EnK-Aktuell 2022, 01031 Sehr geehrte Leserinnen, sehr geehrter Leser, als Herausgeber und Schriftleiter heißen wir – Dr. Boris Scholtka und Dr. Max Baumgart – Sie herzlich willkommen zum Newsdienst „EnergieKrise-Aktuell“, mit dem wir Ihnen mit Unterstützung unserer renommierten Ständigen Redaktionsmitglieder ab dieser ersten Ausgabe eine Orientierung in einem sich stetig verändernden rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeld geben wollen.
Der Energiemarkt ist in Aufruhr. Schwerwiegende Herausforderungen sind zu bewältigen. Versorgungs- und Preissicherheit sind gefährdet. Die Frage, ob Haushalte und Unternehmen genug Gas haben werden, prägt seit Wochen die öffentliche Diskussion. Ebenso die Frage, wer geschützter Kunde ist. Dabei tritt die Umweltverträglichkeit als weitere Zielbestimmung des Energiewirtschaftsrechts weit zurück. Auf Grund der aktuellen Versorgungsstruktur erscheint dies unvermeidbar zu sein. Sicher ist, dass in diesem Winter 2022, im nächsten Jahr und auch im Winter 2023/2024 erhebliche Anstrengungen erforderlich werden, um die mittelbaren Folgen des Ukraine-Kriegs in der deutschen Energielandschaft bewältigen zu können. Dabei fällt dies alles in eine Zeit des Umbruchs und des Umbaus der Energielandschaft. Im Anschluss an das Klimaschutzabkommen von Paris hatten der „Green Deal“ der EU und nachfolgend das „Fit-for-55“-Paket erste Maßstäbe gesetzt und eine Road Map für eine klima- und ressourcenschonende Energielandschaft in Europa vorgegeben. Auch in Deutschland hatten die Dekarbonisierungs-Debatte und die erforderlichen Maßnahmen nach dem Regierungswechsel weiter Fahrt aufgenommen. Der Stein- und Braunkohleausstieg schien so gut wie abgeschlossen. Der Ausstieg aus der Kernenergie war vollzogen. Der Umbauprozess schien durch das Osterpaket und insbesondere dem EEG 2023, dem Wind-auf-See-Gesetz und weiteren Gesetzesinitiativen, etwa einer Neufassung des Gebäudeenergiegesetzes oder dem Wind-an-Land-Gesetz auf den Weg gebracht. Erste Schritte zum Auf- und Ausbau einer Wasserstoffinfrastruktur wurden durch entsprechende Ergänzungen im Energiewirtschaftsgesetz und im EEG 2021 sowie durch Förderprogramme (Important Project of Common European Interest – IPCEI) auf den Weg gebracht.
Wie wirkt sich nun die aktuelle Energiekrise hierauf aus? Vordergründig rücken andere Gesetze in den Fokus, wie u. a. das gerade grundlegend reformierte Energiesicherungsgesetz (EnSiG) mit seinen Preiseingriffen, das Gesetz zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases (LNGG), das den schnellen Aufbau einer LNG-Infrastruktur und den Bau von Terminals voranbringen soll oder das Gesetz zur Vermeidung des Gaseinsatzes zur Stromerzeugung. Auch neue Verordnungen ergänzen diese und andere Energie-Gesetze. Auf europäischer Ebene will die EU-Kommission mit dem REPowerEU-Plan die Abhängigkeit von russischen fossilen Brennstoffen möglichst schnell verringern und dabei die Energiewende weiter vorantreiben. Jüngst wurde die sog. SoS-Verordnung (security of supply), welche die Grundlage für den Gasnotfallplan der Bundesregierung bildet, durch die neue Gasnachfragesenkungsverordnung flankiert.
Die Haushalte stehen vor großen Problemen. Die Kilowattstunde kostet mit über 25 ct/kWh inzwischen fast so viel wie Strom. Es bestehen Ängste, ob man durch den Winter kommt oder ob man ggf. abgeschaltet wird. Die Haushaltskunden, aber auch Fernwärmekunden und Fernwärmeerzeuger sowie Krankenhäuser, Altenheime, Einrichtungen der Rettungsdienste, Polizei und Feuerwehr und der Bundeswehr sind sog. geschützte Kunden und müssen (theoretisch) zunächst keine Abschaltung befürchten.
Die Versorger sind häufig in der Sandwich-Situation: So ist die Weitergabe gestiegener Beschaffungs- oder Erzeugungskosten an die Kunden häufig nur schwer möglich. Im Gasbereich ermöglicht zwar die Gasumlage eine gewisse Weitergabe, jedoch ist diese mit hohem bürokratischen Aufwand verbunden und erfordert große Vorlaufzeiten. Inzwischen stößt die Umlage – aus den unterschiedlichsten Gründen – auf viel Kritik. Es bleibt abzuwarten, wie es weiter geht. Im Strombereich ist die Weitergabe gestiegener Kosten ohnehin nicht ohne Weiteres möglich. In der Fernwärmeversorgung sollte ursprünglich eine neue Regelung in der Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Versorgung mit Fernwärme (AVBFerwärmeV) hier Preisweitergaben ermöglichen. Der Weg über die Gasumlage hebelt dies aber wieder aus, sofern die Kosten nicht über die Preisformeln zeitversetzt erfasst werden. Über die Gefahr von Insolvenzen wird intensiv gesprochen.
Die Energiepreise steigen auch für die Wirtschaft weit über das noch hinnehmbare Maß. Insbesondere Unternehmen, die auf Energiezufuhr für die Produktion angewiesen sind, geraten so in Schwierigkeiten. Die höheren Gas-, Strom- und Dampfkosten führen zu erheblichen Mehrbelastungen. Diese können über die Produktpreise häufig nicht an die Kunden weitergegeben werden. Das gilt vor allem für Unternehmen, die im internationalen Wettbewerb stehen.
Netzbetreiber haben den sicheren Netzbetrieb zu gewährleisten. Hier kann es zu Überschneidungen mit der Rolle der Bundesnetzagentur (BNetzA) auf der Notfallstufe gemäß dem nationalen Notfallplan Gas geben. Auf den Netzebenen bleiben die Netzbetreiber weiterhin der Netzsicherheit verpflichtet und müssen ggf. auch Netzkunden „abschalten“.
Der neue Newsdienst soll alle diese Themen und Fragestellungen der Energiewirtschaft im Krisenmodus begleiten, die gesetzlichen Änderungen sowie Ergänzungen des Energierechts aufzeigen und die tatsächlichen und wirtschaftlichen Probleme in den rechtlichen Kontext einordnen.
Zugleich wollen wir allen, deren Arbeitsfelder teilweise in ganz anderen Rechtsgebieten liegen, eine Orientierung bieten, die über das, was in der Tagespresse zu finden ist, hinausgeht.
Hierzu wollen wir unterschiedliche Sichtweisen und Meinungen zu Wort kommen lassen, die nicht notwendigerweise die Sichtweisen der Herausgeber oder des Verlags widerspiegeln müssen. Sichtbaren Ausdruck dieser Pluralität ist u. a. die Gliederung der EnK-Aktuell in verschiedene Rubriken. So gibt es zB Kurzbeiträge zu aktuellen rechtlichen Themen, Nachrichten aus Gerichten und Rechtsprechung, Städten und Kommunen, Behörden und Verbänden. Auch der Blickwinkel nationaler und europäischer Regulierungsbehörden soll nicht unberücksichtigt bleiben. So freuen wir uns, dass schon zur ersten Ausgabe Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, hier seine Sichtweise auf aktuelle Themen schildert (s. EnK-Aktuell 2022, 01029). Von den Instituten und Verbänden sind in der ersten Ausgabe bereits das Institut für Berg- und Energierecht der Ruhr-Universität Bochum (IBE), das Institut für deutsche und internationales Berg- und Energierecht der TU Clausthal sowie das Forum Contracting mit dabei. Weitere Institutionen werden in den nächsten Ausgaben hinzukommen. Zudem stehen ständige Redaktionsmitglieder aus Wissenschaft und Praxis für Aktualität und Informationen aus erster Hand und mit lesenswerten Beiträgen. Ausnahmsweise ist die Erstausgabe der EnK-Aktuell etwas umfangreicher, als wir es zunächst in einem etwa zweiwöchentlichen Erscheinungsintervall anstreben. Die Autoren sind: RA Christoph Fabritius, Prof. Dr. Franz-Alois Fischer, RA Eric Holger Glattfeld, Richard Hänsel, RA Dr. Andreas Klemm, RA Alexander Matzner, Julia Möller-Klapperich, RAin Katharina Rath, Prof. Dr. Leonie Reins, Nathalia Kresnik, Sophia Giannakis, RA Tobias Teschner und RA Dr. Angelo Vallone. Auch im Namen des C. H.BECK-Verlags danken wir diesen Kolleginnen und Kollegen herzlich für ihre Beiträge!
Ein besonderer Dank gebührt vor allem dem C. H.BECK-Verlag selbst, der diesen Newsdienst konzipiert hat und redaktionell begleitet. Insbesondere danken wir der Chefredakteurin Frau Anke Zimmer-Helfrich, Herrn Dr. Philipp Thomé sowie Frau Katharina Klauser.
Wir freuen uns auf Anregungen und Hinweise. Sehr gerne nehmen wir Ihre Beiträge zur Veröffentlichung entgegen, bitten hierzu aber um rechtzeitige Kontaktaufnahme mit den Herausgebern (Kontakt: enk-aktuell@beck.de).
Unter dem Strich wünschen wir uns, dass der neue Newsdienst im Energiebereich eine neue Informationsfunktion mit rechtlichem Schwerpunkt einnehmen wird und zugleich eine Plattform für unterschiedliche Meinungen und Interessen bietet. Denn eines ist sicher: Die aktuelle Krise erfordert eine permanente Reaktion auf geänderte Versorgungssituationen oder europäische oder geopolitische Entwicklungen mit Auswirkungen auf die Energiewirtschaft. Vor allem hoffen wir aber, dass wir bald den Krisenmodus verlassen können.
In diesem Sinne laden wir Sie zur Lektüre dieser ersten Ausgabe des neuen Newsdienstes herzlich ein!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Boris Scholtka
Dr. Max Baumgart