chb_rsw_logo_mit_welle_trans
Banner Jubiläumslogo

Kein Vorsitz für AfD: BVerfG verhandelt über Brandner-Rauswurf

Redaktion beck-aktuell
Die AfD hat mit ihrem Ein­zug in den Bun­des­tag den Par­la­men­ta­ris­mus vor neue Fra­gen ge­stellt. Eine davon, näm­lich ob und wann einer Frak­ti­on der Vor­sitz in einem Aus­schuss ver­sagt wer­den darf, wird am Mitt­woch in Karls­ru­he ver­han­delt.

Seit dem Einzug der AfD in den Bundestag ringt der parlamentarische Apparat um den richtigen Umgang mit den Rechtsaußen-Politikern. Die Posse um einen Platz der AfD im Präsidium des Bundestages ist bis heute nicht beendet, da die übrigen Parteien bislang noch jedem von der Partei vorgeschlagenen Kandidaten ihre Zustimmung verweigert haben. Und auch der Vorsitz in den Ausschüssen ist weiterhin ein Thema – nun auch für Karlsruhe. Dort wird am Mittwoch über den Anspruch der AfD auf Ausschussvorsitze im Bundestag verhandelt (2 BvE 1/20, 2 BvE 10/21).

Die dem Organstreit zwischen AfD und Bundestag zugrundeliegende Geschichte dreht sich um zwei Sachverhalte: die Abwahl eines Ausschussvorsitzenden in der vergangenen Legislaturperiode und die gescheiterte Wahl neuer Vorsitzender in der aktuellen.

Fechner: Brandner "weder menschlich noch politisch" qualifiziert für Ausschussvorsitz

Als damals größter Oppositionspartei stand der AfD nach der Bundestagswahl 2017 der erste Zugriff auf einen Ausschussvorsitz zu. Den Vorsitz im Rechtsausschuss übernahm dann der Rechtsanwalt Stephan Brandner, der in der Folge immer wieder mit kontroversen öffentlichen Äußerungen Aufmerksamkeit erregte. Im November 2019 führten diese zu einem buchstäblich historischen Ereignis: Brander wurde als erster Ausschussvorsitzender in der Geschichte des Bundestages abgewählt. Grund war, so formulierte es damals der rechtspolitische Sprecher der SPD, Johannes Fechner, dass er "weder menschlich noch politisch die notwendige Eignung für den Vorsitz im Rechtsausschuss" habe.

Brandner hatte auf X – damals noch Twitter – nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle den Beitrag eines anderen Nutzers geteilt, der gefragt hatte: "Warum lungern Politiker mit Kerzen in Moscheen und Synagogen rum?". Die Opfer in Halle seien schließlich eine "Deutsche, die gern Volksmusik hörte", sowie ein "Bio- Deutscher" gewesen. Der AfD-Abgeordnete, der zuvor von seinem eigenen Ausschuss dafür gerügt worden war, entschuldigte sich im Plenum, kommentierte aber sodann die Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an den Musiker Udo Lindenberg, der sich öffentlich gegen seine Partei positioniert hatte, als "Judaslohn". 

Brandners Äußerungen wurden damals von vielen als antisemitisch kritisiert. Auf einen gemeinschaftlichen Abberufungsantrag aller anderen Fraktionen von CDU/CSU bis zur Linken wählte der Rechtsausschuss Brandner am 13. November 2019 mit 37 zu 6 Stimmen ab. Anschließend wurde der Ausschuss kommissarisch vom Kölner Juraprofessor und vorigen Stellvertreter Brandners Heribert Hirte (CDU/CSU) geleitet. Ein Eilantrag der AfD-Fraktion beim BVerfG scheiterte, da die Karlsruher Richterinnen und Richter in einer Folgenabwägung eine mögliche Verletzung parlamentarischer Rechte der AfD als nicht so bedeutend ansah wie die Arbeitsfähigkeit des Ausschusses unter einem ungewollten Vorsitzenden. Außerdem hätte ein Eilbeschluss in das von Art. 40 Abs. 1 GG garantierte Selbstbestimmungsrecht des Bundestages eingegriffen, was nur unter strengen Voraussetzungen im Eilverfahren möglich sei, so der Zweite Senat Ende Mai 2020 (Beschluss v. 04.05.2020).

AfD-Kandidaten erhalten keine Mehrheit

Auch in der aktuellen Legislaturperiode streitet sich die Partei mit den anderen Fraktionen im Bundestag um Ausschussvorsitze. Hierum geht es im zweiten Teil der Verhandlung in Karlsruhe. Nach der vergangenen Wahl erhielt die Partei den Zugriff auf den Vorsitz in den Ausschüssen für Inneres und Heimat, wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sowie im Gesundheitsausschuss. Die von der Partei vorgeschlagenen Kandidaten erhielten jedoch in keiner Wahl eine Mehrheit. 

Auch hiergegen wandte sich die AfD mit einem Eilantrag nach Karlsruhe, hatte damit aber ebenfalls keinen Erfolg. Das Gericht betonte, dass die Partei trotzdem an der parlamentarischen Willensbildung in den betroffenen Ausschüssen mitwirken könne, da die Befugnisse des Ausschussvorsitzes durch weitgehende Kontroll- und Korrekturrechte der Ausschussmitglieder begrenzt seien (Beschluss v. 25.05.2022). Eigenständige parlamentarische Kontrollrechte seien mit dem Ausschussvorsitz nicht verbunden, so der Senat.

Oppositionsrechte nach Gusto der Mehrheit?

Nun kommt es vor dem Zweiten Senat zur endgültigen Verhandlung der Rechtsfragen, ob die Abwahl des Ausschussvorsitzenden Brandner sowie die Verweigerung der Wahl der von der AfD für die diversen Ausschussvorsitze in der laufenden Legislaturperiode vorgeschlagenen Personen rechtens waren. Die AfD sieht sich in ihren Rechten auf Gleichbehandlung als Fraktion, auf effektive Opposition und auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages verletzt.

Die Klage der AfD ist dabei keineswegs kleinkariert oder bloßer Ausdruck notorischer Fundamentalopposition einer Außenseiter-Partei. Die Ausschussarbeit ist vielmehr ein wichtiger Teil der parlamentarischen Arbeit. So erstreckt sich auch der Grundsatz der Gleichbehandlung der Fraktionen auf die Mitwirkungsbefugnis der Abgeordneten in den Ausschüssen. Diese, so die Idee, sollen ein Abbild des gesamten Plenums sein und werden deshalb proportional zu den dortigen Mehrheitsverhältnissen besetzt. Im Staatsrecht nennt man das "Spiegelbildlichkeitsprinzip".

Dem oder der Vorsitzenden obliegt es gem. § 59 GO-BT, die Sitzungen vorzubereiten, einzuberufen und zu leiten sowie die Ausschussbeschlüsse durchzuführen. Es lässt sich also argumentieren, dass der Vorsitz wichtig ist für die Gleichbehandlung der Fraktionen wie auch für den Grundsatz der effektiven Opposition. Dieser fordert, so führte es das BVerfG in seiner Eilentscheidung 2020 aus, den "Respekt vor der Sachentscheidung der parlamentarischen Mehrheit und die Gewährleistung einer realistischen Chance der parlamentarischen Minderheit, zur Mehrheit zu werden". Anders gesagt: Die parlamentarischen Rechte einer Oppositionsfraktion dürfen nicht vom Wohlwollen der Mehrheit abhängen. Da die Ausschüsse eben proportional besetzt werden, könnte die wichtige Arbeit dort bedroht sein, wenn die Mehrheit einen Vorsitzenden jederzeit abberufen oder ihm das Amt per se verweigern könnte.

Während § 58 GO-BT die Wahl des Ausschussvorsitzenden jedenfalls noch rudimentär regelt, existieren bezüglich einer etwaigen Abwahl keine Vorschriften. Die Möglichkeit dazu wird in der Literatur anhand des actus-contrarius-Gedankens aus der Wahlmöglichkeit hergeleitet. Eine gerichtliche Entscheidung dazu gibt es – in Ermangelung eines Präzedenzfalls – bislang nicht. Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe wird das BVerfG nun klären.

"Das wäre verfassungsrechtliches Neuland"

Christoph Schönberger, Staatsrechtler und Direktor des Seminars für Staatsphilosophie und Rechtspolitik an der Universität zu Köln, räumt der AfD dabei keine hohen Erfolgschancen ein: "Parlamentarische Leitungsämter sind Wahlämter, daher sind sie von der Bestimmung durch die Mehrheit des Bundestages abhängig", so Schönberger im Gespräch mit beck-aktuell. Bisher sei dies zwar nach parlamentarischem Usus konsensual geschehen – bis zum Einzug der AfD. Es gebe aber eben keinen Anspruch einer Fraktion auf einen Ausschussvorsitz. Dass das BVerfG dies nun anders beurteilen könnte, glaubt er nicht: "Das BVerfG hat bisher immer gesagt, dass diese Ämter nicht vom Spiegelbildlichkeitsprinzip umfasst sind. Das wäre also verfassungsrechtliches Neuland und ich rechne nicht damit, dass das Gericht seine Rechtsprechung ändern wird." Ein ähnliches Wahlamt ist auch der Posten im Bundestagspräsidium, dessen Verweigerung das BVerfG bereits gebilligt hat (Beschluss v. 22.03.2022 – 2 BvE 9/20).

Auch die Gefahr einer Beschränkung wichtiger Oppositionsrechte sieht Schönberger nicht: "Das Amt des Vorsitzenden ist keine Position zur Förderung der Rechte einzelner Fraktionen." Der oder die Vorsitzende dürfe nicht im Interesse seiner oder ihrer Fraktion handeln, sondern müsse vielmehr neutral bleiben. 

In seinen Eilbeschlüssen hat das BVerfG die zugrundeliegenden Rechtsfragen jedenfalls noch als offen angesehen, wenngleich dies nicht bedeuten muss, dass der Senat keine Tendenz hat. Vor der Verhandlung ist aber schon eins klar: Die AfD hat den deutschen Parlamentarismus wieder einmal vor neue Fragen gestellt.

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

Huber, Die AfD – Facetten aktueller Rechtsprechung, NVwZ 2024, 119

Amthor, Gewählt ist gewählt? – Zulässigkeit einer Abwahl von Mitgliedern des Präsidiums des Deutschen Bundestags, NVwZ 2024, 125

Anzeigen:

NvWZ Werbebanner
VerwaltungsR PLUS Werbebanner

BECK Stellenmarkt

Teilen:

Menü