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Vergütungsregelung für Inhaftierte verfassungswidrig

BVerfG
Die Ver­gü­tungs­re­geln für Straf­ge­fan­ge­ne in Bay­ern und Nord­rhein-West­fa­len sind mit dem Re­so­zia­li­sie­rungs­ge­bot aus Art. 2 Abs. 1 GG in Ver­bin­dung mit Art. 1 Abs. 1 GG un­ver­ein­bar. Das ent­schied heute das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in Karls­ru­he. Die Vor­schrif­ten blei­ben aber bis zu einer ge­setz­li­chen Neu­re­ge­lung, längs­tens bis zum 30.06.2025, wei­ter an­wend­bar.

Vergütung plus Freistellung

In Bayern und Nordrhein-Westfalen erhalten Strafgefangene für im Strafvollzug geleistete Arbeit ein Arbeitsentgelt nach Art. 46 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG und § 32 Abs. 1 Satz 2 StVollzG NRW als sogenannte Eckvergütung in Höhe von 9% der Bezugsgröße, dem durchschnittlichen Arbeitsentgelt aller Versicherten der Deutschen Rentenversicherung des vorvergangenen Kalenderjahres. Ein Tagessatz ist der zweihundertfünfzigste Teil der Eckvergütung. In beiden Ländern kann das Arbeitsentgelt je nach Leistung der Gefangenen und der Art der Arbeit gestuft werden. 75% der Eckvergütung dürfen nach Art. 46 Abs. 3 BayStVollzG nur dann unterschritten werden, wenn die Arbeitsleistungen der Gefangenen den Mindestanforderungen nicht genügen. Hinzu kommt ein nicht monetärer Teil der Vergütung: Haben die bayerischen Gefangenen zwei Monate lang zusammenhängend gearbeitet, so werden sie auf ihren Antrag hin gemäß Art. 46 Abs. 6 Satz 1 BayStVollzG einen Werktag von der Arbeit freigestellt. In Nordrhein-Westfalen erhalten Gefangene auf Antrag für drei Monate zusammenhängender Ausübung einer Arbeit oder einer Hilfstätigkeit zwei Tage Freistellung von der Arbeitspflicht oder Langzeitausgang gemäß § 34 Abs. 1 StVollzG NRW. Wird ein solcher Antrag nicht gestellt oder kann die Freistellung nicht gewährt werden, so werden die Freistellungstage auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet.

Verfassungsbeschwerden begründet

Die Beschwerdeführer verbüßen Haftstrafen in den beiden Bundesländern und beantragen jeweils eine Erhöhung ihres Arbeitsentgelts. Dies wurde von den Justizvollzugsanstalten und den Fachgerichten abgelehnt. Erst vor dem BVerfG erhieltendie beiden Recht. Die mittelbar angegriffenen Regelungen in Art. 46 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 und Abs. 6 Satz 1 BayStVollzG sowie § 32 Abs. 1 Satz 2, § 34 Abs. 1 StVollzG NRW seien mit dem Resozialisierungsgebot aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG nicht vereinbar. Die Verfassung gebiete, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung der Gefangenen auszurichten. Der einzelne Gefangene habe einen grundrechtlichen Anspruch darauf, dass dieser Zielsetzung bei ihn belastenden Maßnahmen genügt werde. Das Resozialisierungsgebot verpflichte den Gesetzgeber dazu, ein wirksames und in sich schlüssiges, am Stand der Wissenschaft ausgerichtetes Resozialisierungskonzept zu entwickeln und dieses mit hinreichend konkretisierten Regelungen des Strafvollzugs umzusetzen. Der Staat müsse den Strafvollzug zudem so ausstatten, wie es zur Realisierung des Vollzugsziels erforderlich ist.

Resozialisierungskonzept muss klar erkennbar sein

Die Bedeutung, die der Arbeit als Behandlungsmaßnahme und der hierfür vorgesehenen (Gesamt-)Vergütung im Rahmen dieses Gesamtkonzepts beigemessen wird, müsse in sich stimmig im Gesetz festgeschrieben werden. Insbesondere müsse die jeweilige Gewichtung des monetären und nicht monetären Teils der Vergütung innerhalb des Gesamtkonzepts erkennbar sein. Auch Auswahl und Umfang der nicht monetären Vergütungsteile müssten in ihrer Gewichtung und Bedeutung gesetzlich festgelegt werden. Der Gesetzgeber sei dabei aber nicht auf ein bestimmtes Regelungskonzept festgelegt, sondern ihm stehe im Rahmen der Verpflichtung zur Entwicklung eines wirksamen Konzepts ein weiter Gestaltungsraum zur Verfügung. Sehe der Gesetzgeber im Rahmen des Resozialisierungskonzepts Arbeit als Behandlungsmaßnahme zur Erreichung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots vor, müsse aus den gesetzlichen Regelungen klar erkennbar sein, welcher Stellenwert dem Faktor Arbeit im Gesamtkontext des Resozialisierungskonzepts beigemessen wird. Hierbei sei insbesondere gesetzlich festzuschreiben, in welchem Verhältnis (Pflicht-)Arbeit zu anderen Behandlungsmaßnahmen, etwa zur schulischen und beruflichen Aus- und Weiterbildung, zur Arbeitstherapie und zu therapeutischen Behandlungs-oder anderen Hilfs- oder Fördermaßnahmen steht.

Angemessene Anerkennung der Arbeit wichtig

Laut BVerfG folgt weiter aus dem verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebot, dass Arbeit im Strafvollzug nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel ist, wenn die geleistete Arbeit angemessene Anerkennung findet. Die Arbeit im Strafvollzug bereite vor allem dann auf das Erwerbsleben in Freiheit vor, wenn sie durch ein Entgelt vergütet werde. Allerdings könne der Vorteil für die erbrachte Leistung in unterschiedlicher Weise zum Ausdruck kommen. Beispielsweise könne der Gesetzgeber eine angemessene Anerkennung von Arbeit auch dadurch vorsehen, dass Gefangene durch Arbeit ihre Haftzeit verkürzen ("good time") oder in sonstiger Weise erleichtern können. Da die Angemessenheit der Vergütung von Gefangenenarbeit auch davon abhänge, welchen Zwecken das Arbeitsentgelt im Rahmen des Resozialisierungskonzepts dienen soll, sei der Gesetzgeber gehalten, diese gesetzlich festzuschreiben. Sehe der Gesetzgeber ein System (hauptsächlich) finanzieller Vergütung für Gefangenenarbeit vor, so sei es ihm nicht verwehrt, auch einen Haftkostenbeitrag vorzusehen. Das Resozialisierungsgebot fordere aber in der für Strafgefangene typischen Situation einen Ausgleich zwischen dem staatlichen Interesse an einer Kostendeckung und den wirtschaftlichen Interessen und finanziellen Möglichkeiten der Gefangenen. Dies erfordere eine gesetzliche Regelung, nach der der Haftkostenbeitrag so bemessen werde, dass dem Gefangenen von der Vergütung jedenfalls ein angemessener Betrag verbleibe.

Bayern ohne schlüssiges Resozialisierungskonzept

Ausgehend davon werden die gesetzlich festgeschriebenen Resozialisierungskonzepte des Freistaats Bayern und des Landes Nordrhein-Westfalen laut BVerfG den oben genannten Maßstäben nicht gerecht werden. So seien in Art. 2 bis 6 BayStVollzG mehrere Vollzugsziele und in Art. 3 Satz 3 BayStVollzG eine Reihe von Behandlungsmaßnahmen aufgeführt, die nebeneinanderstehen, ohne erkennbar aufeinander abgestimmt zu sein. Arbeit, arbeitstherapeutische Beschäftigung, Ausbildung und Weiterbildung stellten offenbar wichtige, wenn nicht sogar die wichtigsten Behandlungsmaßnahmen dar. Die Regelungen zur Arbeitspflicht (Art. 43 BayStVollzG) und zu Art und Höhe der Vergütung (Art. 46 BayStVollzG) seien dabei im Wesentlichen ohne neue Erwägungen, Überprüfungen oder Anpassungen aus den vorher geltenden bundesgesetzlichen Regelungen übernommen worden.

Zu wenig Lohn für zu viele Verpflichtungen

Daneben sind laut BVerfG einige gesetzlich festgelegte Zwecke hinzugekommen, für die der Lohn verwendet werden soll. So habe Art. 78 Abs. 2 Satz 2 BayStVollzG a. F. vorgesehen, dass die Gefangenen anzuhalten seien, den durch die Straftat verursachten Schaden zu regeln. Mit der Einführung des Art. 5a BayStVollzG im Juni 2018 sollte ausweislich der Gesetzesbegründung der Opferschutz noch deutlicher hervorgehoben und die bisherige Regelung des Art. 78 Abs. 2 BayStVollzG a.F. im Wesentlichen übernommen werden. Außerdem seien die Gefangenen in dem Bemühen zu unterstützen, ihre Rechte und Pflichten wahrzunehmen und für Unterhaltsberechtigte zu sorgen. Angesichts der geringen monetären Vergütung erscheint es dem BVerfG widersprüchlich und im Regelfall realitätsfern, dass Gefangene gleichwohl im Rahmen des immer weiter ins Zentrum des Resozialisierungskonzepts gerückten Opferschutzes dazu angehalten werden sollen, den durch die Straftat verursachten Schaden wiedergutzumachen und darüber hinaus noch für Unterhaltsberechtigte sorgen. Insofern erschließe sich nicht, wie diese Anforderungen von den Gefangenen erfüllt werden sollen, ohne dass ihnen mehr Lohn für die von ihnen geleistete Arbeit zur Verfügung stünde.

Regelung zur Resozialisierung erfolgt über Verwaltungsvorschriften

Des weiteren moniert das Verfassungsgericht, dass der Bayerische Gesetzgeber nicht selbst Wesentliches für die Verwirklichung des Grundrechts der Gefangenen auf Resozialisierung geregelt hat. Ausführungen dazu, was die Pläne beinhalten sollen, fänden sich lediglich in Verwaltungsvorschriften. Da es sich bei den Angaben im Vollzugsplan um für die Resozialisierung bedeutsame Gesichtspunkte für die Durchführung des Strafvollzugs handele, dürfe der Landesgesetzgeber deren Regelung nicht der Verwaltung überlassen, so die Verfassungsrichter. Gleiches gelte für das Verfahren zur Aufstellung und Fortschreibung der Vollzugspläne, und zur Kostenbeteiligung der Gefangenen an Gesundheitsleistungen im Sinne des Art. 63 BayStVollzG, die ebenfalls nur in Verwaltungsvorschriften geregelt seien. Solche Regelungen, die letztlich grundrechtsrelevant seien, müsse der Gesetzgeber im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens, das auch der (Fach-)Öffentlichkeit Gelegenheit bieten soll, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten, selbst treffen. Im Zuge des Erlasses des Bayerischen Strafvollzugsgesetzes sei  soweit ersichtlich auch keine Evaluation beziehungsweise wissenschaftliche Begleitung hinsichtlich der Wirkungen von Arbeit und Ausbildung als Behandlungsmaßnahmen und ihrer Vergütung erfolgt. Das verfassungsrechtliche Resozialisierungsgebot verlange aber hinsichtlich der Gefangenenarbeit und ihrer Vergütung zumindest eine wissenschaftlich begleitete Evaluation der einzubeziehenden Faktoren.

NRW: Persönlichkeitsentwicklung durch Arbeit keine Gegenleistung für Arbeit

Auch das Konzept zur Umsetzung und Erreichung des verfassungsrechtlichen Resozialisierungsgebots des Strafvollzugsgesetzes Nordrhein-Westfalen ist laut BVerfG in sich nicht schlüssig und widerspruchsfrei. So seien die Regelungen zur Beschäftigungspflicht nach § 29 Abs. 1 und Abs. 3 StVollzG NRW sowie zur Art und Höhe der Vergütung nach den §§ 32 und 34 StVollzG NRW ohne wesentliche neue Erwägungen aus dem vorher geltenden Strafvollzugsgesetz des Bundes übernommen worden. In Bezug auf die nicht monetäre Komponente sei allerdings durch eine geringfügige Erhöhung der Freistellungtage eine Änderung zugunsten der Gefangenen vorgenommen worden.  Soweit mehrere sachkundige Dritte im Rahmen der mündlichen Verhandlung angegeben haben, Arbeit sei eine selbstverständliche Maßnahme im Strafvollzug, die weniger durch die Aussicht auf ein Entgelt als vielmehr durch persönliche Erfahrungen geprägt sei, spreche zwar viel dafür, dass ein positives Arbeitsverhalten die Persönlichkeitsentwicklung und die Vollzugsgestaltung insgesamt bis hin zur Entlassungsprognose des Gefangenen günstig beeinflussen kann. Hierbei handele es sich aber nicht um Vergünstigungen, die in einem direkten Bezug zu der konkreten Arbeitsleistung eines Gefangenen stehen und als deren Anerkennung im Sinne einer angemessenen Gegenleistung für die geleistete Arbeit bewertet werden können.

Kein guter Gesamteindruck zum finanziellen Handlungsspielraum der Gefangenen

Auch in NRW monieren die Verfassungsrichter die vielfältigen Bereiche, denen das Arbeitsentgelt dienen soll, wie für ihre Unterhaltsberechtigten zu sorgen (§ 4 Abs. 3 StVollzG NRW) und den durch ihre Tat verursachten Schaden auszugleichen (§ 7 Abs. 2 Satz 3 StVollzG NRW). Auch mit Blick auf den in der mündlichen Verhandlung gewonnenen Gesamteindruck zum finanziellen Handlungsspielraum der Gefangenen sei es angesichts des in der Haft erreichbaren Entgelts widersprüchlich und realitätsfern, dass diese einen so formulierten Behandlungserfolg erzielen und entsprechenden Verpflichtungen nachkommen können. Auch die im Strafvollzugsgesetz NRW festgelegte Regelung, wonach die Gefangenen an den Kosten für den Betrieb elektronischer Geräte, für Gesundheitsleistungen oder für Suchtmitteltests beteiligt werden beziehungsweise beteiligt werden können, sehen die Verfassungsrichter kritisch. Erläuterungen dazu, wie die genannten Vollzugsziele angesichts der niedrigen Vergütung für Gefangenenarbeit und der vermehrten Beteiligung der Gefangenen an den Kosten des Vollzugs erreicht werden können, seien der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. Insofern sei es nicht nachvollziehbar, wie diese unterschiedlichen finanziellen Leistungen von den Gefangenen tatsächlich erbracht werden sollen. Im Rahmen der Evaluierungs- und Beobachtungsmaßnahmen sei bisher keine nähergehende wissenschaftliche Untersuchung oder Begleitung der Auswirkungen von Arbeit im Vollzug und deren Vergütung vorgenommen worden. Dies werde den Anforderungen des Resozialisierungsgebots nicht gerecht, so das Bundesverfassungsgericht abschließend (Urt. v. 20.06.2023 - 2 BvR 166/16).

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

  • Frammersberger/Kühne, Die unliebsamen Kosten der Resozialisierung, NStZ 2022, 522

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