In den vergangenen Jahren befand sich das Recht der Nachrichtendienste gleich mehrfach auf dem Prüfstand des BVerfG. Bereits 2020 betonte das Gericht in seiner Entscheidung zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung des Bundesnachrichtendienstes (BND) die Notwendigkeit unabhängiger Vorabkontrollen (Urteil vom 19.05.2020 - 1 BvR 2835/17).
Der für die Aufklärung im Ausland zuständige Dienst durchsucht mit dieser Methode massenhaft Telefon- und Internetverkehre aus Staaten wie Afghanistan oder dem Iran nach relevanten Selektoren; etwa Namen, E-Mail-Adressen und Telefonnummern von Terroristen. Zuvor war, was die Auswahl zu überwachender Netze angeht, nur eine verwaltungsinterne Prüfung erfolgt.
Lange erwartete Entscheidung
Nach diesem Urteilsspruch lag nahe, dass die Karlsruher Richterinnen und Richter eine vorherige und vor allem unabhängige, also nicht in die Behördenstrukturen integrierte Kontrolle auch in anderen Konstellationen anordnen könnten. Angesprochen waren damit neben dem BND auch die für das Inland zuständigen Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sowie der Militärische Abschirmdienst (MAD), wenn es Extremisten oder Spione im Bereich des Verteidigungsressorts betrifft.
Mitte 2022 war es dann so weit: Mit Blick auf das bayerische Verfassungsschutzgesetz entschied das BVerfG, dass eingriffsintensive Maßnahmen wie der Einsatz von V-Leuten und verdeckten Ermittlern oder die Durchführung längerfristiger Observationen ebenfalls einer unabhängigen Vorabkontrolle bedürften (Urt. v. 26.04.2022 - 1 BvR 1619/17). Auch wenn diese Entscheidung nur den Freistaat unmittelbar betraf, setzte das Gericht doch mittelbar die Ampelkoalition für die Nachrichtendienste des Bundes unter Zugzwang.
Von den Ländern lernen?
Auf den ersten Blick hätte es aus Sicht des Bundes nahe gelegen, sich durch das zwischenzeitlich in einzelnen Ländern implementierte Aufsichtsmodell leiten zu lassen. Wer genauer hinsieht, wird freilich konstatieren müssen, dass dieses den Anforderungen des BVerfG nur unvollkommen gerecht wird: So haben Bayern und Hessen entschieden, dass grundsätzlich – außer bei Telekommunikationsüberwachung – die Amtsgerichte für die Vorabkontrolle zuständig sein sollen. Obwohl das BVerfG klargestellt hat, dass eine unabhängige Vorabkontrolle nicht notwendigerweise durch den Richter erfolgen muss, entspricht dieses Modell sicherlich am ehesten den klassischen Vorstellungen von Rechtsschutz.
Angesichts der bereits heute hohen Auslastung der Ermittlungsrichterinnen und -richter erscheint es allerdings zweifelhaft, ob diese auch noch die erforderliche Zeit für zusätzliche, teils komplexe Prüfungen haben. Im Vergleich zur Polizei operieren Nachrichtendienste anders, unterliegen abweichenden Eingriffsschwellen und verfolgen verschiedene Ziele. Eine wirksame Vorabkontrolle setzt daher eine Institution voraus, der die Ressourcen für eine tiefe inhaltliche Befassung tatsächlich zur Verfügung stehen.
Kontrolle ohne Kenntnis?
Doch vielleicht ist eine solche tiefe Befassung seitens der Landespolitik manchmal gar nicht gewollt. Dies legt zumindest eine Episode aus dem hessischen Gesetzgebungsverfahren nahe: Trotz vehementer Kritik in der parlamentarischen Anhörung findet sich im Landes-Verfassungsschutzgesetz heute eine Regelung, nach der im richterlichen Vorabkontrollverfahren beispielsweise einzusetzende V-Leute nicht konkret benannt werden müssen. Angeben muss der Verfassungsschutz nur noch die zu beobachtende Bestrebung, z.B. eine rechtsextremistische Partei oder einen islamistischen Verband.
Es liegt auf der Hand, dass eine solche Vorabkontrolle weitgehend leerläuft. Denn die Richterinnen und Richter können nicht prüfen, wie steuernd der Einfluss der einzusetzenden Person auf die jeweilige Bestrebung ist, ob er oder sie aufgrund von Vorstrafen sowie Vorleben voraussichtlich nachrichtenehrlich sein wird – und ob man nicht sogar befürchten muss, dass die künftige V-Person ähnlich einem Provocateur mit besonders polemischen Beiträgen selbst zur Rechtfertigung der Beobachtung beitragen könnte. Zudem muss sich zeigen, ob derartig eingeschränkte Angaben einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle standhalten werden, hatte Karlsruhe doch dezidiert einzelfallorientierte sowie effektive Vorabprüfungen eingefordert.
Vielbelastete G10-Kommissionen
Verwundern dürfte, dass sich die Länder bei der Frage, wo sie ihre unabhängige Kontrolle einrichten, zudem bislang in keinem Fall für die G10-Kommissionen entschieden haben. Seit vielen Jahren prüfen diese bei den Parlamenten angesiedelten, unabhängigen Gremien anstelle der Gerichte Anträge der Nachrichtendienste zur Telekommunikationsüberwachung.
Ihre Mitglieder nehmen die Aufgabe ehrenamtlich wahr und sind oft, aber nicht immer, juristisch vorgebildet. Durch die steigende Zahl von Extremisten und Agenten in Deutschland hat die Arbeitslast der Kommissionen in den vergangenen Jahren teils deutlich zugenommen, vielfach ohne dass ihnen ein adäquater Arbeitsstab zur Seite stünde. Vermutlich hegten die Verantwortlichen in den Ländern daher Zweifel, ob die G10-Kommissionen noch mehr Anträge stemmen können.
Aufwertung des Unabhängigen Kontrollrats
Während auf Landesebene, wie aufgezeigt, allerdings kaum geeignete Alternativen zur Verfügung stehen, hat die G10-Kommission beim Deutschen Bundestag längst einen starken Konkurrenten: den Unabhängigen Kontrollrat (UKRat). Ihm will die Ampelkoalition nach kürzlich bekanntgewordenen Plänen nun die neuen Kontrollaufgaben über alle drei Nachrichtendienste des Bundes gebündelt übertragen.
In Reaktion auf das bereits erwähnte Urteil zur Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung überprüft der UKRat seit rund zweieinhalb Jahren die diesbezüglichen Aktivitäten des BND. Anders als die G10-Kommission ist er eine oberste Bundesbehörde und besteht aus einem gerichtsähnlichen Teil, der mit bisherigen Bundesrichterinnen und -richtern hauptamtlich besetzt ist, sowie einem nachgelagerten administrativen Kontrollorgan, das den ordnungsgemäßen Vollzug der Anordnungen überprüft. Der UKRat würde, wenn es nach den Regierungsfraktionen geht, künftig nicht nur beim BND, sondern auch beim MAD und dem Bundesamt für Verfassungsschutz über viele besonders eingriffsintensive Maßnahmen entscheiden.
Zugegebenermaßen steht die Behörde noch vor Herausforderungen: So tobt seit längerem ein personeller Konflikt, gleichzeitig ist das Interesse in der Bundesrichterschaft an einem Wechsel in den UKRat offenbar so gering, dass man bereits über die Einbeziehung von Personal der Oberlandes- sowie Oberverwaltungsgerichte nachdenkt. Und doch zeigen die bisherigen Erfahrungen, dass es im BND eine große Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den professionell arbeitenden und vor allem verschwiegenen Kontrolleurinnen und Kontrolleuren des UKRats gibt, auf die man aufbauen könnte.
Daher streitet einiges für die jetzigen Überlegungen: Die Bündelung von Aufgaben beim UKRat vermeidet bürokratischen Aufwand und sichert eine effiziente Zusammenarbeit mit den Diensten. Zudem würde es möglich, fast alle besonders invasiven Maßnahmen der Nachrichtendienste des Bundes zentral zu erfassen und additive Grundrechtseingriffe so möglichst zu vermeiden. Vermutlich dürfte es auf Bundesebene daher nur noch eine Frage der Zeit sein, bis auch die Telekommunikationsüberwachung von der G10-Kommission in die Zuständigkeit des UKRates überführt wird.
Mehr Befugnisse für den MAD
Die Bundesregierung will die notwendigen Anpassungen im Aufsichtsrecht zudem dazu nutzen, dem MAD mehr Befugnisse zuzubilligen. Zur Erfüllung seines Auftrags, die Bundeswehr vor Extremisten und Spionen zu schützen, darf der Dienst zwar schon heute innerhalb der Liegenschaft deutscher Einsatzkontingente im Ausland tätig werden. In Afghanistan überprüfte der MAD etwa Ortskräfte. Die klassische "force protection", beispielsweise die Warnung vor anrückenden Kämpfern, obliegt aber weiterhin dem BND, der nicht nur ziviler, sondern auch militärischer Auslandsnachrichtendienst ist.
In Einsatzgebieten, in denen die Bundeswehr ihre Unterkunft quasi nur zu Einsatzzwecken verließ, war diese Aufteilung auch naheliegend, weil der BND die Mittel zur strategischen Aufklärung etwa des Funkverkehrs feindlicher Kräfte hat und insofern keine Lücke bestand. Durch Russlands verstärkte Aggression hat sich die militärische Bedrohungslage und somit auch die Art des Einsatzes der Streitkräfte jedoch grundlegend verändert: So sollen rund 5.000 Bundeswehrangehörige im Rahmen der sogenannten Litauenbrigade – einem "Leuchtturmprojekt der Zeitenwende" (Boris Pistorius) – bis 2027 in dem Örtchen Rukla stationiert werden, um als Teil der NATO-Battlegroups das Baltikum zu schützen. Klar ist, dass viele Soldatinnen und Soldaten in ihrer Freizeit das Umland bereisen oder in die eine Stunde entfernte Hauptstadt Vilnius fahren werden, und dass dies natürlich auch Moskau nicht verborgen bleiben dürfte.
Soldaten vor Spionage abschirmen
Namentlich der russische Militärgeheimdienst GRU bearbeitet seit geraumer Zeit im Stillen ausländische Streitkräfte, um sie als Zuträger zu gewinnen. So verurteilte das OLG Düsseldorf Mitte 2022 einen deutschen Reserveoffizier, den ein als russischer Attaché getarnter GRU-Resident ausgerechnet auf einem Ball der hiesigen Luftwaffe angeworben hatte. Und vor demselben Gericht wird derzeit gegen jenen Mitarbeiter des Bundeswehr-Beschaffungsamtes verhandelt, der als sogenannter Selbstanbieter Daten zur Elektronischen Kampfführung an den GRU verraten wollte.
Nun dürften Moskaus Agenten eher früher als später auch in litauischen Pubs oder Clubs vorstellig werden. Für dieses Szenario fehlt es deutschen Soldatinnen und Soldaten jedoch an geeignetem Schutz. Der Auftrag des MAD beschränkt sich, was die Spionageabwehr anbelangt, bislang auf die eigenen Liegenschaften und Kräfte, wohingegen der BND mit seiner strategischen Aufklärung allein gut ausgebildeten russischen Agenten kaum das Handwerk wird legen können.
Zögerliche Koalitionäre
Für die in Ziel und Durchführung neuartigen Einsätze bedarf es folglich einer gesetzlichen Novellierung. Notwendig zum Aufspüren russischer Agententätigkeit ist nicht primär eine strategische Aufklärung, sondern vielmehr der klassische Instrumentenkasten der Spionageabwehr: individuelle Telekommunikationsüberwachung, längerfristige Observationen und vor allem die mühsame Suche nach Mustern bei Reiserouten oder Orten, an denen Soldatinnen und Soldaten angeworben werden könnten.
All dies sind Methoden, die der MAD auf der Suche nach Spionen, die im Inland auf die Bundeswehr abzielen, bereits heute anwendet. Dem BND mit seinen vielfältigen Aufgaben dürfte anders als dem truppeneigenen Dienst zudem kaum genügend Personal vor Ort zur Verfügung stehen. Und schließlich werden sich Bundeswehrangehörige vermutlich eher an "ihren" Dienst wenden – also den MAD –, um von auffälligen Ereignissen zu berichten. Die beabsichtigte Stärkung der Behörde für ihr Mandat in der "Zeitenwende" ist daher begrüßenswert.
Umso mehr muss irritieren, dass aus Kreisen der Nachrichtendienste nun vermehrt zu hören ist, mit der Novellierung des Aufsichtsrechts und dem Ausbau der dem MAD zustehenden Kompetenzen sei entgegen einigen Ankündigungen aus der Ampelkoalition wohl kaum noch in der laufenden Legislaturperiode zu rechnen. Es bleibt zu hoffen, dass diese Befürchtungen alsbald ausgeräumt werden – zur Verbesserung des Grundrechtsschutzes, aber auch im Interesse einer (noch) robusteren Spionageabwehr.
Univ.-Prof. Dr. Markus Ogorek, LL.M. (Berkeley), Att. at Law (NY), ist Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln. Einer seiner Forschungsschwerpunkte liegt im Recht der Nachrichtendienste, zu dem er auch Regierungs- sowie parlamentarische Stellen berät.