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NVwZ Editorial

Der Koalitionsvertrag und die Verfahrensbeschleunigung

Präsident des BVerwG Professor Dr. Andreas Korbmacher, Leipzig

9/2025

Beschleunigung ist das Gebot der Stunde. Das hatte schon die letzte Koalition mit ihrem „Deutschlandtempo“ erkannt. Auch der neue Koalitionsvertrag ist durchzogen von Beschleunigungsvorsätzen. Dies gilt in besonderem Maße für alle Arten von staatlichen Genehmigungen: „Notwendig ist eine grundsätzliche Überarbeitung von Planungs-, Bau, Umwelt-, Vergabe- und des (Verwaltungs-)Verfahrensrechts“ heißt es in Zeile 682, 683 des Vertrages. Konkret wird u.a. ein einheitliches Verfahrensrecht für Infrastrukturvorhaben angestrebt. Wer die Zeitabläufe von Verwaltungsverfahren und Verwaltungsstreitverfahren kennt, kann hier im Grundsatz nur zustimmen. Allein es fehlt mir der Glaube, dass diesmal der große Wurf gelingen und alles anders wird. Dafür hat es in der Vergangenheit schon zu viele Beschleunigungsgesetze gegeben: Das erste Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz stammt von 1991 (BGBl. I S. 2174), es folgten neun weitere Beschleunigungsgesetze, das letzte war 2024 das Gesetz zur Verbesserung des Klimaschutzes und zur Beschleunigung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren (BGBl. I 2024 Nr. 225). Nahezu alles, was im aktuellen Koalitionsvertrag zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren vorgeschlagen wird, findet sich bereits in dem einen oder anderen dieser Gesetze. Immerhin wird im Koalitionsvertrag erkannt, dass ohne eine Änderung – und das heißt: Reduzierung – der materiell-rechtlichen Anforderungen substanzielle Verfahrensbeschleunigungen nicht erreichbar sind und eine Änderung von Unionsrecht erforderlich ist. Das gilt gleichermaßen für das Verbandsklagerecht, das man angesichts der eindeutigen und verbandsklagefreundlichen Rechtsprechung des EuGH im nationalen Alleingang ebenso wenig substanziell einschränken kann. 

Im klaren Widerspruch zu den allgegenwärtigen Beschleunigungsbemühungen stehen die Überlegungen im Abschnitt 1.2 des Koalitionsvertrags, die „sozialrechtlichen Rechtsgebiete Wohngeld, BAföG, Unterhaltsvorschuss sowie die Kinder- und Jugendhilfe nach dem SGB VIII“ der Zuständigkeit der Sozialgerichte zuzuordnen. Anders als im Vertrag behauptet, handelt es sich nicht um die sachnähere Gerichtsbarkeit. Die Sozialgerichtsbarkeit ist die Gerichtsbarkeit für beitragsfinanzierte Sozialleistungen. Die steuerfinanzierten Leistungen gehören dagegen seit je her vor die Verwaltungsgerichte. Die den Sozialgerichten 2004 im Vermittlungsausschuss in einer Nacht-und-Nebel-Aktion zugewiesene Zuständigkeit für die Sozialhilfe war eine systemwidrige Fehlentscheidung, die nunmehr durch die beabsichtigte vollständige Verlagerung der bisher den Verwaltungsgerichten zugewiesenen Rechtsgebiete vertieft und vollendet werden soll. Abgesehen von der fehlenden sachlichen Rechtfertigung würde eine solche Verlagerung zumindest vorübergehend zu massiven Beeinträchtigungen des Rechtsschutzes für die besonders schutzbedürftigen Leistungsempfänger führen. Die Sozialgerichte verfügen insoweit über keine oder nur wenig Expertise und werden sich zunächst langwierig und unter Beachtung der bisherigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung einarbeiten müssen, und das in einer Situation, in der die Sozialgerichte zum Teil deutlich längere Laufzeiten haben als die Verwaltungsgerichte. Gleichwohl und ohne jede Not teils schwierige Rechtsgebiete zu verlagern und jahrelange Rechtsunsicherheit in Kauf zu nehmen, ist das Gegenteil eines bürgerfreundlichen und unbürokratisch handelnden Sozial- und Rechtsstaates.

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