Laut EuGH darf ein EU-Staat einem in einem anderen EU-Staat ansässigen Kommunikationsplattform-Anbieter keine generell-abstrakten Verpflichtungen auferlegen. Österreichs Kommunikationsplattformen-Gesetz zur Bekämpfung rechtswidriger Inhalte im Internet sei damit unionrechtswidrig.
In Österreich wurde 2021 ein Kommunikationsplattformen-Gesetz eingeführt, das bezweckt, rechtswidrige Inhalte auf Plattformen wie Facebook oder TikTok zügig zu löschen. Inländische und ausländische Anbieter solcher Plattformen müssen dazu Melde- und Überprüfungsverfahren einrichten. Außerdem müssen sie jährliche Transparenzberichte veröffentlichen. Bei Verstößen kann die Aufsichtsbehörde Geldstrafen in Höhe von bis zu 10 Millionen Euro verhängen.
Google Ireland, Meta Platforms Ireland und TikTok rügten, das österreichische Gesetz verstoße gegen die E-Commerce-Richtlinie 2000/31/EG. Der österreichische Verwaltungsgerichtshof rief dazu den Europäischen Gerichtshof an.
Grundsatz der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat
Der EuGH bestätigte die Auffassung der Plattformen (Urteil vom 09.11.2023 - C-376/22). Die E-Commerce-Richtlinie ziele darauf, einen rechtlichen Rahmen zu schaffen, um den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen. Durch den Grundsatz der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat beseitige sie die Hemmnisse, die die verschiedenen nationalen, auf diese Dienste anwendbaren Regelungen darstellen.
Zwar könnten andere Mitgliedstaaten als der Herkunftsmitgliedstaat des Dienstes unter engen Bedingungen Maßnahmen ergreifen, um die öffentliche Ordnung, den Schutz der öffentlichen Gesundheit, die öffentliche Sicherheit oder den Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher zu gewährleisten. Allerdings dürften sie keine generell-abstrakten Maßnahmen ergreifen, die unterschiedslos für alle Anbieter einer Kategorie von Diensten der Informationsgesellschaft gelten. Unterschiedslos bedeute ohne Unterschied zwischen in diesem Mitgliedstaat ansässigen Diensteanbietern und solchen, die in anderen Mitgliedstaaten niedergelassen sind.
Anderenfalls würde der Grundsatz der Aufsicht im Herkunftsmitgliedstaat in Frage gestellt. Denn könnte der Bestimmungsmitgliedstaat (hier Österreich) solche Maßnahmen erlassen, würde in die Regelungskompetenz des Herkunftsmitgliedstaats (hier Irlands) eingegriffen. Dies würde außerdem das Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten untergraben und gegen den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung verstoßen. Ferner unterlägen die Plattformen unterschiedlichen Rechtsvorschriften; dies liefe auch dem freien Dienstleistungsverkehr und damit dem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts zuwider (Urt. v. 09.11.2023 - C-376/22).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
Liesching, Das Herkunftslandprinzip nach E-Commerce- und AVMD-Richtlinie, MMR-Beil. 2020, 3