Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Unterricht per Videokonferenz-Livestream unter die Datenschutzgrundverordnung fällt. In einem Streit aus Hessen ging es um die Frage, ob ein solcher Unterricht ohne Einwilligung der Lehrkräfte in die Datenverarbeitung zulässig ist. Der EuGH meldete zwar Zweifel an einer hessischen Regelung als "spezifischerer Vorschrift" an, verwies aber auf Art. 6 Abs. 3 DS-GVO als mögliche Rechtsgrundlage.
Schulunterricht per Videokonferenz ohne Einwilligung der Lehrkräfte zulässig?
Der hessische Kultusminister regelte 2020 per Erlass für Schüler die Möglichkeit, wegen Corona per Videokonferenz-Livestream am Schulunterricht teilzunehmen. Die Schüler oder bei Minderjährigen ihre Eltern mussten dafür ihre Einwilligung erteilen. Für die betroffenen Lehrkräfte war die Teilnahme am Videokonferenzdienst hingegen nicht an ihre Einwilligung gebunden. Dagegen klagte der Hauptpersonalrat der Lehrerinnen und Lehrer beim Hessischen Kultusministerium. Der Minister machte dagegen geltend, die Verarbeitung personenbezogener Daten der Lehrkräfte beim Videokonferenz-Unterricht sei von § 23 Abs. 1 Satz 1 HDSIG gedeckt, sodass deren Einwilligung nicht erforderlich sei. Das mit der Klage befasste VG Wiesbaden hatte Zweifel an der Unionsrechtskonformität der als "spezifischere Vorschrift" im Sinn des Art. 88 Abs. 1 DS-GVO erlassenen hessischen Regelung und rief den EuGH an.
EuGH zweifelt an "spezifischerer Vorschrift"
Laut EuGH fällt die Verarbeitung personenbezogener Daten von Lehrkräften beim öffentlichen Schulunterricht per Videokonferenz in den sachlichen Anwendungsbereich der DS-GVO sowie in den persönlichen Anwendungsbereich des Art. 88 DS-GVO, der auf die Verarbeitung personenbezogener Beschäftigtendaten im Beschäftigungskontext abstellt. Als den Mitgliedstaaten erlaubte "spezifischere Vorschriften" im Sinn des Art. 88 Abs. 1 DS-GVO seien nur solche Vorschriften zu qualifizieren, die die Vorgaben des Art. 88 Abs. 2 DS-GVO erfüllten. Ob die hessische Regelung den Anforderungen des Art. 88 DSGVO genüge, müsse das VG klären. Der EuGH meldet allerdings Zweifel an der Einstufung als "spezifischere Vorschrift" an, da dem Anschein nach lediglich eine in der DS-GVO aufgestellte Bedingung für die allgemeine Rechtmäßigkeit wiederholt werde.
Aber Art. 6 Abs. 3 DS-GVO ist zu prüfen
Komme das VG zu dem Ergebnis, dass keine "spezifischere Vorschrift" vorliege, müsse es aber prüfen, ob die hessische Regelung auf Art. 6 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 lit. c (Erfüllung einer rechtlichen Verpflichtung) oder e (öffentliches Interesse) DS-GVO gestützt werden könne. Nur wenn dies nicht der Fall sei, müsse die hessische Regelung unangewendet bleiben (Urt. v. 30.03.2023 - C-34/21).
Weiterführende Links
Aus der Datenbank beck-online
- Gola/Klug, Die Entwicklung des Datenschutzrechts, NJW 2023, 658
- Wybitul, Der neue Beschäftigtendatenschutz nach § 26 BDSG und Art. 88 DSGVO, NZA 2017, 413