Friseurin verlangt Entschädigung wegen entgangener Einnahmen
Baden-Württemberg untersagte im März 2020 per Verordnung vorübergehend den Betrieb zahlreicher Einrichtungen, darunter auch Friseurbetriebe. Infolgedessen war auch der Friseurbetrieb der Klägerin vom 23.03. bis zum 04.05.2020 geschlossen. Aus dem Soforthilfeprogramm des beklagten Landes erhielt sie 9.000 Euro, die sie allerdings zurückzahlen muss. Die Klägerin verlangt von der Beklagten eine Entschädigung in Höhe von 8.000 Euro für die mit der Betriebsschließung verbundenen erheblichen finanziellen Einbußen in Form von Verdienstausfall und Betriebsausgaben. Sie ist der Ansicht, die Maßnahme ist zum Schutz der Allgemeinheit nicht erforderlich gewesen.
BGH schließt Haftung des Staats aus
Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Der BGH hat seine Rechtsprechung bestätigt, wonach Gewerbetreibenden, die im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als infektionsschutzrechtliche Nichtstörer durch eine flächendeckende, rechtmäßig angeordnete Schutzmaßnahme, insbesondere eine Betriebsschließung oder Betriebsbeschränkung, wirtschaftliche Einbußen erlitten haben, weder nach den Vorschriften des Infektionsschutzgesetzes noch nach dem allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht oder kraft Richterrechts Entschädigungsansprüche zustehen.
Staatliche Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürger
Die sechswöchige Betriebsuntersagung für Friseure sei auch unter Berücksichtigung der aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden Berufsfreiheit und des von Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Rechts am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb verhältnismäßig gewesen. Die landesrechtlichen Regelungen, die Betriebsschließungen anordneten, hätten das Ziel verfolgt, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen und die durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen Gefahren, insbesondere auch die der Überlastung des Gesundheitssystems, zu bekämpfen. Damit habe der Staat seine Schutzpflicht für Leben und Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger erfüllt und mithin einen legitimen Zweck verfolgt.
Grundrechtseingriff durch staatlichen Hilfsmaßnahmen relativiert
Das Gewicht des Eingriffs in die vorgenannten Grundrechtspositionen sei durch die verschiedenen und umfangreichen staatlichen Hilfsmaßnahmen für die von der Betriebsuntersagung betroffenen Unternehmen entscheidend relativiert worden, führt der BGH weiter aus. Allein die "Soforthilfe Corona", die ab dem 25.03.2020 zur Verfügung stand, und für Betriebe mit bis zu fünf Beschäftigen bis zu 9.000 Euro betragen konnte, habe in Baden-Württemberg zu 245.000 Bewilligungen mit einem Gesamtvolumen von 2,1 Milliarden Euro geführt. Der Verordnungsgeber habe zudem von Anfang an eine "Ausstiegs-Strategie" im Blick gehabt und ein schrittweises Öffnungskonzept verfolgt.
Begrenzte finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates
Der Umstand, dass die infektionsschutzrechtlichen Betriebsuntersagungen aus dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 nach dem geltenden Recht (§ 32 IfSG in Verbindung mit § 28 Abs. 1 Satz 1 und 2 IfSG, §§ 56, 65 IfSG) keine Schadenersatz- oder Entschädigungsansprüche begründen, sei auch im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG nicht zu beanstanden. Der Gesetzgeber sei verfassungsrechtlich nicht verpflichtet gewesen, für Belastungen, wie sie für die Klägerin mit der in den Betriebsuntersagungen liegenden Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG einhergingen, Ausgleichsansprüche zu regeln. Eine Betriebsschließung von sechs Wochen war laut BGH angesichts der gesamten wirtschaftlichen, sozialen und sonstigen Auswirkungen der Pandemie und unter Berücksichtigung des grundsätzlich von der Klägerin zu tragenden Unternehmerrisikos nicht unzumutbar. Die finanzielle Leistungsfähigkeit des Staates sei begrenzt. Dementsprechend müsse sich der Staat in Pandemiezeiten gegebenenfalls auf seine Kardinalpflichten zum Schutz der Bevölkerung beschränken (Urt. v. 11.05.2023 - III ZR 41/22).