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Treffen mit EGMR-Richtern: Was muss das BVerfG offenlegen?

Pia Lorenz
Das BVerfG hält ein Ge­spräch sei­ner Rich­te­rin­nen und Rich­ter mit einer De­le­ga­ti­on des EGMR für ver­trau­lich, doch die NGO "Frag den Staat" ist an­de­rer Mei­nung. Ge­mein­sam mit einem Bür­ger hat sie nun Klage gegen das Karls­ru­her Ge­richt ein­ge­reicht.

Als Richterinnen und Richter des BVerfG sich am 19. Juni 2023 mit einer Delegation des EGMR trafen, ging es laut dem BVerfG um die Rezeption von Unionsrecht in der Rechtsprechung von EGMR und BVerfG, aber auch um die richterliche Unabhängigkeit und um "Fragen der Informationszugangsrechte". Für Letztere interessiert sich jetzt "Frag den Staat".

Die Nichtregierungsorganisation (NGO), die Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützt, Zugang zu behördlichen Informationen zu erhalten, hat nach eigenen Angaben in Kooperation mit einem Nutzer der Plattform Klage beim VG Karlsruhe eingereicht. Gestützt auf das Informationsfreiheitsgesetz (IFG) wollen sie erfahren, wie genau die Vertreterinnen und Vertreter der beiden Gerichte Informationszugangsrechte diskutiert hätten, teilte der Aktivist und Chefredakteur der Plattform, Arne Semsrott, auf Anfrage von beck-aktuell mit.

Zum anderen sehe "Frag den Staat" in dem Verfahren "das Potenzial, offene Fragen zur Anwendung des IFG zu klären", insbesondere zur Reichweite der Informationspflicht des BVerfG. Deutschlands höchstes Gericht hat sich bisher geweigert, mehr über das Fachgespräch mit den Kolleginnen und Kollegen des EGMR aus dem vergangenen Juni herauszugeben als die Tagesordnung und das Programm.

Sind Fachgespräche Rechtsprechung oder Verwaltung?

Der mit "Frag den Staat" klagende Bürger stützt seinen Anspruch auf § 1 Abs. 1 IFG. Die Vorschrift sieht einen grundsätzlichen Anspruch von jedermann gegenüber Bundesbehörden auf Zugang zu amtlichen Informationen vor. Dem hält das BVerfG im Wesentlichen drei Argumente entgegen: Zum einen unterfielen die angefragten Unterlagen erst gar nicht dem Anwendungsbereich des IFG. Die Manuskripte für die Dolmetscherinnen, die vor der Veranstaltung erstellt worden seien, damit diese währenddessen besser übersetzen könnten, seien zudem keine amtlichen Informationen, sondern bloß Notizen. Vor allem aber seien die Gespräche vertraulich gewesen.

Das BVerfG sei keine Behörde und nehme als "sonstiges Bundesorgan oder -einrichtung" bei Fachgesprächen mit anderen Gerichten auch keine öffentlich-rechtlichen Verwaltungsaufgaben im Sinne von § 1 Abs. 1 S. 2 IFG wahr, argumentierte das Justiziariat des BVerfG im Widerspruchsverfahren. Verwaltungsaufgaben wie das Führen von Registern oder auch die Verwaltung der Gerichtsbibliothek seien von der verfassungsgerichtlichen Tätigkeit der Richterinnen und Richter zu unterscheiden, um die es auch bei solchen Fachgesprächen gehe. Sie dienten der Rechts-, Fort- und Meinungsbildung, vor allem der Rechtsvergleichung, auf die das BVerfG für seine Rechtsprechung angewiesen sei.

"Frag den Staat" hielt das in einer Mail an beck-aktuell für "weit hergeholt und von der konkreten Klärung der Rechtslage in Gerichtsverfahren entkoppelt". Im Bereich der rechtsprechenden Gewalt sei das BVerfG zwar nicht nach dem IFG verpflichtet, außerhalb dessen bestünden hingegen Ansprüche auf Informationszugang für den von den Bundesgerichten wahrgenommenen Bereich der Justizverwaltungsaufgaben. Nach der Logik des BVerfG wäre, so Semsrott, auch der Kauf von Büchern für die Gerichtsbibliothek auf abstrakter und vorgelagerter Ebene Teil der konkreten Rechtsprechung. In der Klageschrift heißt es, ein bloßer Bezug zur einzelfallbezogenen Rechtsfindung rechtsfertige es nicht, das BVerfG insoweit von der Informationspflicht auszunehmen.

Manuskripte, die vor dem Treffen erstellt worden seien, damit die Dolmetscherinnen sich besser vorbereiten könnten, stellten zudem, so das BVerfG, keine amtlichen Informationen im Sinne des IFG dar, sondern gehörten als "Notizen" zur Vorbereitung nach § 2 Nr. 1 S 2 IFG gerade nicht zu dem Vorgang, über den "Frag den Staat" jetzt Bescheid wissen wolle. Die Aktivisten sehen das naturgemäß anders, da es sich gerade nicht um bloße Vorstufen endgültiger Dokumente handele.

Irgendwie vertraulich, auf jeden Fall?

Schließlich argumentiert das BVerfG typisch für IFG-Verfahren: Die Manuskripte, die herausgegeben werden sollen, genössen Vertraulichkeitsschutz nach § 3 Nr. 3 IFG. Sogar beide Varianten des Vertraulichkeitsschutzes könnten laut dem höchsten deutschen Gericht einschlägig sein: sowohl die notwendige Vertraulichkeit internationaler Verhandlungen als auch die Beratungen von Behörden könnten beeinträchtigt werden. Jedenfalls aber, so das BVerfG in seinem Widerspruchsbescheid, eine entsprechende Anwendung der Vorschrift, eine Gesamtschau der Vorschriften oder auch eine "entsprechende Anwendung des Grundsatzes des Kernbereichs exekutiver Eigenverantwortung" führten dazu, dass "jedenfalls […] im Ergebnis die Vertraulichkeit gegeben" sei.

Die Vertreterin des klagenden Bürgers, die auf Informationsansprüche gegenüber öffentlichen Stellen spezialisierte Berliner Anwältin Katja Pink, geht darauf in ihrer Klageschrift kaum ein. "Frag den Staat"-Chefredakteur Arne Semsrott erklärte die Anwendung des Ausschlussgrunds des Kernbereiches exekutiver Eigenverantwortung auf ein Gericht gegenüber beck-aktuell für "völlig neu" und würde auch diese Argumentation gern gerichtlich überprüft sehen.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte hat bereits während des Verwaltungsverfahrens auch gegenüber dem BVerfG erklärt, die Auffassung von "Frag den Staat" zu teilen, dass das Gericht Informationen über das Treffen mit den Richterinnen und Richtern des EGMR zum Thema Informationszugangsrechte herausgeben muss. Die Klageschrift wie auch der gesamte Vorgang ist auf der Plattform von "Frag den Staat" unter der Anfragennummer #282325 dokumentiert.

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