Anlass zur Ausarbeitung des Leitungsplans gab der Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 26.5.2023, der in § 28r Abs. 2 S. 1 EnWG eine entsprechende Verpflichtung der FNB vorsieht (BR-Drs. 230/23). Noch bevor die damit einhergehende Gesetzesänderung kurz nach Weihnachten in Kraft trat, unterlag ihr Inhalt bereits einem am 16.11.2023 initiierten, zeitlich parallel laufenden Gesetzgebungsverfahren zur Änderung des EnWG (BR-Drs. 590/23). Das iterative Tätigwerden der gesetzgebenden Gremien und die Vorlage des Antragsentwurfs durch die FNB sind wesentliche Beiträge zur Beschleunigung des Wasserstoff-Hochlaufs.
1. Pflicht der FNB zur Beantragung eines Wasserstoff-Kernnetzes
Der neu eingefügte § 28r Abs. 2 S. 1 EnWG verpflichtet die FNB zur gemeinsamen Beantragung eines Wasserstoff-Kernnetzes. Den Antrag haben sie der BNetzA innerhalb von drei Wochen ab dem 29.12.2023 zur Genehmigung vorzulegen. Im formellen Antragsverfahren hört die BNetzA betroffene Infrastruktur-Betreiber an und kann Änderungen verlangen.
Auf Grundlage des Antragsentwurfs der FNB vom 15.11.2023 konsultierte die BNetzA bereits vor Inkrafttreten der gesetzlichen Grundlage die Stakeholder und die Öffentlichkeit. Die umfangreiche Vorbereitung soll ein effizientes formelles Antragsverfahren mit entsprechend kurzen Fristen auf Grundlage der Gesetzesänderung ermöglichen (s. Sieberg/Cesarano RdE 2023, 317, (318 f.), zu den Herausforderungen im Zusammenhang mit der kurzen Antragsfrist). Im laufenden Gesetzgebungsverfahren soll der Standort des § 28r EnWG geändert werden (§ 28q EnWG-E). Die Norm bleibt ihrem Inhalt nach jedoch unverändert.
2. Antragsentwurf der FNB
Grundlegendes Ziel ist nach § 28r Abs. 1 S. 2 EnWG der „Aufbau eines deutschlandweiten, effizienten, schnell realisierbaren und ausbaufähigen Wasserstoff-Kernnetzes, das alle wirksamen Maßnahmen enthält, um die zukünftigen wesentlichen Wasserstoffproduktionsstätten und die potenziellen Importpunkte mit den zukünftigen wesentlichen Wasserstoffverbrauchspunkten und Wasserstoffspeichern zu verbinden“. Zur Umsetzung dieses Ziels orientierten sich die FNB maßgeblich an potenzieller Erzeugungs- bzw. Importkapazität und prognostizierter Nachfrage. Grundlage der Planung war eine Marktabfrage, die den Transportbedarf abbildet (Antragsentwurf Wasserstoff-Kernnetz, S. 9).
Die Gesamtlänge des entworfenen Wasserstoff-Kernnetzes von rund 9.700 km besteht zu ca. 60 % aus umgestellten Erdgasleitungen. Es verbindet große Erzeugungs- und Verbrauchsregionen für Wasserstoff in Deutschland und legt den Grundstein für die Dekarbonisierung der Industrie und die Umrüstung von Kraftwerken. Die geplante Netzinfrastruktur ermöglicht eine Einspeisekapazität von ca. 100 GW und eine Ausspeisekapazität von ca. 87 GW. Die Konzeption des Netzes soll eine nachträgliche Erweiterung ermöglichen. Die bedarfsgerechte Skalierbarkeit soll die Robustheit und Resilienz des Leitungsnetzes sicherstellen (Antragsentwurf Wasserstoff-Kernnetz, S. 13 ff.).
3. Vom Antragsentwurf erfassten Infrastrukturen
Der Antragsentwurf der FNB erfasst insgesamt 309 Wasserstoffprojekte. Die Betreiber dieser Projekte sind nach § 28r Abs. 5 S. 1 EnWG zur Kooperation mit den FNB bei der Erstellung des formellen Antrags verpflichtet. Insbesondere müssen sie die erforderlichen Informationen und Daten auf Anfrage der FNB bereitstellen. § 28r Abs. 4 EnWG statuiert zudem Anforderungen an Infrastrukturen für eine Genehmigung als Teil des Wasserstoff-Kernnetzes. Genehmigungsfähig sind danach Infrastrukturen, die innerhalb der Bundesrepublik Deutschland liegen und deren Inbetriebnahme vor dem 31.12.2032 geplant ist. Außerdem müssen sie dem in § 28r Abs. 1 S. 2 EnWG niedergelegten Ziel dienen und bestimmten Projekttypen zuzuordnen sein, zB den IPCEI Projekten (s. dazu IPCEI).
4. Finanzierung des Wasserstoff-Kernnetzes
Die FNB beziffern die Höhe der Gesamtinvestitionskosten für das Wasserstoff-Kernnetz im Antragsentwurf mit 19,8 Mrd. EUR. Die Schaffung eines Finanzierungsrahmens für diese Kosten ist Gegenstand des laufenden Gesetzgebungsverfahrens. Geplant ist im Grundsatz die privatwirtschaftliche Finanzierung der entstehenden Kosten über die zu erzielenden Netzentgelte. In der Hochlaufphase, die durch hohe Investitionskosten und wenige Netznutzer gekennzeichnet ist, besteht allerdings die Gefahr einer prohibitiven Wirkung (BR-Drs. 590/23, 2). Den möglichen Nachteil der Pioniere in der Wasserstoffwirtschaft (sog. first mover disadvantage) soll eine subsidiäre staatliche Absicherung abfedern. Die staatliche Absicherung erfolgt über einen neuartigen intertemporalen Kostenallokationsmechanismus, § 28r Abs. 2 S. 1 EnWG-E. Die Umsetzung obliegt der BNetzA, wobei der Gesetzentwurf Vorgaben zur Ausgestaltung enthält. Die bundesweit vereinheitlichten Netzentgelte sind danach in einer ersten Phase unterhalb eines Wertes festzulegen, der zur Kostendeckung erforderlich wäre. In einer zweiten Phase sollen die Netzentgelte den Wert der Kostendeckung übersteigen und so bis Ende 2055 zu einem Ausgleich führen. Die Differenzen der ersten Phase werden in einem Amortisationskonto vermerkt, dessen Bilanz in der zweiten Phase gedeckt werden soll. Die Finanzierungslücke für die Wasserstoff-Kernnetzbetreiber in der ersten Phase schließt zunächst der Bund. Übersteigen die Entgelte in der zweiten Phase die genehmigten Kosten, zahlt der jeweilige Wasserstoff-Kernnetzbetreiber die Differenz umgekehrt an den Bund, § 28r Abs. 3 S. 2 EnWG-E.
Bei vorzeitiger Kündigung oder geplanter Beendigung der Hochlauffinanzierung am 31.12.2055, gleicht der Bund den Fehlbetrag des Amortisationskontos aus, wobei die Wasserstoff-Kernnetzbetreiber zur Leistung eines Selbstbehalts verpflichtet sind, § 28s Abs. 2 S. 1 EnWG-E. Der Gesetzentwurf sieht einen anteiligen Selbstbehalt von 24 % zulasten der Wasserstoff-Kernnetzbetreiber vor, der nach ihrem jeweiligen Anteil an den genehmigten Netzkosten aufzuteilen ist. Der Bundesrat schlug in seiner Stellungnahme vom 15.12.2023 eine Verringerung dieses Betrages auf 15 % vor, um die finanziellen Rahmenbedingungen der Hochlauffinanzierung kapitalmarktfähig auszugestalten (BT-Drs. 20/10014, 68). Die Bundesregierung lehnte diesen Vorschlag unter Verweis auf die Subsidiarität der staatlichen Risikotragung ab (BT-Drs. 20/10014, 68).
5. Weitere Entwicklung
Mit ihrem Antragsentwurf geben die FNB erstmals einen Eindruck davon, wie ein Wasserstoff-Kernnetz in Deutschland aussehen kann. Die Einfügung des § 28r EnWG kurz nach Weihnachten ebnete den Weg für die Einleitung eines formellen Antragsverfahrens der FNB zur Genehmigung des Wasserstoff-Kernnetzes. Wie von der BNetzA angekündigt, dürften die Beteiligungsfristen in dem Verfahren kurz bemessen sein, um dem Erfordernis der zeitlichen Effizienz bei der Schaffung des Wasserstoff-Kernnetz zu genügen, § 28r Abs. 1 S. 2 EnWG. Innerhalb von zwei Monaten ab Antragstellung hat die BNetzA den Antrag bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 28r EnWG zu genehmigen.
Das Finanzierungskonzept der Bundesregierung setzt die finanziellen Rahmenbedingungen für den Aufbau der entworfenen Infrastruktur. Es legt die Grundlage für die Investitionsentscheidung der Stakeholder. Die Stellungnahmen im bisherigen Gesetzgebungsverfahren offenbaren jedoch die Schwierigkeit, das Ziel des Investitionsanreizes mit der Wahrung staatlicher Haushaltsinteressen in Einklang zu bringen. Der Gesetzentwurf wurde am 18.1.2024 im Bundestag beraten und anschließend den Ausschüssen überwiesen. Es bleibt abzuwarten, ob an dem Vorschlag der Bundesregierung zum Ausgleich des Zielkonfliktes zwischen privatwirtschaftlichem Aufbau der Wasserstoff-Netzinfrastruktur und staatlicher Absicherung der Investitionen festgehalten wird. Sollte der Gesetzentwurf unverändert erlassen lassen, wird die BNetzA ein bundesweit einheitliches Hochlaufentgelt festlegen, dessen Höhe alle drei Jahre überprüft und ggf. angepasst wird, § 28r Abs. 2, 3, 5 EnWG-E.
Eine turnusmäßige Netzentwicklungsplanung durch die FNB alle zwei Jahre soll die Erweiterung des Kernnetzes vorbereiten, § 15a Abs. 1 EnWG-E (BR-Drs. 590/23, 2 f.). Der zügige Hochlauf des Wasserstoffmarkts ist eine Herausforderung, die eine gemeinsame Kraftanstrengung aller Beteiligten erfordert. Mit den Gesetzgebungsverfahren und dem Antragsentwurf haben Gesetzgeber und FNB einen weiteren Schritt getan.
Weiterführende Links
Vgl. auch EnK-Aktuell 2023, 010133 und Busche EnK-Aktuell 2023, 010217.