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Wahlrechtsreform: Wie geht es weiter?

Professor Dr. Bernd Grzeszick, Heidelberg

17/2024

Am 30.7.2024 hat das BVerfG über die Reform des Bundestagswahlrechts entschieden (NVwZ 2024, 1323, in diesem Heft). Im Urteil wird die aus dem Erfordernis der Zweitstimmendeckung folgende Nichtzuteilung von Mandaten an überhängende Wahlkreissieger bestätigt. Dagegen wird die 5%-Klausel insoweit als mit der Verfassung unvereinbar angesehen, als sie Parteien erfasst, deren Abgeordnete im Fall ihres Einzugs in den Bundestag eine gemeinsame Fraktion mit den Abgeordneten einer anderen Partei bilden würden, wenn diese Parteien gemeinsam die 5%- Schwelle überschreiten. Zudem wird bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber die Fortgeltung der bisherigen Grundmandateklausel angeordnet. Für die Durchführung der nächsten Wahl bringt das Urteil damit eine hinreichende Grundlage.


Auf den zweiten Blick bleiben allerdings Fragen offen. Deutlich ist dies mit Blick auf die Sperrklausel, denn hier ändert die Fortgeltungsanordnung des Gerichts nichts daran, dass grundsätzlich der Gesetzgeber gefordert bleibt. Das Urteil stellt klar, dass zumindest auf Parteien, die verlässlich nach der Wahl eine Fraktionsgemeinschaft bilden, Rücksicht genommen werden muss. Darüber hinaus hat der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung einen gewissen Spielraum, den er in verschiedene Richtungen wahrnehmen kann; in Frage kommen ua eine dauerhafte Beibehaltung einer Grundmandateklausel, die Absenkung der Hürde einer bundesweiten Sperrklausel auf zB 3% oder eine Föderalisierung der Sperrklausel in dem Sinne, dass die zu überwindende Grenze auf den Stimmenanteil der Listen im jeweiligen Land bezogen wird.


Die Auswirkungen der möglichen Ausgestaltungen insbesondere auf kleinere Parteien mit regionalem Schwerpunkt fallen unterschiedlich aus, und dabei sollte reflektiert werden, dass die Rücksichtnahme auf regionale Schwerpunktkräfte je nach Kontext sowohl die politische Integration regionaler Anliegen fördern als auch zur Zunahme zentrifugaler und sogar polarisierend- populistischer Kräfte führen kann. Möglicherweise geben die im Herbst stattfindenden Landtagswahlen einen Anhaltspunkt dafür, in welchem Kontext die Ausgestaltung der Sperrklausel zu platzieren sein wird.


Zudem bleibt die rechtspolitische Grundsatzfrage, welchen Stellenwert die Wahl im Wahlkreis haben sollte. Der Zweite Senat hat die letzte Reform insoweit als verfassungsgemäß angesehen. Allerdings ist die Entscheidung in diesen Teilen kurz und in einigen Aspekten erratisch bis widersprüchlich ausgefallen, weshalb nicht sicher ist, ob dieser rechtspolitisch gleichfalls hoch umstrittene Teil der Reform auf Dauer akzeptiert werden wird. Da der Senat es im Urteil abgelehnt hat, Reformen des Wahlrechts an besondere Gründe zu knüpfen, bestehen insoweit auch keine besonderen rechtlichen Hürden, die Reform nach der nächsten Bundestagswahl auch in diesem Teil kritisch zu reflektieren und zu überlegen, ob die grundlegende Aufgabe des Wahlrechts, die Bürger auf Dauer politisch zu integrieren und damit die Staatsgewalt effektiv zu legitimieren, besser erfüllt wird, wenn die erfolgreichen Wahlkreiskandidaten auch tatsächlich in den Bundestag einziehen. Daher kann es durchaus sein, dass der Gesetzgeber auch insoweit gefordert bleibt.

 

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