FG Münster, Urteil vom 24.6.2021, 10 K 2084/18 K,G (Revision zugelassen)
Zur Bildung einer Rückstellung bedarf es einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens. Doch wie steht es um die Wahrscheinlichkeit einer steuerlichen Betriebsprüfung bei einem Kleinstbetrieb?
Praxis-Info!
Problemstellung
Die Klägerin betrieb in der Rechtsform einer GmbH ein Taxiunternehmen. Im Streitzeitraum erfüllte sie die Größenkriterien eines Kleinst- bzw. Kleinbetriebs im Sinne der Betriebsprüfungsordnung (BpO).
Im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung und einer steuerlichen Betriebsprüfung im Jahr 2017 kam es zu Steuernachforderungen für die Besteuerungszeiträume 2012 bis 2014. Im Mittelpunkt standen u.a. Feststellungen zu nicht vollständig erfassten Umsatzerlösen. Eine Verständigung zwischen Klägerin und Betriebsprüfer führte zu höheren Umsätzen und Gewinnen sowie zu zusätzlichen Arbeitslöhnen. Die Klägerin begehrte daraufhin die Bildung einer Rückstellung für Steuerberatungskosten und für Steuernachzahlungen im Veranlagungszeitraum 2012.
Aus Sicht des Finanzamts konnte eine solche Rückstellung aber lediglich ab dem Veranlagungszeitraum der Prüfungsanordnung – also dem Jahr 2017 – gebildet werden, da nur Großbetriebe im Sinne der BpO mit einer ständigen Anschlussprüfung rechnen müssen. Bei Kleinst- und Kleinbetrieben liege vor Zustellung der Prüfungsanordnung keine hinreichende Wahrscheinlichkeit zur Bildung einer Rückstellung vor.
Lösung
Das FG Münster folgt in seinem Urteil der Argumentation des Finanzamts. Das „auslösende“ Ereignis hat nicht im Jahr 2012, sondern erst mit Anordnung der Kombiprüfung im Jahr 2017 stattgefunden. Am 31.12.2012 habe der Kleinbetrieb nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer späteren steuerlichen Betriebsprüfung rechnen müssen, da es sich bei ihm nicht um einen Großbetrieb handelt und er deshalb nicht der Anschlussprüfung unterliegt. Allein der Umstand, dass die Steuerbescheide der Streitjahre unter dem Vorbehalt der Nachprüfung standen, ist für die Bildung einer Rückstellung ebenfalls unzureichend. Im Streitzeitraum bestand auch noch keine rechtlich wirksame und verbindliche Zahlungsverpflichtung gegenüber der Finanzverwaltung. Eine solche Zahlungsverpflichtung wurde erst mit dem Haftungsbescheid im Jahr 2017 begründet.
Das FG Münster hat die Revision zugelassen, da die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Bildung von Rückstellungen von nicht hinterzogenen Steuern uneindeutig ist. Während der 1. Senat des BFH im Einklang mit der Begründung des FG Münster von einer Passivierung im Jahr der Aufdeckung ausgeht, vertritt der 3. Senat des BFH die Ansicht, dass die nicht auf einer Steuerhinterziehung beruhenden Steuernachforderungen aufgrund einer steuerlichen Betriebsprüfung bereits im Steuerentstehungsjahr zu passivieren seien und nicht erst im Jahr der Aufdeckung der Vorgänge durch die Betriebsprüfung. Eine abschließende Klärung steht somit noch aus.
- Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten, die betrieblich veranlasst sind – gleichgültig ob diese Verbindlichkeiten zivilrechtliche Schadensersatzansprüche oder öffentlich-rechtliche Verpflichtungen betreffen –, ist (nach § 249 HGB) zu dem Zeitpunkt anzusetzen, zu dem der Steuerpflichtige mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Inanspruchnahme (der entsprechenden Forderung des Finanzamts) rechnen muss.
- Bei Verpflichtungen, die aus Straftaten resultieren, entsteht die Verbindlichkeit zwar bereits mit Begehung der Tat; solange der Bilanzierende aber davon ausgehen kann, dass die Tat unentdeckt bleibt, stellt die Verbindlichkeit für ihn noch keine wirtschaftliche Belastung dar. Ob und inwieweit eine Inanspruchnahme aus der ungewissen Verbindlichkeit zu erwarten ist, richtet sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags. Anders ausgedrückt: Für die Rückstellungsbildung kommt es nicht auf das Jahr des Entstehens der Steuer (Zeitpunkt der Steuerstraftat), sondern den Zeitpunkt des Entdeckens bzw. Aufdeckens der Tat (Zeitpunkt der Außenprüfung/Steuerfahndung) an. Wie das Finanzamt von diesen Taten erfährt, ist gleichgültig; ein bloßer Verdacht genügt jedoch nicht.
- Die allgemeine Erfahrung, wonach es bei steuerlichen Betriebsprüfungen zu Beanstandungen kommt, welche zu mehr oder weniger hohen Steuernachforderungen führen, erfüllt eigentlich nicht die Voraussetzungen an eine Rückstellungsbildung (konkrete Inanspruchnahme). Insofern handelt es sich um ein dem allgemeinen Unternehmer- oder Branchenrisiko vergleichbares Risiko, das erst dann zur Bildung einer Rückstellung berechtigt, wenn es sich in Gestalt konkreter und nachprüfbarer Einzelsachverhalte zu dem Risiko eines bestimmten einzelnen Geschäftsvorfalls verdichtet hat.
- Sobald die Behandlung konkreter steuerlicher Sachverhalte im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung strittig ist, darf somit eine Rückstellung gebildet werden. Auf der sicheren Seite sind Bilanzierende, wenn die Außenprüfung bereits begonnen wurde und der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat oder zumindest den einschlägigen Sachverhalt konkret überprüft. Dasselbe gilt für anhängige Streitverfahren (auch Musterverfahren), durch die das Unternehmen belastet werden kann, auch wenn der Ausgang des Rechtsstreits noch unsicher ist.
- In der HGB-Bilanz können hingegen Rückstellungen für künftige Steuernachforderungen aufgrund zu erwartender Betriebsprüfungen unter Umständen gebildet werden, auch wenn sie steuerrechtlich nicht anerkannt sind. Solche Rückstellungen sind denkbar, wenn das Steuerrisiko nicht bereits durch eine entsprechende Steuerabgrenzung abgedeckt ist. Im Klartext: Wird mit Blick auf die nächste steuerliche Außenprüfung erwartet, dass bis dahin bestehende vorübergehende Abweichungen zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz ganz oder zum Teil beseitigt werden und sich hieraus ein steuerrechtlicher Mehraufwand ergeben kann (weil z.B. in der Steuerbilanz Aktivposten, die bislang in der Steuerbilanz niedriger als in der Handelsbilanz angesetzt waren, höher angesetzt werden), ist dieses Risiko bereits durch die Steuerabgrenzung abgedeckt.
- Eine Rückstellung wegen künftiger Zinszahlungen aufgrund entstandener Steuernachforderungen kann hingegen frühestens 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuernachforderung entstanden ist (vgl. § 233a Abs. 2 S. 1 AO), gebildet werden. Denn eine Rückstellung knüpft nicht nur an Vergangenes an, sondern muss auch Vergangenes abgelten. Mit der Zinszahlung wegen entstandener Steuernachforderungen wird der Liquiditätsvorteil abgegolten, der sich aus der „verspäteten“ Zahlung der Steuer für den Steuerpflichtigen ergibt. Eine solche Rückstellung kann nur die bis zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich entstandenen Zinsen umfassen.
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Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: c.thurow@thurow.co.uk)
BC 10/2021
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