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Rechnungslegung/Jahresabschluss
   

Rechnungswesen und Controlling – Mythos oder Logos?

Christian Thurow

 

Im Jahr 2020 ist im Verlag C.H.BECK das kleine Büchlein „Ins Erzählen flüchten“ von Jonas Lüscher erschienen. Der Autor geht hier u.a. dem jahrtausendealten Konflikt zwischen Mythos und Logos – Homer und Platon – Literatur und Philosophie – nach. Ein Konflikt, welcher bis in unsere Zeit anhält. Vielleicht ist die Ruhe des Lockdowns die rechte Zeit, einmal zu hinterfragen, zu welchem Typus die beiden Lager Rechnungswesen und Controlling eigentlich gehören.


 

 

Auf den ersten Blick erscheint die Sache klar: Rechnungswesen und Buchhaltung basieren auf den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB), Bilanz und GuV folgen den Regeln der Mathematik (u.a. Logik der Doppik). Und stand der Philosoph Platon nicht selbst Pate für den Begriff der Inventur, wenn er in seinem Werk „Politeia“ schreibt, das trefflichste Mittel gegen narrative Beliebigkeit (gegen eine subjektive Darstellung in erzählender Form) sei „das Messen, das Zählen und das Wägen“? Eine ordnungsmäßige Inventur, eine ordnungsgemäße Bewertung des Vorratsbestands, ein richtiger Wertansatz. Doch ist „richtig“ hier auch gleichbedeutend mit „eindeutig“? Wie war das nochmal mit den Inventurvereinfachungsverfahren und Bewertungswahlrechten? Zwar führt ein Wahlrecht nicht gleich zu der „narrativen Beliebigkeit“, vor welcher sich Platon fürchtet. Doch öffnet es verschiedenen Werten und damit verschiedenen Realitäten Tür und Tor. Die Bandbreite der richtigen Werte hängt auch davon ab, nach welchen Rechnungslegungsvorschriften (HGB, IFRS oder US-GAAP) bilanziert wird und unter welchen Grundannahmen (Going Concern – Bewertung unter Berücksichtigung der Unternehmensfortführung – oder Liquidationswerte) der Abschluss erstellt wird. Die Realität – sie kommt hier sehr einzelfallbezogen daher.

Noch spannender wird die Unterscheidung zwischen Logos und Mythos beim Thema „Unternehmensbewertung“. Komplizierte mathematische Verfahren, Abzinsungstabellen und ein ausführliches Prognosezahlenwerk untermauern hier den betriebswirtschaftlich-wissenschaftlichen Anspruch. Nicht umsonst wird Unternehmensbewertung an Universitäten gelehrt. Erhabene Wissenschaft, die nichts mit den mythischen Prognoseverfahren – Kristallkugel, Tarot, Vogelflugdeutung etc. – zu tun hat. Letztere – die abergläubischen Verfahren – können selbstverständlich keine richtigen Ergebnisse liefern. Schon Cicero hat sich in seinem Werk „De Divinatione“ an ihnen abgearbeitet. Einzig und allein die wissenschaftlichen Verfahren wären doch geeignet, richtige Unternehmenswerte zu liefern.

Es wäre an dieser Stelle interessant zu untersuchen, wie viele Unternehmensbewertungen in der Touristikbranche aus dem Jahr 2019 Anfang 2021 noch Bestand haben. Vom Bauchgefühl her würde ich sagen: Auch die wissenschaftliche Unternehmensbewertung hat hier keine „richtigeren“ Werte geliefert. Das Leben – auch das Wirtschaftsleben – ist eben häufig zu komplex und unvorhersehbar, um es mithilfe einiger Excel-Tabellen in eine dauerhafte Struktur zu bringen. Daher basieren eigentlich alle betriebswirtschaftlichen Modelle auf einer Realitätsreduktion (Beschränkung). Die Unternehmensbewertung gleicht einem perfekt konstruierten Gebäude. Leider auf Treibsand gebaut. Dass die Logik der Betriebswirtschaftslehre auf dem Mythos der Annahme gründet, begegnet uns im Rechnungswesen häufiger. Eine Bilanz stellt damit niemals eine ultimative Wahrheit dar, sondern sollte immer mit einer gewissen Skepsis gelesen werden.

Für Buchhalter und Controller ist es wichtig, sich dem Spannungsverhältnis von Mythos und Logos bewusst zu sein. Mittels Kennzahlen, Statistiken und Liniendiagrammen lässt sich trefflich argumentieren. Die Herzen der Zuhörer gewinnt man damit aber äußerst selten. Hierzu ist es notwendig, das Zahlenmaterial in ein größeres Narrativ einzubetten. Eine Vision, eine Geschichte, untermauert mit „Fakten“, hat eine viel größere Überzeugungskraft als das reine Zahlenwerk. Lüscher spricht hier etwas abwertend von der „Narration als Gleitmittel für trockene Zahlen“.

Buchhalter oder Controller, die „Ins Erzählen flüchten“ müssen, haben in der Regel etwas zu verbergen. Ein Buchhalter oder Controller, der sein Zahlenwerk erzählerisch darstellen kann, ist eine Bereicherung. Somit scheint das Rechnungswesen wohl irgendwo zwischen Logos und Mythos beheimatet zu sein.

 

Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)

 

 

BC 2/2021

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