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Rechnungslegung/Jahresabschluss
   

Gerichtlich geltend gemachte Schadensersatzforderungen: Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten

Christian Thurow

BFH-Urteil vom 16.12.2014, VIII R 45/12

 

„Eine wahrscheinliche Unmöglichkeit ist immer einer wenig überzeugenden Möglichkeit vorzuziehen“. Soweit der griechische Logiker Aristoteles. Auch der Bundesfinanzhof (BFH) beschäftigt sich in einem aktuellen Urteil mit verschiedenen Graden von Wahrscheinlichkeit. Dabei geht es um die Frage, ab welchem Zeitpunkt eine gegen das Unternehmen gerichtete Schadensersatzforderung als Rückstellung passiviert werden muss.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Eine natürliche Person war in zwei Unternehmen als Teileigentümer und Mitglied der Geschäftsführung bzw. der Aufsichtsorgane tätig. Zwischen den Unternehmen wurde ein Beratervertrag geschlossen. Nach Ausscheiden der Person aus den Unternehmen wurde der Beratervertrag wegen Nichtigkeit angefochten und die bislang gezahlten Beraterhonorare im Rahmen einer Schadensersatzklage zurückgefordert.

Auf Betreiben der Hausbank gab das beklagte Unternehmen ein Rechtsgutachten in Auftrag, welches zu dem Ergebnis kam, dass ein Obsiegen im Prozess überwiegend wahrscheinlich sein wird. Das beklagte Unternehmen unterließ es daraufhin, im Jahresabschluss eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten für den Rechtsstreit zu bilden.

Im Mai des folgenden Jahres kam es zu einem Vergleich, wonach das Unternehmen die Hälfte der bisher gezahlten Beraterhonorare zurückerstattet bekommt. Im folgenden August wurde das Unternehmen mit einem anderen Unternehmen auf Basis des vorangegangenen Jahresabschlusses verschmolzen. Das neue Unternehmen wechselte seine Gewinnermittlungsmethode zur Einnahmen-Überschussrechnung.

Aus Sicht des Betriebsprüfers hätte im Jahresabschluss eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten für den Rechtsstreit gebildet werden müssen. Beim späteren Wechsel der Gewinnermittlungsmethode des neuen Unternehmens sei diese Rückstellung dann gewinnerhöhend aufzulösen.

Die hiergegen gerichtete Klage des neuen Unternehmens vor dem erstinstanzlichen Finanzgericht blieb erfolglos (FG Schleswig-Holstein, Urteil vom 25.9.2012, 3 K 77/11).

 

 

Lösung

Aus Sicht des BFH hat das Unternehmen zu Recht die Bildung einer Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten unterlassen. In seiner Urteilsbegründung unterscheidet der BFH zwischen

  • der Wahrscheinlichkeit des Bestehens einer Verbindlichkeit und
  • der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme hieraus.

Zur Bildung einer Rückstellung kommt es nur dann, wenn in beiden Kategorien eine überwiegende Wahrscheinlichkeit vorliegt. Dies ist im Ausgangsfall nicht gegeben.

Zur Ermittlung der Wahrscheinlichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme ist auf die tatsächlichen Verhältnisse am Bilanzstichtag abzustellen. Laut BFH müssen „mehr objektive Gründe für eine überwiegende Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme als dagegen sprechen“. Im Ausgangsfall ist dies gegeben, da die Inanspruchnahme mittels Klage geltend gemacht wurde.

Auch bei der Wahrscheinlichkeit des Bestehens einer Verbindlichkeit müssen mehr Gründe für als gegen das Bestehen sprechen. Ist ein Unterliegen im Prozess aufgrund gewichtiger objektiver Umstände nicht zu erwarten – also ein Bestehen der Schadensersatzforderung anzunehmen –, so ist dies zu berücksichtigen. Im Ausgangsfall kommt ein im Werterhellungszeitraum erstelltes unabhängiges Rechtsgutachten zu dem Schluss, dass ein Unterliegen im Prozess nicht überwiegend wahrscheinlich sei. Verstärkend kommt laut Begründung des BFH hinzu, dass dieses Gutachten von einem fremden Dritten (der Hausbank) angefordert wurde. Basierend auf dem Gutachten konnte das Unternehmen davon ausgehen, dass eine überwiegende Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Schadensersatzforderung nicht vorlag.

Zu Recht wurde damit die Bildung der Rückstellung unterlassen.

Bei dem Vergleich im Mai handelt es sich um eine wertbegründende Tatsache. Diese ist bei der Aufstellung des vorangegangenen Jahresabschlusses nicht zu berücksichtigen.

 

 

Praxishinweis:

  • Das Urteil des BFH macht künftig eine zweistufige Ermittlung bei Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten erforderlich:
    – Zunächst ist die Wahrscheinlichkeit des Bestehens zu prüfen,
    – anschließend die Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme.
    Bei der Einschätzung der Wahrscheinlichkeiten sind nur wertaufhellende Tatsachen zu berücksichtigen; wertbegründende Fakten dürfen keinen Einfluss haben.
  • Der Ausgangsfall verdeutlicht auch den Einfluss von Fremdkapitalgebern. Die finanzierende Hausbank hat das Unternehmen veranlasst, ein Rechtsgutachten zu dem möglichen Prozessausgang einzuholen.

 

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Lead Auditor Europe in der Internen Revision, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)

 

 

BC 7/2015

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