nichtassimilierte" Staatsbürgerinnen und -bürger "Anpassungsdruck" erzeugen müsse.
Auch Vosgerau selbst ist gegen die Berichterstattung von Correctiv vorgegangen. Er bestritt dabei nie, an dem Treffen teilgenommen und dort einen Vortrag über das deutsche Wahlrecht gehalten zu haben, ging aber gegen diverse Details des Berichts vor, womit er jedoch schließlich vor dem OLG Hamburg unterlag. Als das Treffen und dessen Inhalte publik wurden, hatte dies Massendemonstrationen gegen rechte Politik und die AfD in nahezu allen deutschen Großstädten zur Folge.
Die Staatsrechtslehrerinnen und -lehrer schreiben nun in ihrem Antrag: "Nach unserer Überzeugung hat sich Ulrich Vosgerau in den letzten Jahren zunehmend als Begleiter rechtsextremer Kräfte in Verfassungsfragen gezeigt. In dieser Rolle hat er an dem Treffen des 'Düsseldorfer Forums' am 25. November 2023 in Potsdam teilgenommen, zu dem auch der österreichische Rechtsextremist Martin Sellner als Redner eingeladen war. Wir distanzieren uns davon, dass ein Mitglied der Staatsrechtslehrervereinigung seine Expertise jenen Kräften zur Verfügung stellt, die dieses Wissen dazu nutzen, die freiheitlich-demokratische Verfassungsordnung im rechtsextremen Sinne zu unterminieren."
Andere Mitglieder wollen Präzedenzfall vermeiden
Nach beck-aktuell-Informationen, die sich mit der Berichterstattung der FAZ decken, haben über 100 Mitglieder inzwischen ihre Unterstützung für den Antrag erklärt, darunter die ehemalige Richterin am BVerfG, Susanne Baer und der ehemalige Richter am BVerfG, Andreas Paulus. Auch andere prominente Namen wie Klaus Ferdinand Gärditz, Matthias Jestaedt, Christoph Möllers oder Christoph Schönberger finden sich unter den Initiatorinnen und Initiatoren, die sowohl Mitglieder aus dem eher konservativen Spektrum vereinen als auch solche, die tendenziell dem linksliberalen Lager zugeordnet werden.
Doch was bedeutet "Distanzierung" konkret und worauf basiert sie? Explizite Ethik-Richtlinien hat die Vereinigung dem Vernehmen nach nicht. Die öffentlich abrufbare Satzung sieht zwar in § 10 Abs. 4 S. 1 einen Ausschluss durch Beschluss des Vorstandes vor, wenn ein Mitglied "in grober Weise gegen die Vereinsinteressen verstoßen hat". Dies sehen die Initiatorinnen und Initiatoren des Antrags jedoch offenkundig entweder nicht erfüllt oder wollen diesen Schritt nicht wagen. Mit einer "Distanzierung" hingegen wären wohl keine konkreten Konsequenzen verbunden, sie dürfte eher als Aufforderung zum Austritt zu werten sein. Dass Vosgerau dieser jedoch nicht nachzukommen gedenkt, teilte er bereits der FAZ mit.
Doch schon hinsichtlich der Erfolgschancen dieses Vorhabens bestehen, wie aus Mitgliederkreisen zu hören ist, durchaus Zweifel. So wolle man mit einem solchen Beschluss nach Möglichkeit keinen "Präzedenzfall" schaffen. Die Vereinigung, die hohen Wert auf ihre Wissenschaftlichkeit legt, will sich offenbar nicht ins tagespolitische Klein-Klein hineinziehen lassen. Das Schweigen ist indes nun gebrochen.