BGH-Urteil vom 20.1.2022, III ZR 194/19
„Drum prüfe, wer sich ewig bindet“ gilt nicht nur in Bezug auf die Eheschließung, sondern auch für Wirtschaftsprüfer vor Erteilung eines Bestätigungsvermerks. Diese Prüfung umfasst gleichermaßen die Bewertung des Forderungsbestands. Sollte die Bewertung später vor Gericht angefochten werden, so ist in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich, wie der BGH nun bei seiner umfassenden Zusammenstellung der bilanziellen Bewertung von Forderungen darlegt.
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Problemstellung
Im Ausgangsfall hatte eine AG Anleihen am Kapitalmarkt platziert. Nach erfolgter Platzierung erwiesen sich wesentliche Forderungen in der Bilanz als nicht werthaltig. Die AG erstellte daraufhin rückwirkend korrigierte Jahresabschlüsse, welche erneut testiert wurden. Ein Käufer der Anleihe erhob daraufhin Klage gegen den testierenden Wirtschaftsprüfer, da aus seiner Sicht die strittigen Forderungen schon von vornherein hätten wertberichtigt werden müssen.
Das vorinstanzliche Gericht kam zu dem Schluss, dass die Erteilung des Testats im Streitjahr unvertretbar gewesen sei. Die Erteilung des Bestätigungsvermerks stelle somit eine Sittenwidrigkeit dar, da der Wirtschaftsprüfer bei der Erteilung des Testats in einem solchen Maße Leichtfertigkeit an den Tag gelegt habe, dass sie als Gewissenlosigkeit zu werten sei.
Lösung
Der BGH stellt in seinem Urteil fest, dass die Bewertung der Forderungen in den vorinstanzlichen Prozessen nicht ausreichend betrachtet wurde. Zunächst fasst der BGH hierzu noch einmal die Regeln zur Bewertung von Geldforderungen in der Handelsbilanz zusammen:
- Forderungen sind mit dem Nennbetrag anzusetzen.
- Ist eine Forderung nicht sofort fällig, ist eine Abzinsung vorzunehmen, wenn die Forderung nicht oder nur gering verzinst wird. Von einer Abzinsung kann bei einer Restlaufzeit von weniger als einem Jahr abgesehen werden.
- Zweifelhafte Forderungen sind einzeln zu bewerten und mit ihrem wahrscheinlichen Wert anzusetzen. Hierzu ist eine Abschreibung auf den Nennbetrag der Forderung vorzunehmen. Die Höhe der Abschreibung beruht auf kaufmännischem Ermessen. Dabei sind bis zum Tag der Bilanzaufstellung wertaufhellende Tatsachen zu beachten, wertbegründende Tatsachen nach dem Bilanzstichtag jedoch nicht. Die vorzunehmende kaufmännische Beurteilung des Risikos eines (teilweisen) Forderungsausfalls erfordert eine umfassende Würdigung der Einzelfallumstände, die in der Regel besonderen kaufmännischen und bilanztechnischen Sachverstand voraussetzt. Im Zivilprozess ist daher in der Regel die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich, es sei denn, das Gericht selbst verfügt über die notwendige besondere Sachkunde und weist die Parteien im Vorfeld darauf hin.
Im Ausgangsfall ist nicht ersichtlich, dass in den vorangegangenen Zivilprozessen die Werthaltigkeit der Forderungen ausreichend geprüft wurde, um dem Wirtschaftsprüfer sittenwidriges bzw. leichtfertiges Verhalten bei der Erteilung des Testats vorzuwerfen. Hierzu ist daher eine erneute Prüfung in der Vorinstanz vorzunehmen.
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 3/2022
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