Große mediale Aufmerksamkeit hat die Empfehlung der EU-Kommission erfahren, dass die EU ihre Emissionen bis 2040 um 90 % gegenüber dem Stand von 1990 reduzieren will. Die EU-Kommission schlägt damit ein weiteres Zwischenziel auf dem Weg zur Klimaneutralität in 2050 vor. Allerdings mehren sich anlässlich der bevorstehenden Europawahl die Stimmen, die die Klimaschutzbemühungen der EU-Kommission iRd Green Deal etwas zurückfahren möchten. Es bleibt abzuwarten, wie die dann neue EU-Kommission mit diesem Thema nach den Wahlen umgehen wird.
Die Koalitionsparteien haben sich auf die dringend erwartete neue Kraftwerksstrategie geeinigt. Auch diese soll zur Dekarbonisierung beitragen. Offensichtlich kommt die Strategie sehr spät. Schon im vergangenen Jahr hatten Branchenvertreter wie die BDEW-Präsidentin Kerstin Andreae die Bundesregierung mehrfach ermahnt. Und dabei ist die Strategie noch nicht in trockenen Tüchern, bedarf sie doch auch noch der beihilferechtlichen Kontrolle der EU-Kommission. Die neue Strategie umfasst auch Forschungsvorhaben zum Ausbau wasserstofffähiger Kraftwerke. Insgesamt regt es schon zum Nachdenken an, ob alles richtig läuft. Ist es Aufgabe der Bundesregierung Kraftwerke zu planen? Eher nicht, gleichwohl aber erforderlich, da ansonsten Investitionen ausbleiben würden. Zu unsicher erschien bisher der Rechtsrahmen für solche Vorhaben. Darüber berichtet unser ständiges Redaktionsmitglied Eric Holger Glattfeld in dieser Ausgabe (EnK-Aktuell 2024, 010294).
Mit sogenannten Klimaschutzverträgen oder auch Carbon Contracts for Difference (CCfD) will der Staat auf der Nachfragerseite Anreize für Investitionen in verschiedene Anwendungsmöglichkeiten zu setzen (Wolf EnK-Aktuell 2023, 01037; s. zum Thema auch: Hench/Herdieckerhoff EnK-Aktuell 2022, 01035; Engel/Gerdes EnK-Aktuell 2023, 010151 sowie in dieser Ausgabe: Fischer, EnK-Aktuell 2024, 010304). Nunmehr hat die EU-Kommission am 16.2.2024 die beihilferechtliche Genehmigung für dieses Politikinstrument erteilt. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) hat bereits angekündigt, in Kürze den ersten Förderaufruf zu starten. Mit den Klimaschutzverträgen sollen Unternehmen die Kosten der Transformation besser kompensieren können. Letztlich wird ihnen dafür eine Prämie gezahlt (vgl. Hench/Herdieckerhoff EnK-Aktuell 2022, 01035).
In die Kategorie der Dekarbornisierungsbemühungen fällt auch die Ankündigung, dass, nach dem vorangegangenen Ergebnis der Trilog-Gespräche, nun auch der Ausschuss der Ständigen Vertreter am 16.2.2024 dem Trilog-Ergebnis zum Net Zero Industry Act zugestimmt hat. Wichtigstes Ziel des Net Zero Industry Act ist es, den Produktionshochlauf der Transformationstechnologien, also zB von Solar- und Windenergie, Batterien und Wärmepumpen, in der EU zu beschleunigen. Dazu kennt das Gesetz ausweislich Art. 26 des Texts der vorläufigen Einigung auch sog. „Net-Zero regulatory sandboxes“, um Innovationen und regulatorisches Lernen zu fördern (siehe Erwägungsgrund 62). Ausführlich hierzu in dieser Ausgabe Rothe/Pochanke EnK-Aktuell 2024, 010300.
Der diesjährigen Ideenwettbewerb der Europäischen Klimaschutzinitiative (EUKI) startete am 6.2.2024: Bis zum 12.3.2024 können gemeinnützige Organisationen aus Zivilgesellschaft, Wissenschaft, Wirtschaft, Bildung und Kommunen ihre Ideen für die Förderung von Klimaschutzprojekte einreichen.
2. Wasserstoff
Auch die Förderung der Integration von grünem Wasserstoff in den Energiemix geschieht zur Dekarbonisierung der europäischen Industrie. Grüner Wasserstoff spielt eine entscheidende Rolle bei der Energiewende, da er als emissionsfreier Energieträger zur Dekarbonisierung von Sektoren beiträgt, die schwer elektrifizierbar sind, wie zB Schwerlastverkehr, Industrie und Schifffahrt, aber gleichzeitig auch die Speicherung und den Transport Erneuerbarer Energie ermöglicht.
Vor diesem Hintergrund hat die EU-Kommission am 15.2.2024 ein weiteres Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse („IPCEI“: Important Project of Common European Interest) zur Förderung von Wasserstoffinfrastruktur nach den EU-Beihilfevorschriften genehmigt: Das Vorhaben „IPCEI Hy2Infra“ soll die Versorgung mit erneuerbarem Wasserstoff verbessern und so die Abhängigkeit von Erdgas verringern sowie einen Beitrag zu den Zielen des europäischen Grünen Deals und des REPowerEU-Plans leisten. Das Projekt wurde von sieben Mitgliedstaaten gemeinsam vorbereitet und zur Genehmigung angemeldet. Diese sieben Mitgliedstaaten werden bis zu 6,9 Mrd. EUR an öffentlichen Mitteln bereitstellen. Deutsche Unternehmen beteiligen sich mit rund 3,4 Mrd. Euro an den 24 Projekten der Hy2Infra-Welle.
Deutschland und Algerien wollen stärker bei der Produktion von grünem Wasserstoff zusammenarbeiten. Algerien soll insbesondere beim Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur und bei der Wasserstoffproduktion unterstützt werden. So soll etwa eine Wasserstoffpilotanlage installiert werden.
Im Bereich Wasserstoff hat die EU-Kommission zudem eine mit 550 Mio. EUR ausgestattete italienische Beihilferegelung zur Förderung von Investitionen zur Nutzung von Wasserstoff in industriellen Prozessen genehmigt. Mit der italienischen Maßnahme soll die Nutzung von Wasserstoff in industriellen Prozessen gefördert werden.
Einen Blick nach Südamerika und auf die chilenische Wasserstoffstrategie wirft unser ständiges Redaktionsmitglied Prof. Dr. Susanne Wende: EnK-Aktuell 2024, 010301.
3. Energy Justice
Eine gerechte Gestaltung und die Abfederung von Nachteilen im Rahmen der gewaltigen Transitionsprozesse wird von den europäischen Regierungen gesehen. Solche Politikmaßnahmen sind den Prinzipien der energy justice zuzuordnen (vgl. Baumgart/Scholtka EnK-Aktuell 2023, 010116; Noorman/Espinosa/Lavrijssen EnK-Aktuell 2023, 01083). So hat die EU-Kommission in den vergangenen Wochen eine polnische Beihilferegelung iHv 300 Mio. EUR genehmigt, mit der zur Abfederung der sozialen Kosten der Schließung von Stein- und Braunkohlekraftwerken und Braunkohlebergwerken betroffenen Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen unterstützt werden sollen.
4. Sonstiges, insbesondere REMIT-Verstöße
Die Verordnung (VO (EU) Nr. 1227/2011) des Europäischen Parlaments und des Rats vom 25.10.2011 über die Integrität und Transparenz des Energiegroßhandelsmarkts („REMIT“) zielt darauf ab, die Integrität und Transparenz im europäischen Energiegroßhandelsmarkt sicherzustellen. Auf deren Grundlage hat die französische Energieregulierungsbehörde eine Geldstrafe von 500.000 EUR gegen das Energieunternehmen Engie wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 und 4 der REMIT-VO verhängt, weil das Unternehmen Insidergeschäfte auf dem französischen Stromgroßhandelsmarkt getätigt und es versäumt habe, Insiderinformationen effektiv und rechtzeitig offenzulegen. Auch die rumänische Energieregulierungsbehörde (ANRE) hat gegen vier Unternehmen Geldstrafen iHv 537.503.319,49 RON (umgerechnet ca. 108 Mio. EUR) wegen Manipulationen auf dem rumänischen Stromgroßhandelsmarkt verhängt.
Und zu guter Letzt: Wenn diese Ausgabe erscheint, ist gerade die E-World (20.2.-22.2.2024) in Essen zu Ende gegangen. Wir werden demnächst über die aktuellen Trends berichten, die sich dort für den Rechtsbereich abzeichneten.
Mit der vorliegenden Ausgabe wünschen wir Ihnen viel Vergnügen.
Max Baumgart und Boris Scholtka