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Dr. Boris Scholtka/Dr. Max Baumgart: Viel Neues zum Klimaschutz, zum Strommarktdesign und zur Gebäudeeffizienz

Boris Scholtka und Max Baumgart
EnK-Aktuell 2023, 01080 Während die Frist für die Selbsterklärungen für Unternehmen, die mehr als die Mindestförderung der Energiepreisbremsen in Anspruch nehmen wollen, in wenigen Tagen, nämlich dem 31.3.2023, abläuft, wurden in den letzten beiden Wochen einige Neuerungen in Sachen Klimaschutz, Strommarktdesign und Gebäudeeffizienz vorgelegt. Dies ist zu begrüßen, da die mittelfristigen und längeren Umbaumaßnahmen des Energiesektors nicht aus den Augen verloren werden dürfen.

In Deutschland veröffentlichte das Umweltbundesamt (UBA) am 15.3.2023 aktuelle Berechnungen zum Fortschritt der Emissionsentwicklungen im Jahr 2022. Nach der Pressemitteilung des UBA sind im Jahr 2022 die Treibhausgasemissionen Deutschlands leicht um 1,9 % gesunken. Es wurden rund 746 Mio. Tonnen Treibhausgase freigesetzt. Das sind gut 15 Mio. Tonnen weniger als 2021. Insgesamt seien die Emissionen seit 1990 in Deutschland damit um 40,4 % gesunken. Damit würden die Zielwerte des Bundesklimaschutzgesetzes (KSG) zwar in Summe eingehalten, allerdings gäbe es einen bedeutenden Anstieg im Energiesektor: Dieser weise 10,7 Mio. Tonnen mehr auf als 2021 und liege bei rund 256 Mio. Tonnen CO₂-Äquivalente. Grund sei, dass trotz der Einsparungen beim Erdgas ein vermehrter Einsatz vor allem von Stein- und Braunkohle zur Stromerzeugung die Emissionen steigen ließe. Dennoch könne der Energiesektor seine Jahresemissionsmengen für 2022 von 257 Mio. Tonnen knapp einhalten. Das ist tatsächlich ein überraschender Befund des UBA. Denn Krieg und Erdgasmangellagen hatten bekanntlich zu einem verstärkten Einsatz der Stromerzeugung aus Kohle und anderer fossiler Energieträger aus Gründen der Versorgungssicherheit geführt und hatte Schlimmeres befürchten lassen. Das UBA hebt insoweit hervor, dass die Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien (EE) diese Effekte dämpfen konnte. Die Stromerzeugung aus EE sei um 9 % gegenüber 2021 gestiegen. Sorgenkinder blieben dennoch die Sektoren Verkehr und Gebäude. Beide Sektoren lägen wieder über den im KSG festgelegten Jahresemissionsmengen. Von daher wird sich zeigen müssen, wie die Emissionen in diesen Sektoren begrenzt werden können. Der Ausbau der Elektromobilität ist nur ein Faktor. Eine Bestandsaufnahme hierzu bietet Johannes Zaulich (EnK-Aktuell 2023, 01071). Die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene wird noch Jahre dauern. Die Einführung des Deutschlandtakts ist kaum vor 2050 flächendeckend zu realisieren. Alternative Antriebe für den Güterverkehr (Brennstoffzelle, Wasserstoff) kommen gleichfalls nicht wirklich voran. Der Gebäudesektor hat ein Bezahlbarkeitsproblem. Niedrigenergiehäuser oder Passivhäuser können bei Neubauten realisiert werden, müssen aber die Investitionskosten entweder über Verkaufspreise oder Mieten realisieren. Es ist zu klären, wie Bestandsbauten ihren Beitrag leisten können.

Hier hatte das EU-Parlament am 14.3.2023, also einen Tag vor der Pressemitteilung des UBA, seine Zustimmung zur Gebäudeenergieeffizienzrichtlinie vom 15.12.2021 mit Änderungsvorschlägen gegeben. Der bisherige Kommissionsvorschlag sah im Rahmen des Fit-for-55-Programms vor, dass sämtliche Gebäude bis 2050 klimaneutral sein sollen und schlug hierfür eine Sanierungspflicht vor. Bis 2030 solle kein Gebäude mehr der schlechtesten Effizienzklasse „G“ angehören. Ausnahmen waren zulässig. Die Gebäude sollen mindestens auf „F“ verbessert werden. Der Rat hatte am 25.10.2022 zu Neubauten beschlossen, dass öffentliche Gebäude ab 2028 und ab 2030 alle Gebäude klimaneutral sein müssten (mit Ausnahmen). Das Parlament verschärfte diese Vorschläge: Schon bis 2030 sollen alle Wohnhäuser mindestens die Effizienzklasse „E“ und bis 2033 die Klasse „D“ erreichen. Umsetzung und Finanzierung bleiben hier vorerst noch im Dunkeln. Diese Vorschläge werden in Deutschland, auch im Blick auf die aktuellen Pläne zur Reform des Gebäudeenergiegesetzes, weitere Diskussionen auslösen. Richtig ist, dass auch der Wohnungssektor seinen Beitrag zum Klimaschutz und zur Erreichung des 1,5 Zieles leisten muss. Dabei ist unübersehbar, dass hier vielfältige Herausforderungen, Hürden und Härten liegen.

Mit Blick auf die CO₂-Emissionen hatte das EU-Parlament ebenfalls am 14.3.2023 deutlich größere Anforderungen an die Senkung der Emissionen gefordert und eine neue Lastenverteilungsverordnung zur Verringerung der mitgliedstaatlichen Emissionen mit deutlicher Mehrheit (486 zu 132 Stimmen) auf den Weg gebracht. Damit sollen Maßnahmen im Rahmen des Fit-for-55-Programms unterstützt werden. Durch die Verordnung wird der Zielwert für die Verringerung der Treibhausgasemissionen für die gesamte EU bis 2030 von 30 % auf 40 % angehoben. Der Zielwert für jedes Land richtet sich nach dessen Pro-Kopf-BIP und der Kostenwirksamkeit. Auch soll der Handel mit Emissionszertifikaten transparenter und strenger reguliert werden. Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten mit anderen Mitgliedstaaten zu handeln, wird für 2021-2025 auf 10 % begrenzt. Für 2026 liegt die Obergrenze bei 15 %. Der Text wird nun dem Rat zugeleitet.

Sowohl der Bericht des UBA als auch die Beschlüsse des EU-Parlaments erfuhren viel Aufmerksamkeit. Möglichweise auch deshalb, weil weiterhin das „Gas- und Ölheizungsverbot“ durch die Novelle des Gebäudeenergiegesetzes ab Januar 2024 in Deutschland sehr kontrovers diskutiert wird. Der Referentenentwurf des BMWK sieht vor, dass ab 2024 alle neu installierten Heizungsanlagen zu mindestens 65 % mit Erneuerbaren Energien betrieben werden müssen. Das Betriebsverbot für 30 Jahre alte Heizungsanlagen soll dahingehend ergänzt werden, dass spätestens ab Januar 2045 keine Heizkessel mehr mit fossilen Brennstoffen betrieben werden dürfen (hierzu die Meldung von Lara Schmidt EnK- Aktuell 2023, 01068 und das Buzzword der Woche von Alois Fischer EnK-Aktuell 2023, 01072). Um dies umzusetzen, dürften Förderprogramme in Milliardenhöhe erforderlich werden.

Fast unbemerkt blieb daher bislang der Vorschlag der Europäischen Kommission zum Strommarktdesign. Die Kommission hat ebenfalls am 14.3.2023 eine Reform des EU-Strommarkts angeregt, um den Ausbau Erneuerbarer Energien ebenso wie den Ausstieg aus dem Gas zu beschleunigen (siehe auch in dieser Ausgabe EnK-Aktuell 2023, 01074). Die privaten Haushalte sollen vor Preisschwankungen für fossile Brennstoffe, künftigen Preisspitzen und Marktmanipulation geschützt werden. Hierzu soll eine breite Vertragsauswahl und klarere Informationen vor Vertragsunterzeichnung sichergestellt werden. Allerdings fragt man sich aus deutscher Perspektive, wie eine breitere Vertragsauswahl erreicht werden soll und was in der Vielfalt der aktuell bereits üblichen Informationen noch verbessert werden soll. Jedenfalls soll so eine langfristige Preisbindung ohne übermäßige Risiken und Schwankungen erreicht werden. Auch hier bleibt abzuwarten, wie das umgesetzt wird. Langfristige Preise erfordern länger laufende Verträge, sodass es weniger Wechsel geben dürfte. Waren vor der Krise noch hohe Wechselraten und kurze Laufzeiten gefragt, scheint dies nun in eine andere Richtung zu gehen. Gleichzeitig sollen Verbraucher weiterhin Verträge mit dynamischer Preisbildung wählen können, um Preisvorteile zu nutzen, wenn der Strom billiger ist (zB Laden von Elektroautos oder Nutzung von Wärmepumpen). Spannend erscheint der Vorschlag, die Regeln für die gemeinsame Nutzung Erneuerbarer Energien neu zu fassen. Netzeinspeisungen sollen erleichtert werden und die Transparenzpflichten weiter verschärft werden. Verbraucher sollen künftig in Wind- oder Solarparks investieren können oder überschüssigen Solarstrom vom Dach auch an Nachbarn verkaufen. Mieter könnten beispielsweise ihren restlichen Solarstrom vom Dach mit Nachbarn teilen. Dies dürfte jede Menge Abgrenzungen zu „normalen Lieferanten“ erfordern und könnte auch – je nach Ausgestaltung des „Teilens“ unter steuerlichen Aspekten ein herausforderndes Thema werden. Hervorzuheben ist, dass sich die Kommission auch der Industrie annimmt und berechenbare und stabile Energiepreise für eine wettbewerbsfähige Industrie fordert. Stark schwankende Energiepreise hätten 2022 viele Betriebe schwer getroffen. Im Sinne einer wettbewerbsfähigen und weniger preisanfälligen EU-Industrie regt die Kommission stabile, langfristige Verträge wie Strombezugsverträge (Power Purchase Agreements – PPA) an. Diese sollen den Unternehmen ihre eigene direkte Energieversorgung sichern und somit stabilere Preise für die Stromerzeugung aus erneuerbaren und nichtfossilen Energiequellen in Aussicht stellen. Damit vollzieht die Kommission aktuellen Entwicklungen am Strommarkt nach. Um derzeitigen Schwachstellen wie den Kreditrisiken von Käufern entgegenzuwirken, werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, marktbasierte Haftungen für PPA sicherzustellen. Stabile Einnahmen für Stromerzeuger und der Schutz der Industrie vor Preisschwankungen würden voraussetzen, dass jede staatliche Förderung neuer Investitionen in inframarginale und unumgängliche Stromerzeugung aus erneuerbaren und nichtfossilen Brennstoffen in Form zweiseitiger Differenzverträge erfolge, und dass die Mitgliedstaaten Übergewinne an die Haushalte weitergeben. Darüber hinaus macht die Reform die Märkte liquider für langfristige Verträge zur Festschreibung von Preisen, sog. „Termingeschäfte“.

Unbestritten ist, dass eine Reform des Strommarkts ansteht. Es wird spannend bleiben, hier die Vorschläge und Diskussionen zu verfolgen und aktiv zu begleiten. Denn wie die aufgewühlte Debatte im Herbst 2022 um die „Merit Order“ zeigte (vgl. hier Glattfeld EnK- Aktuell 2022, 01050; Pavel EnK-Aktuell 2022, 01054; Scholtka/Baumgart EnK-Aktuell 2022, 01118; Stuhlmacher EnK-Aktuell 2022, 01066), ist hier zumindest großer Diskussionsbedarf. Rat und Parlament werden sich nun mit den Vorschlägen beschäftigen.

Mit den Beiträgen in dieser Ausgabe decken wir ein breites Spektrum ab. Neben aktuellen Meldungen findet sich in dieser Ausgabe wieder ein Beitrag zu den Energiepreisbremsen (wie schon in der letzten Ausgabe erwähnt, Baumgart/Scholtka EnK-Aktuell 2023, 01064 derzeit das Thema der Praxis). Hans-Christian Ackermann und Carolin Pockrandt steuern einen weiteren Beitrag zur Arbeitsplatzerhaltungspflicht bei (EnK-Aktuell 2023, 01069). Ein Thema, das offensichtlich zunehmend Fahrt aufnimmt.

Ganz anderen Themen widmen sich die Beiträge von Lars Otto und Christoph Riese. Lars Otto beleuchtet das 10. Sanktionspaket der EU (EnK-Aktuell 2023, 01077). Christoph Riese widmet sich der Planungsbeschleunigung im Infrastrukturbereich, u. a. mit dem Verzicht auf eine Umweltverträglichkeitsprüfung im WindSeeG sowie weiteren Änderungen bei der Freiflächenphotovoltaik und der Raumordnung (EnK-Aktuell 2023, 01076).

Viel Vergnügen bei der Lektüre wünschen Ihnen

Boris Scholtka und Max Baumgart

Herausgeber EnK-Aktuell

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