BFH-Urteil vom 5.5.2011, IV R 32/07
Die Ermittlung des „richtigen“ Wertansatzes für Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen bereitet in der Praxis immer wieder Probleme. Dies gilt umso mehr, wenn es sich bei den Rückstellungen um „echte“ bzw. „unechte“ Ansammlungsrückstellungen handelt. Der BFH hat nun in einem am 20.7.2011 veröffentlichten Urteil Stellung zu dieser Problematik aus steuerbilanzieller Sicht genommen:
- Rückstellungen für Deponie-Rekultivierung sind nach der tatsächlichen Inanspruchnahme anzusammeln.
- Rückstellungen für Rückbauverpflichtungen sind zeitanteilig in gleichen Raten anzusammeln.
- Die angesammelten Rückstellungen für Deponie-Rekultivierung sowie für Rückbauverpflichtungen sind abzuzinsen.
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Problemstellung
In dem dem Urteil zugrunde liegenden Streitfall wurde vonseiten des Klägers gegen die Abzinsungspflicht bei Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen Einspruch erhoben. Als Gründe gegen eine Abzinsung wurden u.a. das gleichzeitige Verbot der Einbeziehung künftiger Preis- und Kostensteigerungen sowie der Übernahme des Inflationsrisikos angeführt. Bei dem im Zentrum der Klage stehenden Rückstellungen handelte es sich um Rückstellungen für Deponie-Rekultivierung und Rückbauverpflichtungen.
Lösung
In seiner Urteilsbegründung erläutert der BFH zunächst die Bewertung von Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen:
– Gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG sind „Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen … mit den Einzelkosten und den angemessenen Teilen der notwendigen Gemeinkosten zu bewerten“.
– Dabei sind ausschließlich die am Bilanzstichtag vorliegenden Wertverhältnisse maßgebend.
– Künftige Preis- und Kostensteigerungen dürfen nicht berücksichtigt werden (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. f EStG).
Sowohl die Rückstellung für Deponie-Rekultivierung als auch die Rückstellung für Rückbauverpflichtungen (z.B. Gebäudeabbruch, Rückbau eines Kraftwerkes, Entfernung von Funkmasten) sind anzusammeln. Hierbei ist jedoch zwischen „echter“ und „unechter“ Ansammlungsrückstellung zu unterscheiden:
- Unter „echten“ Ansammlungsrückstellungen sind Rückstellungen für Verpflichtungen zu verstehen, die am Bilanzstichtag bereits feststehen, die aber wirtschaftlich betrachtet auf mehrere Jahre zu verteilen sind. Hierunter fallen z.B. Rückstellungen für Rückbauverpflichtungen. Die Rückbauverpflichtung ist am Bilanzstichtag bekannt, der Aufwand ist jedoch nicht einem einzigen Geschäftsjahr zuzuordnen. Von daher wird die „echte“ Ansammlungsrückstellung zeitanteilig in gleichen Raten angesammelt (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. d EStG).
- Dagegen stehen bei der „unechten“ Ansammlungsrückstellung die künftigen Verpflichtungen am Bilanzstichtag noch nicht fest. Die Höhe der Verpflichtung kann sich – je nach Grad der Nutzung – in jedem Jahr ändern. Die Deponie-Rekultivierung gehört zu den „unechten“ Ansammlungsrückstellungen. Diese sind nicht zeitanteilig in gleichen Raten, sondern nach der tatsächlichen Inanspruchnahme anzusammeln.
Anschließend sind die Rückstellungen (gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG) mit einem Zinssatz von 5,5% abzuzinsen.
Handelsrechtlich sind Rückstellungen für Sachleistungsverpflichtungen in Höhe des nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung notwendigen Erfüllungsbetrags anzusetzen (vgl. § 253 Abs. 1 HGB). Dabei sind erwartete künftige Preis- und Kostensteigerungen zu berücksichtigen. Beträgt die Restlaufzeit der Rückstellung mehr als ein Jahr, so ist die Rückstellung mit dem durchschnittlichen Marktzinssatz der letzten sieben Geschäftsjahre abzuzinsen. Diese Abzinsungssätze werden von der Deutschen Bundesbank veröffentlicht (Verzeichnis „Sachgebiete/Statistik“, Unterverzeichnis „Zinsen, Renditen“, PDF-Datei „Abzinsungszinssätze gemäß § 253 Abs. 2 HGB“, siehe hier: http://www.bundesbank.de/statistik/statistik_zinsen.php). Aufgrund des unterschiedlichen Wertansatzes und des abweichenden Abzinsungssatzes kommt es zwangsläufig zu einer Abweichung von Handels- und Steuerbilanz (Durchbrechung des Maßgeblichkeitsprinzips). |
Die Abzinsung der Rückstellung ist aus Sicht des BFH nicht zu beanstanden. Entsprechend wurden sämtliche vom Kläger hiergegen vorgetragenen Argumente vom BFH verworfen.
Die Berechnung einer Rückstellung für Rückbauverpflichtungen wird nachfolgend kurz an einem vereinfachten Beispiel verdeutlicht.
Beispiel zur Berechnung einer Rückstellung für Rückbauverpflichtungen: Ein Unternehmen mietet zum 1.1.2011 ein Bürogebäude und nimmt diverse Umbauarbeiten vor. Zum Ende der 10-jährigen Mietzeit ist das Gebäude wieder in den ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen. Zum 31.12.2011 betragen die Kosten des Rückbaus 45.000 €. Aufgrund von Inflation und Preissteigerungen ist davon auszugehen, dass zum tatsächlichen Zeitpunkt des Rückbaus zum 31.12.2020 Kosten in Höhe von 60.000 € entstehen werden. Mit welchem Betrag ist die Rückstellung für Rückbauverpflichtungen in der Steuerbilanz zum 31.12.2011 anzusetzen? Wie oben dargelegt, dürfen künftige Preis- und Kostensteigerungen bei der Ermittlung der steuerbilanziellen Rückstellung nicht berücksichtigt werden. Insofern ist der Betrag von 45.000 € maßgeblich. Es handelt sich um eine „echte“ Ansammlungsrückstellung, da die Höhe der Verpflichtung bekannt ist und sich die Rückbauverpflichtung nicht nur auf das Geschäftsjahr 2011, sondern auf den gesamten Mietzeitraum bezieht. Insofern ist die Rückstellung zeitanteilig in gleichen Raten anzusammeln. Somit ergibt sich eine jährliche Rate von 45.000 € / 10 Jahre = 4.500 €/Jahr. Zu beachten ist jedoch die Abzinsung des ermittelten Betrags mit 5,5%. Bei einer Abzinsung des Betrags von 4.500 € über 9 Jahre mit 5,5% ergibt sich ein Rückstellungsbetrag zum 31.12.2011 in Höhe von 2.779,40 €. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Operational Risk Manager Corporate Finance, London (E-Mail: Christian.Thurow@sc.com)
BC 8/2011
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