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Rechnungslegung/Jahresabschluss
   

Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung

BC-Redaktion

FG Münster, Urteil vom 14.12.2011, 10 K 1471/09 K, G (Revision zugelassen)

 

  1. Die wirtschaftliche Verursachung einer ungewissen Verbindlichkeit in der Zeit vor dem Bilanzstichtag ist nur dann erforderlich, wenn die Verpflichtungen rechtlich erst künftig entstehen.
  2. Eine Rauchgasentstaubungsanlage und Feuerungsanlage mit Filteranlage bilden eine Sachgesamtheit und damit ein einheitliches Wirtschaftsgut.

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Die Kapitalgesellschaft U unterhält in ihrer Produktionsstätte zwei Feuerungsanlagen zur Erzeugung von Dampf. Für eine neue Rauchgasentstaubungsanlage, die zur Anpassung an die Grenzwerte der Technischen Anleitung Luft (TA Luft) diente, bildete U in der Bilanz zum 31.12.2005 (gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. e EStG) eine abgezinste Rückstellung; in der Bilanz zum 31.12.2006 wurde der Rückstellungsbetrag aufgrund eines geänderten Herstellerangebots nochmals erhöht. Das Gegenkonto bildete den Erhaltungsaufwand, da nach Einschätzung von U keine Erweiterung oder wesentliche Verbesserung des bestehenden Wirtschaftsguts entstanden ist (keine Änderung des Funktionsumfangs und des Gebrauchswerts der Rauchgasentstaubungsanlage). Die Rauchgasentstaubungsanlage als Filteranlage ist zudem fest mit der Feuerungsanlage verbunden.

Hintergrund: Das Staatliche Amt für Umwelt und Arbeitsschutz OWL verpflichtete mit Verfügung vom 1.7.2005 U, die Abgasparameter für staubförmige Emissionen der Altanlagen (gemäß der TA Luft 2002) bis spätestens ab dem 1.10.2010 einzuhalten. Im Jahr 2008 wurde schließlich die Rauchgasfilteranlage bzw. Entstaubungsanlage erneuert.

Das Finanzamt vertrat die Auffassung, zur Erfüllung der Verpflichtung, die Emissionswerte spätestens am 1.10.2010 einzuhalten, könne eine Rückstellung nicht gebildet werden. Begründung:

  • Eine Rückstellungsbildung sei nur dann zulässig, wenn die Erfüllung dieser Umweltverpflichtung durch den Betrieb in der Vergangenheit begründet sei.
  • Die neue Rauchgasentstaubungsanlage stelle ein selbstständiges Wirtschaftsgut dar, welches zu Anschaffungs-/Herstellungskosten zu aktivieren sei. Dies stehe einer Rückstellungsbildung entgegen. Denn die Rauchgasentstaubungsanlage sei kein integraler Bestandteil der Feuerungsanlage (siehe auch die amtliche AfA-Tabelle für den Wirtschaftszweig „Energie- und Wasserversorgung“, die Rauchfilteranlagen und Rauchgasentschwefelungsanlagen als selbstständige Wirtschaftsgüter ausweist).
  • Das Wirtschaftsgut sei über seinen ursprünglichen Zustand hinaus wesentlich verbessert worden, weshalb (gemäß § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB) zu aktivierende Herstellungskosten vorliegen. Die neue Filteranlage habe schließlich zu einer erheblichen Leistungssteigerung beigetragen.

 

 

Lösung

Für die Erneuerung der Rauchgasentstaubungsanlage war (gemäß § 8 Abs. 1 KStG, § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG i.V.m. § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB) in den Streitjahren 2005 und 2006 zu Recht eine Rückstellung gebildet worden. Entgegen der Auffassung des Finanzamts stellt die Rauchgasentstaubungsanlage auch kein selbstständiges Wirtschaftsgut dar, für das Anschaffungs-/Herstellungskosten entstanden sind. Als unselbstständiger Bestandteil der Sachgesamtheit der Feuerungsanlage mit Filteranlage stellen die Kosten der Rauchgasentstaubungsanlage Erhaltungsaufwendungen dar. Denn die Feuerungsanlage kann entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit den benötigten Dampf nur erzeugen und ihre betriebliche Funktion erfüllen, wenn sie wegen der Regelungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes und der Bundesimmissionsschutzverordnung genehmigt ist und während des Betriebs die vorgegebenen Grenzwerte, u.a. zu den Staubemissionen, einhält. Weitere Gründe sind der gemeinsame betriebliche Zweck sowie die technische Verbindung der Anlagen. Aus den AfA-Tabellen lässt sich nicht zwingend ableiten, dass solche Wirtschaftsgüter stets und unabhängig von ihrer Verbindung und Funktion mit anderen Wirtschaftsgütern als selbstständige Wirtschaftsgüter zu bewerten sind.

Eine wesentliche Verbesserung (gemäß § 255 Abs. 2 Satz 1 HGB) der Feuerungsanlage oder eine höhere Leistungsfähigkeit ist durch den Einbau der neuen Filteranlage nicht eingetreten. Allein die Verringerung der Emissionswerte, welche die Betriebsanlage in den zeitgemäßen umweltrechtlich geforderten Zustand versetzt, führt nicht zu einer höherwertigen Nutzbarkeit.

Voraussetzung für die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH

a)   das Bestehen einer dem Betrag nach ungewissen Verbindlichkeit oder

b)   die hinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach, deren Höhe zudem ungewiss sein kann,

c)   ihre wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag sowie

d)   dass der Schuldner ernsthaft mit seiner Inanspruchnahme rechnen muss.

Die Bildung einer Rückstellung aufgrund einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung erfordert ein bestimmtes Handeln innerhalb eines bestimmten Zeitraums. Ist eine behördliche Verfügung ergangen oder eine entsprechende verwaltungsrechtliche Vereinbarung abgeschlossen, liegen diese Voraussetzungen in der Regel vor. Zudem müssen an die Pflichtverletzung Sanktionen geknüpft sein, die den Steuerpflichtigen zur Erfüllung der Verpflichtung zwingen.

Eine solche bereits öffentlich-rechtlich entstandene Verpflichtung ist unabhängig davon zu erfüllen, ob der Unternehmer seine Tätigkeit in Zukunft fortführt oder den Betrieb zum jeweiligen Bilanzstichtag beendet.

Im vorliegenden Streitfall bestand zum Bilanzstichtag 31.12.2005 eine rechtlich bereits entstandene Verpflichtung, mit der Feuerungsanlage die Grenzwerte zu den Staubpartikeln in den Abgasen einzuhalten. Zur Erfüllung dieser Verpflichtung war durch die behördliche Regelung eine Frist bis zum 1.10.2010 eingeräumt worden.

 

 

Bilanzierungshinweise:

  • Das Urteil des FG Münster korrespondiert mit dem BFH-Urteil vom 27.6.2001 (I R 45/97, BStBl. I 2003, S. 121), wonach rechtlich bereits entstandene Verpflichtungen unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Verursachung handels- und steuerrechtlich zu berücksichtigen sind. Danach kann der Rückstellungsausweis einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung nicht deswegen abgelehnt werden, weil die Ausgaben zukunftsbezogen sind. Zu diesem Urteil ist allerdings ein Nichtanwendungserlass ergangen (BMF-Schreiben vom 21.1.2003, IV A 6 – S 2137 – 2/03, BStBl. I, S. 125, siehe hier, vgl. auch Schulz, BC 1/2009, S. 25). Nach Auffassung des BMF muss neben der rechtlichen Verpflichtung auch die wirtschaftliche Verursachung vorliegen, damit eine Rückstellung mit steuerlicher Wirkung gebildet werden darf.
  • Soll für eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung (insbesondere im Bereich des Umweltschutzes) eine Rückstellung gebildet werden, muss die Verpflichtung hinreichend konkretisiert sein. Im Klartext: Es muss ein inhaltlich bestimmtes Handeln durch Gesetz oder Verwaltungsakt innerhalb eines bestimmbaren Zeitraums vorgeschrieben und an die Verletzung der Verpflichtung müssen Sanktionen geknüpft sein (R 5.7 Abs. 4 EStR). „Ergibt sich eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung nicht unmittelbar aus einem Gesetz, sondern setzt sie den Erlass einer behördlichen Verfügung (Verwaltungsakt) voraus, ist eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten erst zu bilden, wenn die zuständige Behörde einen vollziehbaren Verwaltungsakt erlassen hat, der ein bestimmtes Handeln vorschreibt“ (R 5.7 Abs. 4 Satz 2 EStR).

 

[Anm. d. Red.]

 

 

BC 3/2012

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