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Willkürliche Kostenentscheidung nach Untätigkeitsklage

BVerfG
Die Er­he­bung einer Un­tä­tig­keits­kla­ge nach Ab­lauf der War­te­frist ist grund­sätz­lich nicht treu­wid­rig. Dies un­ter­streicht das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt, dass auf Ver­fas­sungs­be­schwer­de einer SGB-II-Be­zie­he­rin eine so­zi­al­ge­richt­li­che Kos­ten­grund­ent­schei­dung wegen Ver­sto­ßes gegen das Will­kür­ver­bot auf­ge­ho­ben hat. Das So­zi­al­ge­richt habe nicht nach­voll­zieh­bar eine ge­ne­rel­le Pflicht zur noch­ma­li­gen Nach­fra­ge vor Er­he­bung der Un­tä­tig­keits­kla­ge an­ge­nom­men.

SG versagte Kostenerstattung für Untätigkeitsklage

Der Anwalt der Beschwerdeführerin hatte nach Abhilfe durch das Jobcenter in einem SGB-II-Widerspruchsverfahren und entsprechender Kostenentscheidung einen Kostenfestsetzungsantrag gestellt. Als das Jobcenter nach sechs Monaten noch keine Kostenfestsetzungsentscheidung getroffen hatte, erhob die Beschwerdeführerin durch ihren Anwalt Untätigkeitsklage beim Sozialgericht. In der Folge erließ das Jobcenter einen Kostenfestsetzungsbescheid, woraufhin die Beschwerdeführerin und das Jobcenter den Rechtsstreit für erledigt erklärten. Die Beschwerdeführerin beantragte die Erstattung ihrer außergerichtlichen Kosten. Das SG lehnte den Antrag etwa sieben Monate später ab. Eine Kostenerstattung sei unbillig, so das Gericht. Denn die Beschwerdeführerin habe sich vor Erhebung der Untätigkeitsklage nicht mehr an das Jobcenter gewandt und sei damit ihrer Obliegenheit zur Schadensminderung nicht nachgekommen. Aus demselben Grund sei die Klage auch mutwillig. Dagegen wandte sich die Beschwerdeführerin mit ihrer Verfassungsbeschwerde und rügte unter anderem die Verletzung des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG.

BVerfG: Verstoß gegen Willkürverbot

Die Verfassungsbeschwerde hatte Erfolg. Das BVerfG hat den SG-Beschluss aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Die Entscheidung des SG verletze die Beschwerdeführerin in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot. Das SG habe bei der Kostengrundentscheidung § 193 SGG in nicht mehr nachvollziehbarer Weise angewendet. Sei die Untätigkeitsklage - wie hier - aufgrund Fristablaufs und mangels zureichenden Grundes für die Verspätung zulässig und begründet, sei zwar nicht ausgeschlossen, dass das Gericht in pflichtgemäßer Ausübung seines Ermessens aus Gründen der Billigkeit gleichwohl eine Kostenerstattung ablehnt. Hier habe das SG aber den seine Ermessensausübung leitenden Grundsatz, ein anwaltlich vertretener Leistungsempfänger müsse sich grundsätzlich vor Erhebung einer Untätigkeitsklage nochmals an den Leistungsträger wenden und deutlich machen, dass eine Entscheidung über einen Antrag oder Rechtsbehelf noch ausstehe und die Behörde bei weiterem Ausbleiben einer Entscheidung mit einer Untätigkeitsklage rechnen müsse, nicht nachvollziehbar aus dem geltenden Recht abgeleitet. Weder § 88 SGG noch § 193 SGG lasse sich eine solche allgemeine Pflicht entnehmen.

Untätigkeitsklage nach Ablauf der Wartefrist grundsätzlich nicht treuwidrig

Ferner verstoße es grundsätzlich nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn nach Ablauf der Wartefrist mit der Erhebung einer zulässigen Untätigkeitsklage eine formale Rechtsposition ausgenutzt wird. Denn der Gesetzgeber habe selbst geregelt, wie lange die Betroffenen zuwarten müssten. Die Erhebung der Untätigkeitsklage ohne erneute Fristsetzung sei auch nicht deshalb generell mutwillig, weil eine bemittelte Partei anders gehandelt hätte. Es sei schon nicht nachvollziehbar, inwiefern der von dem SG angestellte Vergleich mit einer bemittelten Partei im vorliegenden Verfahren Bedeutung haben könnte, denn es gehe hier nicht um Prozesskostenhilfe. Soweit sich das SG für eine generelle Nachfragepflicht auf das Gebot der Rücksichtnahme berufe, habe es dies nicht nachvollziehbar begründet.

Kein missbräuchliches Handeln aufgrund besonderer Einzelfallumstände

Die Mutwilligkeit könne auch nicht mit dem SG daraus abgeleitet werden, dass mit dem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 86b SGG ein "besseres Mittel" zur Verfügung stehe. Dagegen spreche bereits, dass § 86b Abs. 2 SGG weitergehende Voraussetzungen statuiert. Insbesondere müsse Eilbedürftigkeit bestehen. Die Untätigkeitsklage setze hingegen keine Eilbedürftigkeit voraus. Ein missbräuchliches Handeln der Beschwerdeführerin habe das SG nicht dargelegt. Es habe keine Besonderheiten des Falles angeführt, die ihr Verhalten als einen Missbrauch von Rechten oder ein in sonstiger Weise unredliches oder gar sittenwidriges Verhalten erscheinen lassen könnten (Beschl. v. 08.02.2023 - 1 BvR 311/22).

Weiterführende Links

Aus der Datenbank beck-online

  • Wittmann, Die verwaltungsgerichtliche Untätigkeitsklage in der gerichtlichen Praxis, JuS 2017, 842

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