Wer wegen einer Bagatelle das Gericht bemüht, muss nach Ansicht des LSG Berlin-Brandenburg keine Geldentschädigung erhalten, wenn das Verfahren überlang andauert. Vor allem, wenn das Interesse an der verzögerten Kostengrundentscheidung eher beim Anwalt – und nicht bei dessen Mandanten liegt.
In drei Verfahren beauftragten Bürgergeldempfänger einen Rechtsanwalt mit der Geltendmachung ihrer Ansprüche gegenüber dem Jobcenter. Der Anwalt beantragte für seine Mandanten Reisekostenerstattungen für Meldetermine bei der Behörde, deren Berechtigung er aber nicht vollständig nachwies. In beiden Fällen reagierte das Jobcenter über sechs Monate nicht, so dass der Anwalt Untätigkeitsklage erhob. Nachdem die Behörden jeweils den Anspruch per Bescheid versagten, erklärte der Prozessvertreter die Erledigung der Untätigkeitsklage und beantragte, die Kosten des Verfahrens dem Gegner aufzuerlegen. Diese Anträge wurden erst rund zwei Jahre später zugunsten des Bürgergeldempfängers beschieden, nachdem deren Anwalt die Verzögerungsrüge erhoben hatte. Jetzt beantragten sie erfolgreich Prozesskostenhilfe für eine Entschädigungsklage wegen der überlangen Entscheidungsdauer über die Kostengrundentscheidung. Nachdem das Land jeweils den überwiegenden Teil der Entschädigungsforderung anerkannt hatte, verwehrte das Landessozialgericht ihnen die verbleibende Summe (Urteile vom 24.08.2023 – L 37 SF 255/21 EK AS und L 37 SF 256/21 EK AS).
Entschädigungsanspruch bereits erfüllt
Die Entschädigungsklage nach § 198 Abs. 1 S. 1 GVG sei nicht begründet, so das LSG. Zwar lägen alle Voraussetzungen vor, insbesondere werde nach § 198 Abs. 1 S. 2 GVG vermutet, dass den Klägern durch die überlange Verfahrensdauer ein Nachteil entstanden sei. Aber dieser könne nach § 198 Abs. 4 GVG auch auf andere Weise als durch eine Entschädigung wiedergutgemacht werden – zB mit dem sogenannten kleinen Entschädigungsanspruch, der allein die Feststellung vorsieht, dass die Verfahrensdauer überlang war. Danach stand den Bürger laut den Potsdamer Richterinnen und Richtern "keine – jedenfalls keine über die vom Beklagten anerkannte hinausgehende – finanzielle Entschädigung" zu.
Bedeutung für den Bürgergeldempfänger gering – für den Anwalt hingegen hoch
Die Höhe des Entschädigungsanspruchs richtet sich dem LSG zufolge nach der Bedeutung der verzögerten Entscheidung für die Parteien und nach der Komplexität und Schwierigkeit der Sache. Hier verneinte das LSG eine Bedeutung für die Bürger, weil diese wohl nicht damit rechnen mussten, mit den Kosten der Rechtsverfolgung belastet zu werden. Im Übrigen müssten sie die Konsequenzen tragen, wenn sie wegen einer Bagatelle "die Justiz zu Lasten der Allgemeinheit unnötig belasten" würde. Das Gericht vermutete dabei, dass die Verfahren im Wesentlichen im wirtschaftlichen Interesse des Anwalts lagen.
Das BSG hätte möglicherweise anders argumentiert: So hat es etwa im Oktober festgestellt, dass Entscheidungen im Rahmen existenzsichernder Leistungen regelmäßig eine überdurchschnittliche Bedeutung für die Betroffenen haben (Urt. v. 24.08.2023 - L 37 SF 255/21).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
BSG, Dauerhafte Verhinderung eines Richters und überlange Verfahrensdauer, NJW 2023, 243
Becker, Überlanges Gerichtsverfahren infolge Corona-Pandemie, NZS 2023, 719
BSG, Dauerhafte Verhinderung eines Richters und überlange Verfahrensdauer, NJW 2023, 243
BVerfG, Überlange Verfahrensdauer, NZS 2010, 381