Laut Feststellungen des Landgerichts Essen stellte der Apotheker zwischen Januar 2012 und November 2016 in 14.564 Fällen unterdosierte Arzneimittel her und lieferte sie aus. Gegenüber den gesetzlichen Krankenkassen rechnete er allerdings monatsweise unter Vorgabe der ordnungsgemäßen Dosierungen ab.
Dabei nahm er die unterdosierten Zubereitungen ganz überwiegend eigenhändig vor. In Einzelfällen wurden sie aber auch durch ausgewählte Mitarbeiter "auf Veranlassung oder Anweisung und mit zumindest generellem Wissen und Billigung" des Beschwerdeführers hergestellt. Durch das verordnungswidrige und heimliche Einsparen von Wirkstoffen wollte er den Gewinn der Apotheke steigern, um seinen privaten Finanzbedarf zu decken.
Schwierigkeiten bei der Feststellung der Unterdosierung
Das LG Essen verurteilte den Apotheker im Juli 2018 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren. Zugleich ordnete es ein lebenslanges Berufsverbot und die Einziehung des Wertes von Taterträgen in Höhe von 17 Millionen Euro an.
Die Unterdosierung konnte es nur rechenweise feststellen. Bei 25 Wirkstoffen konnte die eingekaufte Wirkstoffmenge nicht für die im Tatzeitraum hergestellten 28.285 Zubereitungen ausreichen. Nach den Berechnungen enthielten 14.498 Zubereitungen keinen Wirkstoff. Das LG verurteilte den Beschwerdeführer in allen nachgewiesenen Fällen als Täter. In Hinblick auf 14.498 Fälle ging es von einer gleichartigen Wahlfeststellung aus.
Sowohl die Revision des Apothekers als auch nun seine Verfassungsbeschwerde blieben ohne Erfolg.
Keine Strafe ohne Schuld
Die Verfassungsrichter sahen den Schuldgrundsatz des Art. 1 Abs. 1 GG nicht verletzt. Denn die aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Idee materieller Gerechtigkeit verlange die Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs zur Sicherung einer am Rechtsgüterschutz orientierten Strafrechtspflege, wenn die Schuld des Angeklagten mit Gewissheit feststehe und sich die Zweifel allein auf Tatsachenfragen bezögen.
Daher sei die vom LG vorgenommene gleichartige Wahlfeststellung nicht zu beanstanden. Zwar habe die Strafkammer auch nach Ausschöpfung der Aufklärungsmöglichkeiten nicht sicher feststellen können, bei welchen 14.498 der insgesamt 28.285 hergestellten Arzneimittelzubereitungen eine Unterdosierung erfolgte. Es sei aber festgestellt worden, dass und wie viele Unterdosierungen es bei den Zubereitungen mit dem jeweiligen Wirkstoff mindestens gegeben hatte. Die abgeurteilten Fälle seien auch ohne Schwierigkeiten von anderen Lebenssachverhalten abzugrenzen, sodass die Gefahr einer Mehrfachverfolgung ausgeschlossen sei.
Auch die Verurteilung des Beschwerdeführers als Täter in den Fällen, in denen die Medikamente nicht durch ihn selbst, sondern nach seinen Vorgaben durch Mitarbeiter hergestellt wurden, begegne keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die Strafkammer habe die zur Begründung der mittelbaren Täterschaft in Gestalt der Organisationsherrschaft erforderlichen Tatsachen festgestellt.
Auch Bestimmtheitsgebot nicht verletzt
Auch das Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG sei nicht verletzt, so das BverfG weiter. Denn die hierin verbürgten Garantien würden durch die Grundsätze der Wahlfeststellung nicht berührt, weil diese nicht strafbarkeitsbegründend wirke.
Die Regeln griffen auch nicht korrigierend in die Entscheidung des Gesetzgebers über strafwürdiges Verhalten ein. Das Rechtsinstitut der Wahlfeststellung komme vielmehr in einer bestimmten prozessualen Lage zur Anwendung, wenn nach abgeschlossener Beweiswürdigung zwar über den konkreten Geschehensablauf Zweifel bestehen, aber sicher feststehe, dass sich der Angeklagte – nach einem bestimmten oder einem von mehreren bestimmten Tatbeständen – strafbar gemacht habe (Beschl. v. 09.08.2023 - 2 BvR 1373/20).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
Bottroper Skandalapotheker erhält Approbation nicht zurück, RDG 2022, 254