Vorher war es noch eine Geldstrafe: Wird jemand in der Berufungsverhandlung in seiner und der Abwesenheit seines Verteidigers zu einer unbedingten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, liegt dem BVerfG zufolge eine Verletzung des fairen Verfahrens nahe – zumindest nach vorläufiger Beurteilung.
Ein Mann wurde vom Amtsgericht Frankfurt am Main wegen versuchter Körperverletzung in einem besonders schweren Fall zu einer Geldstrafe von 150 Tagessätzen verurteilt. Weder die Staatsanwaltschaft noch der Angeklagte waren mit diesem Urteil zufrieden; sie legten beide Berufung ein. Zur Berufungsverhandlung erschienen der Angeklagte und sein Verteidiger, der ihn zwei Tage vorher krankgemeldet hatte, nicht.
Das LG Frankfurt am Main verlegte den Termin aber nicht, sondern verwarf die Berufung des Angeklagten und verhandelte danach die Berufung der Staatsanwaltschaft. Heraus kam unter Einbeziehung weiterer Verurteilungen eine Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung wegen Störung des öffentlichen Friedens in Tateinheit mit versuchter Nötigung und Bedrohung. Die Revision des Angeklagten vor dem OLG, in der er die Verhandlung in seiner Abwesenheit rügte, wurde schon als unzulässig zurückgewiesen. Während der Mann schon im Gefängnis saß, erhob er Verfassungsbeschwerde samt Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zum BVerfG – vorläufig mit Erfolg.
Das BVerfG (Beschluss vom 19.07.2024 – 2 BvR 829/24) fand, es spreche viel dafür, dass das OLG die Anforderungen an die Zulässigkeit seiner Revision überspannt habe. § 344 Abs. 2 StPO verlange keinen Vortrag zu unerheblichen Tatsachen.
In der Sache bewertete der Zweite Senat vorläufig die Verurteilung in einer Berufungshauptverhandlung ohne Verteidiger als mögliche Verletzung des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG. Gerade im Hinblick auf die Höhe der Strafe habe wohl ein Fall der notwendigen Verteidigung nach § 140 StGB vorgelegen. Deren Vorenthaltung beschneide den Mann in seinem verfassungsrechtlich garantierten Anspruch, seine prozessualen Rechte und Möglichkeiten mit der erforderlichen Sachkunde wahrnehmen zu können.
In der Folgenabwägung wurde die Strafvollstreckung bis zur Entscheidung in der Hauptsache vorläufig ausgesetzt, um einen endgültigen Rechtsverlust des Gefangenen zu verhindern (Beschluss vom 19.07.2024 - 2 BvR 829/24).