Das bloße Betreten des Zimmers einer Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge durch den Polizeivollzugsdienst zum Zweck der Überstellung eines ausreisepflichtigen Ausländers ist keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG und daher ohne vorherige richterliche Durchsuchungsanordnung rechtens. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden.
Klage gegen Hausordnung in Erstaufnahmeinrichtung
Die Antragsteller im Normenkontrollverfahren 1 CN 1.22 waren als Asylbewerber nach ihrer Ankunft in Deutschland zunächst in der Landeserstaufnahmeeinrichtung (LEA) in Freiburg untergebracht. Sie wenden sich gegen Regelungen der damals geltenden Hausordnung über die Durchführung von Zimmerkontrollen durch Mitarbeiter des Regierungspräsidiums Freiburg und private Dienstleister. Die Antragsteller hielten ihre Anträge auch nach Verlassen der LEA aufrecht. Der Verwaltungsgerichtshof erachtete den Antrag, soweit er sich gegen die Befugnisse zum Betreten und Kontrollieren der Zimmer der Bewohner richtete, für zulässig und stellte die Unwirksamkeit der entsprechenden Regelungen der Hausordnung fest (BeckRS 2022, 2836).
Klage gegen nächtliches Betreten des Zimmers zwecks Überstellung
Der Kläger im Verfahren 1 C 10.22 wandte sich gegen das Betreten seines Zimmers in der LEA in Ellwangen durch den Polizeivollzugsdienst zur Nachtzeit anlässlich seiner Überstellung nach Italien im Juni 2018. Das Begehren, die Rechtswidrigkeit dieser Maßnahme feststellen zu lassen, ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Der VGH hat das Betreten des Zimmers als Teil einer spezialgesetzlich geregelten Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung ohne vorherige richterliche Durchsuchungsanordnung für zulässig erachtet. Bei dem Betreten habe es sich um keine Durchsuchung gehandelt. Das Landesverwaltungsvollstreckungsgesetz (LVwVG) ermächtige zum Betreten des Zimmers durch Polizeivollzugsbeamte auch zur Nachtzeit (NJOZ 2022, 1074).
BVerwG verneint Rechtsschutzbedürfnis und Durchsuchung
Das BVerwG hat im Verfahren 1 CN 1.22 auf die Revision des beklagten Landes das Urteil des VGH geändert und den Normenkontrollantrag mangels Rechtsschutzbedürfnisses der nicht mehr in der LEA wohnenden Antragsteller als unzulässig abgelehnt. Im Verfahren 1 C 10.22 hat es die Revision des Klägers zurückgewiesen. Bei dem vom Kläger bewohnten Zimmer in der LEA habe es sich um eine Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG gehandelt. Zum nächtlichen Betreten dieses Zimmers sei der Polizeivollzugsdienst nach § 6 LVwVG befugt. Da es nach den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz über das bloße Betreten des Zimmers hinaus zu keiner Durchsuchungshandlung im Sinne eines ziel- und zweckgerichteten Suchens nach etwas Verborgenem kam, bedurfte die Maßnahme nach Ansicht des BVerwG keiner vorherigen richterlichen Durchsuchungsanordnung (Art. 13 Abs. 2 GG). Das Betreten des Zimmers sei des Weiteren zur Verhütung einer dringenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach Art. 13 Abs. 7 GG erforderlich gewesen, weil es galt, den vollziehbar ausreisepflichtigen Kläger noch am selben Tag nach Italien zu überstellen (Urt. v. 15.06.2023 - 1 CN 1.22).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
- VGH Mannheim, Normenkontrollverfahren, Hausordnung, Landeserstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge, LEA, Zutrittskontrollen, Zimmerkontrollen, Private Dienstleister, Rechtsschutzbedürfnis, BeckRS 2022, 2836 (Vorinstanz zu Az.: 1 CN 1.22)
- VGH Mannheim, Wohnungsdurchsuchung zum Zwecke der Abschiebung, NJOZ 2022, 1074 (Vorinstanz zu Az.: 1 C 10.22)