CHB_RSW_Logo_mit_Welle_trans
JuS_Logobasis_Linsenreflex
Menü

Rechnungslegung/Jahresabschluss
   

Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs hinsichtlich bilanzieller Rechtsfragen

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

BFH-Beschluss vom 31.1.2013, GrS 1/10

 

Das Finanzamt ist im Rahmen der ertragsteuerrechtlichen Gewinnermittlung auch dann nicht an die rechtliche Beurteilung gebunden, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Bilanz (und deren einzelnen Ansätzen) zugrunde liegt, wenn diese Beurteilung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung vertretbar war.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Für die Beurteilung, ob eine beim Finanzamt (FA) eingereichte Bilanz „fehlerhaft“ in dem Sinne ist, dass sich das FA von den Bilanzansätzen des Steuerpflichtigen lösen kann, galt nach der bisherigen Rechtsprechung des BFH (auch hinsichtlich der Beurteilung von Rechtsfragen) ein subjektiver Maßstab: War die einer Bilanz oder einem Bilanzansatz zugrunde liegende rechtliche Beurteilung im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns vertretbar, war das FA daran bei der Steuerfestsetzung auch dann gebunden, wenn diese Beurteilung objektiv fehlerhaft war.

Das galt auch für eine in diesem Zeitpunkt von Finanzverwaltung und Rechtsprechung praktizierte, später aber geänderte Rechtsauffassung. Im Ausgangsverfahren, das dem Großen Senat des BFH (GrS) mit Urteil vom 7.4.2010 (I R 77/08) Vorgelegt wurde, war insoweit streitig, wie die verbilligte Handy-Abgabe bilanzsteuerrechtlich zu beurteilen ist und inwieweit dabei eine aktive Rechnungsabgrenzung (RAP) für Betriebsvermögensminderungen vorzunehmen ist. Hier war der I. Senat des BFH der Ansicht, der RAP sei bei der Steuerfestsetzung zu berücksichtigen, obwohl die Entscheidung der Klägerin, den RAP in der von ihr eingereichten Bilanz zum 31.12.1996 nicht zu bilden, zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung der kaufmännischen Sorgfalt entsprochen habe und somit subjektiv nicht fehlerhaft gewesen sei.

Da diese Ansicht von der bisherigen Rechtsprechung des BFH zum subjektiven Fehlerbegriff abwich und es sich um eine zentrale und umstrittene, alle mit dem Bilanzrecht befassten Senate des BFH betreffende Grundfrage des Bilanzsteuerrechts mit großer praktischer Bedeutung handelte, war für den I. Senat die Vorlage an den GrS geboten.

Ähnlich gelagert ist eine Entscheidung des BFH vom 19.5.2010 (I R 65/09), welche die Rechnungsabgrenzung für Kfz-Steueraufwand unter Berichtigung eines objektiv falschen Bilanzansatzes zum Gegenstand hat. Mit dieser Entscheidung hatte der BFH die bisher gängige Bilanzierungspraxis noch bestätigt und – gerade weil die Rechnungsabgrenzung in den Fällen vorausbezahlter Kfz-Steuern bei Bilanzaufstellung nicht zweifelhaft war – auch keinen Anlass gesehen, den Ausgang des nun entschiedenen Verfahrens vor dem GrS zum sog. „subjektiven Fehlerbegriff“ abzuwarten.

Das in dem Verfahren vor dem GrS hinzugezogene Bundesfinanzministerium (BMF) vertritt die Auffassung, am subjektiven Fehlerbegriff könne bezogen auf die Beurteilung von Rechtsfragen nicht mehr uneingeschränkt festgehalten werden. Das Finanzamt habe die Richtigkeit der Bilanz auf der Grundlage der maßgeblichen Vorschriften zu prüfen und könne und müsse bei einem Verstoß gegen diese Vorschriften bei der Steuerfestsetzung unter Berücksichtigung der allgemeinen verfahrensrechtlichen Bestimmungen zugunsten oder zuungunsten des Steuerpflichtigen von der Bilanz abweichen. Es komme dabei nicht darauf an, ob die Voraussetzungen für eine Berichtigung der Bilanz durch den Steuerpflichtigen selbst erfüllt seien. Bei der Steuerfestsetzung könne es kein Wahlrecht zwischen subjektiver und objektiver Rechtmäßigkeit geben. Maßgeblich könne nur das „objektiv richtige“ Recht sein, und zwar auch bei einer im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung noch ungeklärten Rechtslage.

Im Rahmen des nun ergangenen GrS-Beschlusses vom 31.1.2013 löste sich der BFH aber von der bisherigen Rechtsprechung mit dem sog. subjektiven Fehlerbegriff. Zu beantworten ist daher die Frage, welche Praxisauswirkungen dieser (allerdings mit Einschränkungen versehene, vgl. unten stehende Praxishinweise) Richtungswechsel in der BFH-Rechtsprechung haben wird.

 

 

Lösung

Zu der Anwendung des sog. subjektiven Fehlerbegriffs lassen sich höchst unterschiedliche Ansichten vertreten. Dies belegt die in den Rdn. 35-54 vom BFH zusammengetragene Meinungsübersicht recht eindrucksvoll. Allerdings hatte schon der Reichsfinanzhof (RFH) „soweit ersichtlich der subjektiven Beurteilung durch den Steuerpflichtigen keine Bedeutung beigemessen“.

In Fortführung dessen kommt der BFH unter Würdigung einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu dem Ergebnis, dass eine Bindung des Finanzamts an eine objektiv unzutreffende, aber im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung aus der Sicht eines ordentlichen und gewissenhaften Kaufmanns vertretbare rechtliche Beurteilung, die der vom Steuerpflichtigen aufgestellten Handels- oder Steuerbilanz oder deren einzelnen Ansätzen zugrunde liegt, abzulehnen ist. Eine solche Bindung lasse sich weder aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG noch aus § 4 Abs. 2 EStG ableiten. Vielmehr seien die Finanzverwaltung und die Gerichte – insbesondere aus verfassungsrechtlichen Gründen – verpflichtet, ihrer Entscheidung die objektiv richtige Rechtslage zugrunde zu legen.

Die Verpflichtung des Finanzamts, die Gewinnermittlung des Steuerpflichtigen ausschließlich auf der Grundlage des für den Bilanzstichtag objektiv geltenden Rechts – ohne Rücksicht auf Rechtsansichten des Steuerpflichtigen (so wörtlich der BFH) – zu prüfen und ggf. zu korrigieren, besteht unabhängig davon, ob sich die unzutreffende Rechtsansicht des Steuerpflichtigen zu seinen Gunsten oder zu seinen Lasten ausgewirkt hat.

Auch Argumentationen, die sich auf die sog. Zweischneidigkeit der Bilanz (und die Grundsätze des formellen Bilanzzusammenhangs) beziehen, werden in der Praxis nicht helfen. Mit dem Begriff der Zweischneidigkeit der Bilanz wird umschrieben, dass die Bilanz Bestandteil der Gewinnermittlung für zwei Wirtschaftsjahre ist, in denen sich gegenläufige Gewinnauswirkungen ergeben können.

 

 

Beispiel 1:

Wird eine zu Unrecht gebildete Rückstellung später wieder aufgelöst, gleicht sich der Bilanzierungsfehler nach dem Zweischneidigkeitsgrundsatz später wieder aus. Zwar fehlt es dann an einer Auswirkung auf den über alle Perioden entstehenden Gesamtgewinn. Dies bedeutet aber eben nicht, dass auch die Steuer in diesem Zeitraum in identischer Höhe entsteht. Das verhindern z.B. abweichende Tarife oder die Inanspruchnahme von Vergünstigungen.

Der BFH verweist hierzu ausdrücklich auf erhebliche Liquiditäts- und Zinsvorteile hin, die sich unter Umständen aus einer zu niedrigen Steuerfestsetzung in einem Veranlagungszeitraum ergeben können.

 

 

Beispiel 2:

Auch abgesehen davon gleichen sich Bilanzierungsfehler trotz der Zweischneidigkeit der Bilanz nicht in jedem Fall in späteren Wirtschaftsjahren aus. Der BFH führt hierfür den Fall eines zu Unrecht als Betriebsvermögen behandelten Privatvermögens an, das endgültig an Wert verliert und infolgedessen zu einer Gewinnminderung im Betriebsvermögen führt.

 

 

Eine Übergangsregelung hält der BFH weder für erforderlich noch durchsetzbar.

 

 

Praxishinweise:

  • Es kann mit dem BFH offenbleiben, ob entsprechend der Auffassung der Klägerin und von Teilen der Literatur auch der subjektive Fehlerbegriff zu den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) gehört. Denn ein solcher handelsrechtlicher GoB könnte eine Steuerfestsetzung auf der Grundlage der jeweils maßgebenden steuerrechtlichen Vorschriften nicht verhindern. Soweit es einem Bilanzierenden erlaubt sein sollte, die subjektiv richtige Handelsbilanz nicht korrigieren zu müssen, wenn er bei ihrer Aufstellung die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns an den Tag gelegt hat, könnte dies nicht auf die Besteuerung übertragen werden.
  • Am subjektiven Fehlerbegriff muss dem BFH zufolge auch nicht aus Gründen des Vertrauensschutzes auf eine zum Zeitpunkt der Bilanzaufstellung geltende, für den Steuerpflichtigen steuerlich günstige Verwaltungsauffassung oder Rechtsprechung festgehalten werden. Ändere sich die Verwaltungsauffassung oder Rechtsprechung nach diesem Zeitpunkt zulasten des Steuerpflichtigen, sei ihm entsprechend der bisherigen Praxis – unabhängig vom subjektiven Fehlerbegriff – Vertrauensschutz zu gewähren.
  • Letztlich schließt der BFH mit dieser Grundsatzentscheidung zwar ein Einfallstor für Rechtsunsicherheiten, denn nach dem sog. subjektiven Fehlerbegriff galt es ja eigentlich, lediglich die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns nachzuweisen. Die Vorstellungen über „Sorgfalt“ und „ordentlich“ sind aber bekanntlich recht unterschiedlich vertretbar, weshalb die Vermeidung eines solchen unbestimmten Rechtsbegriffs sicher auch positive Seiten hat.
  • Schwer fällt es allerdings, der Auffassung des BFH zu den finanzbehördlichen Prüfungspflichten zu folgen, die „ohne Rücksicht auf Rechtsansichten des Steuerpflichtigen“ auszuführen seien. Diese Schärfe der Wortwahl stimmt bedenklich.
  • Andererseits weicht der BFH aus und scheut sich vor der künftig sicher an Bedeutung gewinnenden Frage, was in Bezug auf Einschätzungsspielräume des Managements bzw. der ansonsten für die Rechnungslegung Verantwortlichen gilt, die mit der weiteren Übernahme von internationalen Rechnungslegungsnormen sicher zunehmen werden. Denn über die Anwendung des subjektiven Fehlerbegriffs „auf Fälle, in denen der Steuerpflichtige bei der Bilanzierung von unzutreffenden Tatsachen (Prognosen oder Schätzungen) ausgegangen ist, ohne dabei gegen die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten verstoßen zu haben“, mochte der BFH nicht befinden; denn dies habe die „vom I. Senat vorgelegte Rechtsfrage im vorliegenden Verfahren nicht“ hergegeben. Mit dieser (in Rdn. 78 von 84 insgesamt versteckten, aber für die Bilanzierungspraxis deshalb nicht unwichtigen) Einschränkung wird es in vielen Fällen möglich sein, eine auf den subjektiven Fehlerbegriff gestützte Argumentation vorzubringen.
  • Auch die unbestimmte „Sorgfalt“, die mit dem obigen BFH-Beschluss kein Gewicht mehr haben soll, ist demzufolge wieder im Spiel. Der (vom BFH selbst so formulierten) „Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs“ könnte somit seine Auferstehung bald folgen – dies hier als ein nur zufällig mit Ostern zusammenfallender abschließender Hinweis.

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, Coesfeld

 

 BC 4/2013

becklink344355

Rubriken

Menü

Anzeigen

BC Newsletter

beck-online Bilanzrecht PLUS

wiwicareer-vahlen

Teilen

Menü