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NVwZ Editorial

Ein Recht auf eine analoge Alternative – gegen Digitalzwang

LfD in Schleswig-Holstein a. D. Dr. Thilo Weichert, Kiel

24/2024

Dr. Thilo Weichert

Politik und Wirtschaft sind sich einig: Die Digitalisierung muss in Deutschland vorangebracht werden. Ohne das Ziel einer flächendeckenden Internetversorgung erreicht zu haben, wird inzwischen „digital only“ propagiert. In der Verwaltung, aber erst Recht im Bereich der privatisierten Daseinsvorsorge, etwa bei der Deutschen Bahn oder der Post, wird nachdrückliche Digitalisierung in Ermangelung analoger Alternativen zum „Digitalzwang“. 

Digitalisierung fördert oft Bürger- bzw. Kundenfreundlichkeit, Wirtschaftlichkeit und Angebotsqualität. Doch „digital only“ schließt Menschen aus, die die Dienste nicht nutzen können oder dies aus berechtigten Gründen nicht wollen. Viele Menschen können sich die nötige digitale Infrastruktur mit Endgeräten und Netzzugang nicht leisten; körperliche Einschränkungen machen oft eine Nutzung unmöglich; manchen fehlt, etwa wegen des höheren Alters, die nötige Medienkompetenz. Wieder andere meiden Dienste aus begründeter Furcht vor zweckwidriger Datennutzung und Datenmissbrauch.

Haben die Menschen deshalb ein Recht auf eine analoge Alternative? Ein solches Recht lässt sich aus nationalen und europäischen Grundrechten ableiten. Diese adressieren primär die öffentliche Hand. Über eine Drittwirkung binden sie aber auch private Unternehmen, wenn die einseitig die Macht und die Möglichkeit haben, ihre Vertragskonditionen unterlegenen Vertragspartnern zu oktroyieren, insbesondere wenn Menschen auf ihre Dienste angewiesen sind, um ihre grundlegenden sozialen, wirtschaftlichen, kommunikativen und kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen.


Die Menschen haben das Recht, nicht zum bloßen Objekt degradiert zu werden. Die allgemeine Handlungsfreiheit gibt ihnen die Befugnis, die Mittel zur Wahrnehmung ihrer Freiheitsrechte selbst zu bestimmen. Das Recht auf Nutzung des Internets hierfür impliziert auch ein Recht hierauf zu verzichten. Denn jeder Grundrechtsposition ist die positive, aber auch eine negative Komponente inhärent.

Zudem fallen bei digitalen Angeboten zwingend mehr (Meta-)Daten an, als bei entsprechenden analogen Alternativen. Diese gelangen regelmäßig an Konzerne wie Google, Apple, Microsoft oder Amazon. Zweckänderungen der Daten lassen sich oft nicht verhindern. Die Umsetzung des Datenschutzes durch die hoheitliche Aufsicht ist defizitär, Selbstschutz oft unmöglich.

Ausschließlich digitale Angebote können einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot und gegen Diskriminierungsverbote darstellen. Niemand darf wegen seines Vermögens, einer Behinderung oder des Alters diskriminiert werden. Mittelbar sind solche Diskriminierungen in der Digitalwelt an der Tagesordnung. Das BVerfG (NJW 2010, 505 = NVwZ 2010, 580 Ls.; s. auch Loos NVwZ 2009, 1267) hat ein Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums begründet. Die gewährten sozialen Hilfen sind aber nicht ausreichend, um im Fall eines Digitalzwangs die entstehenden Kosten aufzubringen. Es fehlt oft an der Barrierefreiheit bei digitalen Angeboten. Auch die Meinungs- und Informationsfreiheit, der Rechtsstaatsgrundsatz und die Notwendigkeit demokratischer Transparenz und Kontrollierbarkeit streiten in vielen Fällen gegen ein „digital only“ (s. ausf. Weichert NJOZ 2024, 1537).

Das Verfassungsrecht begründet also schon heute Ansprüche auf analoge Alternativen, in der Rechtspraxis werden diese immer weniger anerkannt – ein Grund, solche Ansprüche explizit gesetzlich festzuschreiben. 

 

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