Veröffentlichung von IASB und FASB am 28.5.2014
Das International Accounting Standards Board (IASB) und das amerikanische Financial Accounting Standards Board (FASB) haben ihren gemeinsamen Standard zur Umsatzrealisierung bekannt gegeben – IFRS 15 (US-GAAP: Topic 606) Revenue from Contracts with Customers.
Praxis-Info!
Der neue Standard ist das Ergebnis der Bemühungen von IASB und FASB, eine Angleichung von IFRS und US-GAAP zu erreichen. Doch auch wenn beide Rechnungslegungssysteme denselben Standard benutzen, führt dies noch längst nicht zu gleichen Ergebnissen. So wird z.B. im Standard das Wort „probable“ (wahrscheinlich) verwendet. Unter IFRS versteht man hierunter „more likely than not“, also eine Wahrscheinlichkeit von über 50%. In den US-GAAP ist dieser Begriff nicht so genau definiert, wird aber häufig im Zusammenhang mit einer Wahrscheinlichkeit von 75% genannt. Aufgrund eines solchen unterschiedlichen Verständnisses identischer Begriffe kann es weiterhin zu Abweichungen zwischen beiden Rechnungslegungssystemen kommen, obwohl auf den ersten Blick derselbe Standard verwendet wird.
IFRS 15 ist verpflichtend anzuwenden auf Geschäftsjahre, die am oder nach dem 1.1.2017 beginnen, wobei eine freiwillige frühere Anwendung möglich ist. IFRS 15 ersetzt die bisherigen Standards zur Umsatzrealisierung IAS 11 „Fertigungsaufträge“ und IAS 18 „Umsatzerlöse“ sowie die mit diesen Standards zusammenhängenden Interpretationen IFRIC 13, 15 und 18 sowie SIC-31.
Im Mittelpunkt des neuen IFRS 15 steht ein Fünf-Schritte-Modell, mit dessen Hilfe bestimmt wird, ob, wann und wie viele Umsätze realisiert wurden.
1. Schritt: Identifizierung der Verträge mit Kunden
Ein Vertrag ist eine Vereinbarung zwischen zwei oder mehreren Parteien, durch die durchsetzbare Rechte und Pflichten geschaffen werden. Der Vertrag muss eine wirtschaftliche Substanz haben, und es muss „wahrscheinlich“ sein, dass die Gegenpartei die Fähigkeit und den Willen zur vereinbarten Gegenleistung hat. Teilweise sind Verträge zusammenzufassen, wenn sie gleichzeitig oder annähernd mit demselben Kunden abgeschlossen wurden (Bilanzierung als ein Vertrag). Außerdem gibt es umfangreiche Regelungen zur Behandlung von Vertragsmodifikationen.
Auf den ersten Blick sieht die Identifizierung von Kundenverträgen recht einfach aus. Aber bei einem Supermarkt stellt z.B. jeder einzelne Einkauf ein eigenes, durch konkludentes (schlüssiges) Handeln begründetes Vertragsverhältnis dar. Es bleibt zu hoffen, dass die umfangreichen Pflichtangaben hier nicht auf Einzelgeschäftsebene zu erfolgen haben. |
2. Schritt: Identifizierung der Leistungsverpflichtungen (performance obligations) innerhalb des Vertrags
Für jeden identifizierten Vertrag sind die separaten Leistungsverpflichtungen zuzuordnen. Hierunter versteht man einzeln abgrenzbare Güter oder Dienstleistungen.
Dazu gibt der IASB in seinen Erläuterungen folgendes Beispiel: Die Lieferung von Ziegeln und die Bereitstellung der Arbeitsleistung „Maurerarbeiten“ können zwei separate Leistungsverpflichtungen beinhalten. Wurde aber die Errichtung einer Mauer vereinbart, so sind beide Leistungen zusammenzufassen, da sie lediglich die Inputfaktoren für das bestellte Produkt darstellen.
Durch die Identifizierung von separaten Leistungsverpflichtungen kommt es quasi zu einem „Komponentenansatz in der Umsatzrealisierung“. Die Aufteilung ist entscheidend für den Zeitpunkt der Umsatzrealisierung. Werden im obigen Beispiel Ziegellieferung und Maurerleistung als separate Leistungsverpflichtungen behandelt, so können diese wie folgt erfasst werden: der Umsatz aus der Ziegellieferung mit Abschluss der Lieferung, der Umsatz für die Maurerleistung dann nach Fertigstellung der Mauer.
Werden beide Leistungen dagegen zusammengefasst, so ist eine Umsatzrealisierung erst mit Übergabe der Mauer vorzunehmen. |
3. Schritt: Bestimmung des Transaktionspreises
Der Transaktionspreis ist die von der bzw. den Vertragsparteien erwartete Gegenleistung. In der Regel handelt es sich dabei um den vereinbarten Preis abzüglich der Preisnachlässe, Prämien etc. Der Standard enthält auch Regelungen für zahlungsunwirksame Gegenleistungen.
Ein Zinseffekt ist dann zu berücksichtigen, wenn eine Finanzierungskomponente einen wesentlichen Vertragsbestandteil bildet. Hierbei kann bei vereinbarten Zahlungszeiträumen von weniger als einem Jahr davon ausgegangen werden, dass eine solche Finanzierungskomponente nicht wesentlich ist.
4. Schritt: Aufteilung des Transaktionspreises auf die Leistungsverpflichtungen
Der Transaktionspreis ist im Weiteren auf die im Schritt 2 identifizierten Leistungsverpflichtungen aufzuteilen. Liegt kein Einzelveräußerungspreis für eine separate Leistungsverpflichtung vor, so ist dieser zu schätzen. Der Standard geht dabei auf verschiedene Methoden zur Schätzung ein.
Ein Preisnachlass soll einer speziellen Leistungsverpflichtung zugeordnet werden, anstatt eine Aufteilung auf alle Verpflichtungen vorzunehmen.
5. Schritt: Umsatzrealisierung bei Erfüllung der Leistungsverpflichtung
Mit Erfüllung der Leistungsverpflichtung, also der Übertragung des Wirtschaftsgutes oder der Dienstleistung an den Kunden, kommt es zur Umsatzrealisierung. Dabei ist zwischen einer zeitpunkt- und einer zeitraumbezogenen Umsatzrealisierung zu unterscheiden. Der Standard nennt hier verschiedene Kriterien zur Abgrenzung. Während bei der zeitpunktbezogenen Umsatzrealisierung der Umsatz auf einmal in voller Höhe realisiert wird, erfolgt die zeitraumbezogene Umsatzrealisierung phasenweise. Das Unternehmen hat dabei diejenige Methode zur Umsatzrealisierung zu wählen, die den Verlauf der zeitraumbezogenen Übertragung ab besten abbildet.
Darüber hinaus enthält IFRS 15 auch Regelungen zur Behandlung von Vertragsportfolien, Vertrags(neben)kosten und notwendigen Anhangangaben.
Der neue Standard wird vor allem bei langfristigen Verträgen und komplexen gegenseitigen Lieferverträgen zu einer Änderung der Umsätze bzw. des Umsatzrealisierungszeitpunkts führen. Infolgedessen lassen sich Umsätze vor der Anwendung des neuen Standards nicht mehr ohne Weiteres mit Umsätzen nach Anwendung von IFRS 15 vergleichen. Für einfache Verkaufs- und Servicegeschäfte wird sich dagegen aller Voraussicht nach kaum eine Änderung ergeben. |
Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Operational Risk Manager Corporate Finance, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 6/2014
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