Macht eine Verwaltungsbehörde eine Schenkung im engen familiären Umfeld wegen Verarmung rückgängig und leitet die Rückforderungsansprüche dann auf sich selbst über, muss sie die Schenker zuvor umfassend anhören. Andernfalls ist die Maßnahme laut Bundessozialgericht rechtswidrig, weil bei der Ermessensbetätigung ein unvollständiger Sachverhalt zugrunde gelegt wurde.
Behörde verlangt Ansprüche auf Rückforderung einer Schenkung nach Verarmung
Ein Sohn klagte gegen die Überleitung eines Anspruchs auf Rückforderung einer Schenkung wegen Verarmung seiner inzwischen verstorbenen Eltern durch den Bezirk Unterfranken. Diese hatten ihm 1999 ihr Hausgrundstück übereignet. Im Gegenzug räumte er ihnen ein lebenslanges Wohnungs- und Benutzungsrecht ein. 2014 veranlassten Vater und Mutter die Löschung von Wohnungsrecht und Nießbrauch. Sie zogen dauerhaft ins Pflegeheim und erhielten seit Dezember 2014 neben ihren Altersrenten vom Beklagten Sozialhilfe. Dieser ermittelte einen Wert des Wohnungs- und Mitbenutzungsrechts in Höhe von circa 55.000 Euro und leitete die elterlichen Ansprüche gegen den Abkömmling auf Rückforderung der Schenkung wegen Verarmung des Schenkers auf sich über.
LSG: Keine Ermessensfehler erkennbar
Der Widerspruch sowie die Klage beim Sozialgericht München und beim Bayerischen Landessozialgericht scheiterten. Die Überleitungsanzeigen seien hinreichend bestimmt gewesen. Die vollständige Prüfung, ob und in welcher Höhe der überzuleitende Anspruch tatsächlich bestehe und ob dieser verjährt sei, sei der Zivilgerichtsbarkeit vorbehalten, solange dieser nicht offensichtlich ausgeschlossen sei. Den Einwand des Klägers, seine Eltern seien gar nicht hilfebedürftig im Sinne des SGB XII gewesen, könne er ebenfalls nur im zivilrechtlichen Verfahren vorbringen. Selbst wenn dies bereits jetzt zu prüfen sei, habe kein verwertbares Vermögen der Eltern vorgelegen. Ermessensfehler seien nicht erkennbar. Die Revisionsinstanz hob die Überleitungsanzeigen auf.
Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt
Dem BSG zufolge sind die Überleitungsanzeigen jedenfalls deshalb rechtswidrig, weil die Behörde bei ihrem Erlass das ihr zustehende Ermessen nicht pflichtgemäß ausgeübt habe. Zwar habe sie als zulässigen Ermessensgesichtspunkt die angestrebte Wiederherstellung des Nachrangs der Sozialhilfe genannt. Entgegen seiner Pflicht, alle Ermessensgesichtspunkte, die nach der Lage des Falls zu berücksichtigen sind, in die Entscheidungsfindung miteinzubeziehen, habe das Amt es dennoch unterlassen, den Sachverhalt umfassend zu ermitteln und die Eltern anzuhören, monierten die Kasseler Richter. Gerade bei der Überleitung eines Schenkungsrückforderungsanspruchs im engen familiären Umfeld, mit dem eine häufig aus ideellen Motiven getroffene unentgeltliche Zuwendung rückgängig gemacht werde und die typischerweise in die familiären Verhältnisse eingreife, dürfe davon aber nicht zuletzt im Hinblick auf das Gebot familiengerechter Leistungen (§ 16 SGB XII) abgewichen werden. Damit habe der Bezirk bei seiner Ermessensbetätigung einen unvollständigen Sachverhalt zugrunde gelegt. Darin sei ein Ermessensfehlgebrauch im Sinne eines Abwägungsdefizits zu sehen (BSG, Urteil vom 23.02.2023 - B 8 SO 9/21 R).