BFH-Urteil vom 2.7.2021, XI R 21/19
Stellt ein Zulieferbetrieb dem jeweiligen Auftraggeber zu übereignende Werkzeuge für die Produktion von Teilen her und wird seine Verpflichtung zur Wartung, Instandhaltung und Aufbewahrung der zur Verfügung stehenden Werkzeuge ausschließlich durch einen für die Lieferung der Werkzeuge abgeschlossenen Werkzeugvertrag abgegolten und nicht durch die späteren Aufträge zur Produktion der Teile, ist eine Rückstellung für die Aufwendungen zur Wartung, Instandhaltung und Aufbewahrung der Werkzeuge zu bilden.
Praxis-Info!
Problemstellung
Eine GmbH fertigt als Zulieferbetrieb u.a. die für die Produktion von bestimmten Zulieferungsteilen erforderlichen kundenspezifischen Spezialwerkzeuge und Vorrichtungen (Werkzeuge), ändert sie und hält sie instand.
Laut Werkzeugvertrag geht das Eigentum an den von der GmbH in Auftrag gegebenen gefertigten Werkzeuge dann an den Auftraggeber über, wenn diese fertiggestellt und vom Auftraggeber bezahlt wurden. Im Zuge dessen werden die Werkzeuge dauerhaft derart gekennzeichnet, dass sie als Eigentum des Auftraggebers erkannt werden können. Die Werkzeuge verbleiben bei der GmbH und dürfen von ihr zur Ausführung von Bestellungen des jeweiligen Auftraggebers benutzt werden.
Darüber hinaus hat die GmbH vertragsgemäß die Werkzeuge gegen Feuer, Diebstahl und Wasserschaden zum Wiederbeschaffungswert zu versichern. Zudem trägt die GmbH die Kosten der laufenden Wartung, Instandhaltung sowie der Reparatur der Werkzeuge. Nach Beendigung der Fertigung der herzustellenden Teile sind die Werkzeuge mindestens 15 Jahre lang zur Sicherung des Ersatzteilbedarfs des Auftraggebers aufzubewahren und in einem jederzeit einsatzfähigen Zustand zu erhalten.
Für sämtliche der genannten Leistungen wird kein gesondertes Entgelt gezahlt.
Die tatsächliche Produktion von Zulieferungsteilen (sowie die jeweilige Produktionsmenge) hat keinen Einfluss auf den für die Werkzeuge zu zahlenden Preis.
Für diese Leistungen im Zusammenhang mit den Werkzeugverträgen bildete die GmbH eine Rückstellung für Werkzeugkosten/Nachbetreuungsleistungen (insbesondere für Lagerung, Versicherung, Wartung/Reinigung/Pflege, Reparaturaufwand). Als Aufwand für „Wartung/Reinigung/Pflege“ legte die GmbH die nach Zeitaufwand bemessenen Personalkosten zu Grunde. Als „Reparaturaufwand“ erfasste sie geschätzte Materialkosten sowie Lohnkosten. Davon nahm sie Abschläge vor und löste die Rückstellung über einen Zeitraum von fünf Jahren auf.
Das Finanzamt erkannte die gebildete Rückstellung nicht an. Begründung: Rückstellungen für Aufwendungen, die in künftigen Wirtschaftsjahren als Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts zu aktivieren seien, dürften gemäß § 5 Abs. 4b S. 1 EStG nicht gebildet werden. Die künftigen Aufwendungen für die Wartung, Instandhaltung und Erneuerung der Werkzeuge seien als notwendige Material- bzw. Fertigungsgemeinkosten Teil der Herstellungskosten der künftig herzustellenden Zulieferungsteile. Die Reparatur und Instandhaltung der Werkzeuge stehe in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Produktion der Teile. Unerheblich hierfür sei, aufgrund welchen Vertrags die Reparatur- und Instandhaltungsleistungen erbracht werden müssten.
Lösung
Es ist eine Rückstellung wegen Erfüllungsrückstands für die „Nachbetreuungsleistungen“ an den gelieferten Werkzeugen zu bilden.
Die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten setzt voraus:
- Es besteht eine betriebliche Verbindlichkeit dem Grund und/oder der Höhe nach;
- die Inanspruchnahme des Steuerpflichtigen ist wahrscheinlich;
- die Verbindlichkeit ist – sofern es sich um eine künftige Verbindlichkeit handelt – wirtschaftlich im abgelaufenen oder in dem (den) vorangegangenen Wirtschaftsjahr(en) verursacht.
Bei den Aufwendungen darf es sich nicht um (nachträgliche) Herstellungs- oder Anschaffungskosten eines Wirtschaftsguts handeln.
In zeitlicher Hinsicht muss die Verbindlichkeit in der Vergangenheit wirtschaftlich verursacht sein; es muss bereits bis zum Bilanzstichtag eine wirtschaftliche Belastung eingetreten sein.
Abb.: Bildung von Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten
Im Streitfall ist die GmbH rechtlich verpflichtet, die zur Produktion von Zulieferungsteilen hergestellten Werkzeuge „nachzubetreuen“ (d.h. zu warten, instand zu halten und zu reparieren); diese Verpflichtung ist im Streitjahr auch wirtschaftlich verursacht.
Vor dem Bilanzstichtag waren gleichermaßen wirtschaftlich verursacht:
- die Aufwendungen für die Versicherung der Werkzeuge,
- die Lagerkosten für die vertraglich festgelegte Zeit,
- die Wartungs- und Pflegearbeiten und
- die erfahrungsgemäß stets anfallenden und zu erwartenden verschleißbedingten Ausbesserungs-, Nachbesserungs- und Reparaturarbeiten.
Die Kostentragung ist für die Mindestausbringungsmenge und die festgelegte Zeitdauer vereinbart – und gerade nicht abhängig und beschränkt auf den Umfang der mit der tatsächlichen Nutzung verbundenen Aufwendungen. Diese Nebenpflicht wurde bereits mit Abschluss der Verträge über die Veräußerung der Werkzeuge begründet und mit dem Verkaufserlös abgegolten.
Die Nachbetreuungsleistungen sind Ausfluss der Veräußerung der Werkzeuge im Sinne einer vereinbarten Gewährleistung. Die GmbH musste die aus der Wartungsverpflichtung folgenden und erfahrungsgemäß bei üblichem Verlauf zu erwartenden Aufwendungen in die Kalkulation des Entgelts für die Leistungen aufgrund des Werkzeugvertrags einbeziehen.
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[Anm. d. Red.]
BC 2/2022
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