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Erfahrungsbericht JA 10/2024

Von Leon Bromand, Moritz Düwel, Anna Golubeva und Adrian Loeprick | Sep 16, 2024

Erfahrungsbericht des FU-Teams: Der Helga Pedersen Moot Court 2023/2024

In den letzten Monaten hat unser Team für die Freie Universität Berlin (FU) am Helga Pedersen Moot Court (HPMC) teilgenommen. Der HPMC simuliert ein Individualbeschwerdeverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Seit der ersten Auflage entwickelte sich der Wettbewerb zu einem der weltweit erfolgreichsten Moots mit menschenrechtlichem Schwerpunkt. Über 60 Teams aus allen Mitgliedstaaten des Europarats nehmen inzwischen hieran teil.

Dieses Jahr drehte sich der Fall um die Reichweite von Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit sowie die von manchen beklagte Einflussnahme von »Cancel Culture« auf den wissenschaftlichen Diskurs.

Konkret ging es um die schillernde Figur David Borg. Er vertritt seit Jahren mit populistischen Mitteln kontroverse Thesen. Beispielsweise leugnet er den menschengemachten Klimawandel oder warnt vor der »feministischen Gefahr«. Nachdem er von der größten nationalen Universität zu einer Veranstaltungsreihe als Redner eingeladen wurde, kam es auf dem Campus zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen seinen Anhängern und Gegnern. Daraufhin wurde die Veranstaltungsreihe von der Universität abgesagt und die Rektorin begründete diesen Schritt unter anderem damit, dass die Ansichten von David Borg diskriminierend und unwissenschaftlich seien. Sein nationales Verfahren gegen diese Aussage blieb erfolgslos, sodass er sich nunmehr an den EGMR wendet.

Es lag nun an uns Partei zu ergreifen: Für den Beschwerdeführer (Applicant) mussten wir Eingriffe in seine Meinungsfreiheit und Gleichheitsrechte nachweisen, während wir als Anwältinnen und Anwälte des beklagten Staates (Respondent) diese Eingriffe rechtfertigen mussten. Wie für Moot Courts üblich, teilt sich auch der HPMC in zwei Phasen. In der ersten Phase verfassten wir für beide Parteien Schriftsätze an den EGMR. In der zweiten Phase plädierten wir in Dublin und Straßburg in simulierten Verhandlungen gegen Teams anderer Universitäten. Auch hier haben wir jeweils den Applicant und den Respondent vertreten.

Schriftsatzphase: September–Dezember 2023

Ganz zu Beginn war die größte Herausforderung die anwaltliche Perspektive einzunehmen. Anders als bisher im Studium gelernt, werden wir im Moot Court nicht dafür belohnt, die »richtige«, sondern die für unseren Mandanten günstigste Meinung zu vertreten. Durch diese gänzlich unterschiedliche Herangehensweise verschiebt sich auch die Perspektive auf die Problemschwerpunkte des Sachverhalts. Um uns hierauf möglichst gut vorzubereiten, organisierte die FU eine Veranstaltung mit Rechtsanwalt Stefan von Raumer, der uns die Voraussetzungen der Individualbeschwerde anhand von selbst geführten Beschwerdeverfahren veranschaulichen konnte.

Als nächstes galt es, durch intensive Recherche in möglichst kurzer Zeit Expertinnen und Experten für die relevanten Fragen unseres Falls zu werden. Hilfreich war dabei eine spezielle Rechercheschulung der rechtswissenschaftlichen Bibliothek der FU. Denn die typischen bisher im Studium genutzten Datenbanken haben uns zunächst wenig weitergeholfen. Im Anschluss mussten wir das Wissen praxisnah und pointiert anwenden, immer darauf bedacht, nicht nur rechtliche Argumente vorzubringen, sondern den Richterinnen und Richtern ein überzeugendes Narrativ zu präsentieren. 

Anstatt das Team auf die Parteien zu verteilen, entschieden wir uns, die Perspektive immer wieder zu wechseln. Das machte uns flexibler und ermöglichte uns, die Stärke der verschiedenen Argumente besser einzuschätzen. Während beispielsweise unser Applicant in der »um sich greifenden Cancel Culture« einen Eingriff in den freien wissenschaftlichen Diskurs sah, beschrieb der Respondent die Gefahr von Desinformation und »Fake News«, die einen Angriff auf die Grundfesten unserer Demokratie darstellen, der mit rechtsstaatlichen Mitteln gestoppt werden müsse.

Wie wichtig das planvolle »Framing« eines verfassungsrechtlichen Sachverhalts ist, haben wir neben vielen anderen Dingen von der Gesellschaft für Freiheitsrechte lernen können, die wir im November 2023 besuchen konnten. Mit der Abgabe der Schriftsätze kurz vor Weihnachten konnte unser Team dann den ersten großen Erfolg feiern.

Probepleadings: Januar–Februar 2024

Im Januar 2024 begannen wir auf der Grundlage unserer Schriftsätze mit der Erarbeitung unserer mündlichen Plädoyers (Pleadings) für die anstehende Regionalrunde des Wettbewerbs. Allerdings mussten wir feststellen, dass ein gut geschriebener Text sich nicht automatisch zum Vorlesen eignet. Also haben wir experimentiert, Argumente verändert und umgestellt, bis wir unsere Positionen in nur 35 Minuten möglichst überzeugend darstellen konnten.

Neben den internen Pleadings mit unserem Coach erklärten sich auch viele externe Richterinnen und Richter bereit, mit uns den Ernstfall zu proben. An der Fakultät haben wir mit unserem Schirmherren Professor Christian Calliess sowie mit Professor Helmut Aust zusammen mit Dr. Prisca Feihle und Dr. Ihor Zeman (University of Lviv) und mit Professor Torben Ellerbrok proben können. Außerdem besuchten wir die Kanzlei Redeker Sellner Dahs. Dort empfingen uns die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Dr. Christian Johann, Susanna Barthmann und Vera Schürmann. Unsere Generalprobe absolvierten wir vor Richterinnen und Richtern des Gemeinsamen Juristischen Prüfungsamts der Länder Berlin und Brandenburg. Dort leiteten Richter am Kammergericht Dr. Hendrik Maroldt, Richterin am Landgericht Dr. Felicitas Berning und Richter am Amtsgericht Marc Steinecke die Verhandlung. Die vielen Probepleadings haben unser rhetorisches Geschick, den Umgang mit kritischen Fragen und unser Zeitmanagement enorm verbessert. Diese arbeitsintensive Phase hat sich daher auch über den Wettbewerb hinaus für uns gelohnt.

Regionalrunde in Dublin: 23.–25.2.2024

Die Ergebnisse unserer Vorbereitung konnten wir bei einer der drei Regionalrunden in Dublin Ende Februar präsentieren. Über zwei Tage verteilt durften 21 Teams jeweils einmal für Applicant und Respondent vor drei Richterinnen und Richtern plädieren. Während der gesamten Verhandlung durften die Richterinnen und Richter jederzeit unterbrechen und Nachfragen stellen. Das ist zwar extrem fordernd, weil eigentlich kein Pleading nach Plan verläuft, aber man bekommt auch die Gelegenheit die eigene Kenntnis zum Fall und zur EMRK sowie das eigene juristische Handwerkszeug unter Beweis zu stellen und sich so von anderen Teams abzuheben. Es war für uns besonders spannend, erstmals mit den Argumenten und Perspektiven der anderen Teams konfrontiert zu werden. Nach der ersten Erleichterung, nichts Gravierendes übersehen zu haben, stellt man schnell fest, dass es doch viele unterschiedliche Herangehensweisen gibt. Man erkennt außerdem schnell wie vielfältig die Rechtstraditionen allein in Europa sind.

Begleitet wurde das Wettbewerbswochenende von diversen Social Events, die ELSA Ireland organisierte. Nach der Eröffnungszeremonie am Freitag fanden diverse Kennenlernspiele statt. Jeden Abend gab es zudem ein gemeinsames Abendessen in einem der traditionellen Pubs, bei dem sich die Teams weiter kennenlernen und austauschen konnten. Über die Tage verteilt knüpften wir so viele Kontakte mit den Teilnehmenden aus anderen Ländern. Am letzten Abend wurden die Preise für das Gewinner-Team und den »Best Orator« verliehen. Die Zeremonie endete in einem schönen Abschlussabend und einer ausgelassenen Party. Unser Team blieb noch einige Tage länger in Dublin, in denen wir viel von der Stadt gesehen haben und einen Ausflug in die nahegelegenen Wicklow Mountains machten.

Der Weg von Dublin nach Straßburg

Der krönende Abschluss erwartete uns nach unserer Rückkehr: Aufgrund der guten Bewertung unserer Schriftsätze und unserer Leistungen in Dublin haben wir uns für das HPMC-Finale in Straßburg qualifiziert. Die nächsten Wochen haben wir trotz Schwerpunkt und beginnendem Repetitorium intensiv genutzt, um uns auf Straßburg vorzubereiten. Durch unsere Erfahrungen in Dublin wussten wir, dass selbst nach mehreren Monaten intensiver Beschäftigung neue Erkenntnisse und Argumente aus dem Fall gewonnen werden konnten. Zahlreiche interne Pleadings, aber vor allem die Verhandlungen mit externen Richterinnen und Richtern ermöglichten es uns, inhaltliche Anpassungen zu erproben und stilistisch zu verfeinern. So besuchten wir die Kanzlei pswp, in der wir uns mit Rechtsanwalt Dr. Justus Quecke in Richterrolle über den Fall austauschten und dabei wertvolles Feedback für die weitere Arbeit sammelten. Kurz vor unserer Reise nach Straßburg besuchten wir zur Generalprobe Herrn Professor Dr. Matthias Dombert in seiner Kanzlei in Potsdam. Danach fühlten wir uns bestens vorbereitet für die Finalrunden.

Finalrunde in Straßburg: 27.–31.5.2024

Früh morgens am 27.5. ging es schließlich für uns als eines von 18 qualifizierten Teams nach Straßburg. Zu Beginn der Finalrunde, die in den Räumlichkeiten des Europarats stattfand, war zunächst eine nochmalige »Vorrunde« vorgesehen, in der alle Teams einmal den Applicant und den Respondent vertreten durften. Für uns ging es dabei zunächst als Vertreterinnen und Vertreter des Respondents gegen das Team aus Utrecht und am Folgetag als Vertreterinnen und Vertreter des Applicants gegen das Team aus Madrid. Dabei merkten wir, dass im Vergleich zu Dublin die Teams deutlich häufiger unterbrochen wurden und die Fragen der Richterbank herausfordernder waren. Auch waren alle Teams deutlich besser aufeinander und die Fragen der Richterinnen und Richter vorbereitet.

Nach der Vorrunde konnten wir uns leider nicht für das Viertelfinale qualifizieren. Im Anschluss bekamen wir aber die Gelegenheit, die restlichen Runden der anderen Teams anzuschauen. Hierbei war es besonders interessant, die Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede in den Herangehensweisen anderer Teams zu beobachten.

Das große Finale fand am letzten Wettbewerbstag, dem 31.5., statt. Diesmal nicht mehr in den Räumlichkeiten des Europarats, sondern in einem der Verhandlungssäle des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte selbst. Die Richterbank war mit nunmehr neun Richterinnen und Richtern besetzt, wobei einige von ihnen tatsächlich als Richterinnen und Richter am EGMR tätig sind. Dieses Jahr traten im Finale die Teams aus Maastricht und Birmingham gegeneinander an. Die Richterinnen und Richter hielten sich mit ihren Fragen nicht zurück und stiegen in vertiefte und spannende Diskussionen mit den jeweiligen Seiten ein.

Schlussendlich konnte das Team aus Birmingham die Richterbank mit ihren Argumenten für den Applicant mehr überzeugen und wurde hochverdient zum Gewinner des gesamten Wettbewerbes gekürt.

Straßburg Social

Wie bereits in Dublin sorgte das Organisationsteam von ELSA für ein abwechslungsreiches soziales Programm während der Wettbewerbswoche: Bei täglichen gemeinsamen Lunchs in der Kantine des Europarates hatten die Teams bereits tagsüber Gelegenheit, miteinander ins Gespräch zu kommen, Kontakte zu knüpfen und sich auszutauschen. Abends lernten wir verschiedene Viertel von Straßburg kennen und konnten vor allem in viele der politischen Institutionen der Stadt Einblicke erhalten.

So fand die Eröffnungsfeier im Rahmen eines Empfangs bei der niederländischen Vertretung statt, bei der viele Teams mit eingeladenen Vertreterinnen und Vertretern ihrer jeweiligen Länder in Kontakt treten konnten. Für die Verkündung der Vorrundenergebnisse wurden alle Teams im Straßburger Rathaus empfangen und von der Bürgermeisterin der Stadt begrüßt. Die Abschlusszeremonie mit der Verkündung der Auszeichnungen und Preise fand im Anschluss an das Finale im Gerichtssaal statt und fand seinen Ausklang in der EGMR-Kantine.

Für die restlichen Abende waren gemeinsame Abendessen für alle Teams in der Innenstadt geplant, bei denen wir nicht nur das gastronomische Angebot der Region, sondern vor allen Dingen viele Teams und ihre Coaches näher kennenlernen konnten. Dabei kamen wir in regen Austausch über unsere Beschäftigung mit dem Moot Court, Teamarbeit und Falllösungsstrategien, und haben viele Bekanntschaften mit Studierenden aus ganz Europa geschlossen.

Lange Nacht der Wissenschaften

Am 22.6. veranstalteten wir im Rahmen der Langen Nacht der Wissenschaften an der Freien Universität Berlin eine letzte Vortragsrunde. Hier spielten wir die erlebten mündlichen Verhandlungen nach und kamen anschließend mit den Zuschauerinnen und Zuschauer ins Gespräch, um deren Meinung zum Fall und den vorgebrachten Argumenten zu hören. Zum Ausklang unserer monatelangen intensiven Auseinandersetzung mit der EMRK und unserem Fall war es sehr erfreulich zu sehen, dass die aufgeworfenen Fragen auch außerhalb des Wettbewerbs auf Resonanz und reges Interesse stießen.

Vielen Dank!

Mit diesem Rückblick auf die erlebnisreichen letzten Monate möchten wir uns als Team verabschieden und uns nochmals herzlich bei all denen bedanken, die uns auf diesem Weg begleitet und mit Rat und Tat unterstützt haben.

Unser ganz besonderer Dank gilt unserem Coach Mattis Leson – seine unermüdliche Unterstützung und andauerndes Engagement während des gesamten Wettbewerbs war für uns schlichtweg unentbehrlich und hat wesentlich dazu beigetragen, dass wir auch in den anstrengendsten Phasen nicht nur immer wieder motiviert und als Team vorankommen konnten, sondern dabei auch Spaß hatten. Gleichfalls möchten wir uns herzlichst bei dem Lehrstuhl von Professor Calliess bedanken, unter dessen Schirmherrschaft die Teilnahme am Wettbewerb überhaupt erst ermöglicht wurde.

Ein großer Dank gilt auch FPS Law und White & Case. Durch die großzügigen Spenden der beiden Kanzleien konnten wir sämtliche Reisekosten finanzieren.

Die 13. Edition des HPMCC 2024

In diesem Sinne ist eine Teilnahme am Helga Pedersen Moot Court eine spannende und sehr vielfältige Erfahrung, die wir nur weiterempfehlen können! Jeder Moot Court bietet die einzigartige Chance bereits während des Studiums den Hörsaal zu verlassen und sein Wissen praktisch anzuwenden. Unser Wettbewerb und die vielen angegliederten Veranstaltungen haben uns eine Vorstellung davon vermittelt, wie Menschenrechtsschutz in der anwaltlichen Praxis aussehen kann.

Auch im nächsten Wintersemester wird wieder ein Sachverhalt veröffentlicht und Studierende aus ganz Europa werden sich intensiv mit den widerstreitenden Positionen auseinandersetzen. Wir drücken allen Teilnehmenden die Daumen und wünschen viel Spaß!

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