CHB_RSW_Logo_mit_Welle_trans
Zeitschrift für Datenschutz | Banner

Einigung zur Kraftwerksstrategie – Eine erste Bewertung und Einordnung

Eric Holger Glattfeld ist Rechtsanwalt und Partner bei Addleshaw Goddard (Germany) LLP in München.

EnK-Aktuell 2024, 010294   Neben dem konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromnetze erfordert die Dekarbonisierung und die Versorgungssicherheit des Deutschen Stromsystems moderne, hochflexible und klimafreundliche Gas- bzw. Wasserstoffkraftwerke. Die Bundesregierung hat deshalb nunmehr die wesentlichen Elemente einer (neuen) Kraftwerksstrategie sowie die entsprechenden Festlegungen zu weiteren Vorhaben vereinbart.

1. Inhalt der gemeinsamen Pressemitteilung

Es wurde vereinbart, dass die Arbeiten am zukünftigen Strommarktdesign umgehend weiter vorangebracht und insbesondere Konzepte für einen marktlichen und technologieneutralen Kapazitätsmechanismus erarbeitet werden, die bis spätestens 2028 operativ sein sollen. Eine politische Einigung darüber soll innerhalb der Bundesregierung bis spätestens Sommer 2024 erzielt werden. Darüber hinaus legt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) unter Berücksichtigung der Plattform „Klimaneutrales Stromsystem“ im Sommer 2024 ein Optionenpapier für eine politische Einigung unter Einbeziehung der Fraktionen über das zukünftige Strommarktdesign vor. Die Versorgungssicherheit werde durch Stromsicherheitsanalysen betrachtet, die auch Szenarien mit konservativen und krisenhaften Annahmen einbeziehen sollen.

Die (neue) Kraftwerksstrategie schaffe den Rahmen für Investitionen für und in moderne, hochflexible und klimafreundliche Kraftwerke, die in der Lage sind, zukünftig Wasserstoff nutzen zu können (H2-ready). Sie sichere dabei auch ab, dass die Versorgung mit Strom auch in Zeiten mit wenig Sonne und / oder wenig Wind („Dunkelflaute“) klimafreundlich gewährleistet ist. Damit werde sie auch einen wichtigen Beitrag zur Systemstabilität leisten. Um eine „no regret-Menge“ an Kraftwerken schnell zu realisieren, wird mit der Kraftwerksstrategie unverzüglich ein vorgezogener Zubau von Kraftwerken angereizt. Die Ausschreibungen iRd Kraftwerksstrategie werden so ausgestaltet, dass die neuen Kraftwerke in den zukünftigen Kapazitätsmechanismus vollständig integriert werden.

Konkret haben sich der Bundeskanzler, der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz und der Bundesfinanzminister darauf geeinigt, dass neue Kraftwerkskapazitäten im Umfang von bis zu 4 mal 2,5 GW als H2-ready-Gaskraftwerke iRd Kraftwerksstrategie kurzfristig ausgeschrieben werden, die ab einem im Jahr 2032 festzulegenden Umstiegsdatum zwischen den Jahren 2035 und 2040 vollständig auf Wasserstoff umgestellt werden sollen. Diese Kraftwerke sollen ausschließlich an systemdienlichen Standorten in Deutschland stehen. Die Förderungen hierfür werden aus dem Klima- und Transformationsfonds (KTF) finanziert.

Zur Unterstützung der Entwicklung neuer Technologien (zB Kernfusion) und der Erprobung des Betriebs von Kraftwerken, werden diese mit geeigneten Instrumenten gefördert. Kraftwerke, die ausschließlich mit Wasserstoff geführt werden, werden bis zu 500 MW iRd Energieforschung gefördert. Die CO?-Abscheidung und -speicherung für Verstromungsanlagen mit gasförmigen Energieträgern wird iRd der Carbon-Management-Strategie aufgegriffen.

Es wurde darüber hinaus beschlossen, dass bestehende Hemmnisse für die Errichtung und den Betrieb von Elektrolyseuren ohne Einschränkung abgebaut und alle Möglichkeiten genutzt werden sollen, um insbesondere den Zubau von Elektrolyseuren zu beschleunigen, die systemdienlich betrieben werden sollen. Es dürfe darüber hinaus keine Doppelbelastungen mit Abgaben und Gebühren auf Strom zur Speicherung und Elektrolyse geben, so dass es marktliche und systemdienliche Anreize in Zukunft gebe, Wasserstoff zu produzieren. Die Nutzung von Überschussstrom soll uneingeschränkt ermöglicht werden. Alle bestehenden regulatorischen Hürden sollen so weit wie möglich abgebaut werden. Die Planungs- und Genehmigungsverfahren für die in der Kraftwerksstrategie enthaltenen Kraftwerke sollen zudem substanziell beschleunigt werden. Die gefundene Einigung zur Kraftwerksstrategie wird mit der EU-Kommission in Brüssel beraten und anschließend mit der Öffentlichkeit konsultiert.

2. Erste Bewertung und Einordnung

Der Bau neuer Gaskraftwerke geht seit Jahren nicht oder nur schleppend voran, da eine Finanzierung derselben durch Unternehmen oft an der Wirtschaftlichkeit des Betriebs dieser Gaskraftwerke scheitert. Denn: Die Gaskraftwerke sollen ja nur in den sog. „Dunkelflauten“ Energie produzieren, wenn das Angebot zB aus Erneuerbaren Energien die Stromnachfrage in der Bundesrepublik Deutschland nicht komplett decken kann, was die potenziellen Einnahmen der Betreiber der Gaskraftwerke im Ergebnis stark begrenzt bzw. unwirtschaftlich macht. Das BMWK erarbeitete deshalb einen Plan, um den Neubau von benötigten Gas- bzw. Wasserstoffkraftwerke zu fördern. Diese neue „Kraftwerksstrategie“ der Bundesregierung liegt jetzt in Eckpunkten vor.

In einem ersten Schritt sollen nunmehr zehn GigawattGW) an wasserstofffähigen Gaskraftwerken gebaut werden, wobei der Bau schnell erfolgen soll und die Errichter hierfür eine Förderung erhalten sollen. Hierfür sollen sie sich in Auktionen um diese Förderung bewerben, wobei die niedrigsten Angebote den Zuschlag erhalten sollen. Die Ausschreibungen sollen in den kommenden drei bis vier Monaten ausgearbeitet werden, wobei die erste Auktion über 2,5 GW Kapazität bereits im Sommer 2023 stattfinden soll. Der Rest (drei weitere Auktionen mit jeweils 2,5 GW Leistung) soll in Auktionen bis spätestens Herbst 2025 vergeben werden. Dies ist als Beitrag zur Kosteneffizient begrüßenswert. Richtigerweise werden damit teurere Hybrid- und / oder Sprinterkraftwerke in der neuen Kraftwerksstrategie faktisch zurückgestellt.

Die Bundesregierung will sowohl die Bauinvestitionen (Capex) als auch den späteren Betrieb der Kraftwerke (Opex) fördern, indem im Betrieb der Kraftwerke für maximal 800 Stunden im Jahr die Preisdifferenz zwischen Wasserstoff und Erdgas gefördert (ausgeglichen?) werden sollen. Hierbei sollen sowohl grüner Wasserstoff aus Erneuerbaren Energien, als auch blauer Wasserstoff aus Erdgas und Kohle, bei dem das CO2 abgeschieden und gespeichert werden, gefördert werden. Alle anderen Wasserstoffarten (zB aus Atomstrom) dürfen in den neuen Gaskraftwerken verfeuert werden. Eine Förderung in Form eines Preisdifferenzausgleichs von Wasserstoff aus Atomstrom schließt die Bundesregierung aber derzeit aus.

Der sich anschließende Bau der ausgeschriebenen Kraftwerke mit 10 GW Kapazität soll danach schnell beginnen können, wobei die Planungs- und Genehmigungsverfahren substanziell beschleunigt werden sollen. Die neuen Gaskraftwerke sollen zwischen den Jahren 2035 und 2040 dann vollständig von Erdgas auf Wasserstoff umgestellt werden. Der exakte Zeitplan für die Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff soll bis spätestens 2032 beschlossen werden. Hintergrund ist, dass bis zu diesem Zeitpunkt das deutsche Kernnetz für Wasserstoff errichtet sein soll.

Die – wie oben beschrieben – geförderten Gaskraftwerke sollen ausschließlich an Standorten stehen, die die deutsche Stromversorgung bestmöglich absichern und die Stromversorgungs- und Stromübertragungsnetze möglichst gering belasten. Die Annahme hierbei ist, dass die günstigsten Gebote der Bieter in den oben genannten Auktionsverfahren von Bietern (Energieversorgungsunternehmen) stammen werden, die bereits jetzt über günstige Netz- und Flächenbedingungen verfügen.

Der staatlich geförderte Neubau der Gaskraftwerke in Deutschland muss noch mit der EU-Kommission abgestimmt werden. Vorabstimmungen zwischen dem BMWK und der EU-Kommission aus dem Sommer 2023 sollen nunmehr in eine finale Freigabe durch die Brüsseler Wettbewerbskommission münden, wobei problematisch sein könnte, dass bislang eine relativ späte Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff (erst ab dem Jahr 2035) vorgesehen ist.

In einem zweiten Schritt soll bis spätestens 2028 ein Kapazitätsmarkt implementiert werden. In diesem Kapazitätsmarkt sollen die Kraftwerke dezidiert einen „Bereitschaftsdienst“ für stromarme Stunden im Kalenderjahr leisten. Nicht nur die in diesen Kraftwerken produzierte und ins Netz eingespeiste Kilowattstunde, sondern insbesondere auch die bereitgestellte Leistung, sollen entsprechend vergütet werden, auch wenn die Kraftwerke nicht gebraucht werden. Das BMWK hatte statt eines Zweitmarkts / Kapazitätsmarkts wohl ursprünglich weit höhere Kapazitätsmengen, dh an auszuschreibenden Kraftwerken, präferiert.

3. Ergebnis und Kosten

Bis zum Jahr 2030 sollen nach dem Willen der Bundesregierung rund 80 % der elektrischen Energie aus Erneuerbaren Energien stammen. Da die Stromproduktion aus PV und Wind stark schwankt, braucht es einige (neue) Gas- bzw. perspektivisch Wasserstoffkraftwerke in Deutschland, die zu jeder Tages- und Nachtzeit und zu jeder Zeit im Jahr sehr flexibel und sehr schnell Strom produzieren können. Hinzukommt, dass der Kohleausstieg idealerweise schon im Jahr 2030 vollzogen sein soll. Insgesamt ist damit auch die gesicherte Leistung der derzeitigen Kohlekraftwerke zu kompensieren. Am Umbau des deutschen Kraftwerkparks hängt damit eine sichere, preisgünstige und zukunftsfähige Energieversorgung, inklusive eines zügigen Kohleausstiegs.

Ursprünglich hatte das BMWK die Kosten zur Umsetzung der neuen Kraftwerksstrategie auf bis zu 60 Mrd EUR beziffert. Nunmehr wird mit Kosten von rund 16 Mrd. für die kommenden 20 Jahre geplant. In dieser Summe soll sowohl die Anschubfinanzierung (Capex-Anteil), als auch die spätere Förderung der Beschaffung und Verbrennung von Wasserstoff anstatt Erdgas im späteren Betrieb (Opex-Anteil), enthalten sein. Dieser Kostenschätzung sollen jahresscharfe Berechnungen zugrunde liegen, wobei die tatsächlichen Kosten nicht unwesentlich durch die zukünftigen Wasserstoffpreise auf dem Weltmarkt bestimmt werden dürften.

Weiterführende Links

Vgl. auch Scholtka/Baumgart Enk-Aktuell 2024, 010291.

Menü