BFH-Urteil vom 27.6.2001, I R 45/97
Eine am Bilanzstichtag rechtlich entstandene Verbindlichkeit ist unabhängig vom Zeitpunkt ihrer wirtschaftlichen Verursachung zu passivieren.Es gibt keinen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung, der gebietet, Aufwand in das Jahr zu verlagern, in welchem die Erträge erzielt werden, aus denen die Aufwendungen gedeckt werden sollen.
Praxis-Info:
Die klagende GmbH betrieb eine Spänetrocknungsanlage. Das zuständige Gewerbeaufsichtsamt erließ 1988 gemäß Bundesimmissionsschutzgesetz (BImschG) eine Anordnung, nach der die GmbH die Anlage bis 1991 so umzurüsten hatte, dass bestimmte Emissionswerte eingehalten werden. Auf Widerspruch der GmbH wurden die Anforderungen 1991 modifiziert.
Für die Anpassungsverpflichtung bildete die GmbH in ihrer Bilanz 1998 eine Rückstellung in Höhe von 1,2 Mio. DM. Sie wurde vom Finanzamt unter Berufung auf das BMF-Schreiben vom 27.9.1988 (DB 1988, S. 2279), nicht anerkannt. Danach dürfen keine Rückstellungen für Verpflichtungen zur Einhaltung von Grenzwerten für die Reinhaltung der Luft gebildet werden.
Gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1 HGB sind u.a. Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zu bilden; nach ständiger Rechtsprechung sind dabei folgende Voraussetzungen zu beachten:
Bestehen einer dem Betrag nach ungewissen Verbindlichkeit oderhinreichende Wahrscheinlichkeit des künftigen Entstehens einer Verbindlichkeit dem Grunde nach – deren Höhe zudem ungewiss sein kann – und wirtschaftliche Verursachung in der Zeit vor dem Bilanzstichtag.Nach Ansicht des BFH war die GmbH berechtigt, in ihrer Bilanz 1989 eine Rückstellung zu bilden. Die gesetzliche Verpflichtung (gemäß BImschG) war hinreichend konkretisiert: Es lag am Bilanzstichtag die Verfügung einer Behörde vor, welche die GmbH zu einem genau definierten Handeln innerhalb eines vorgegebenen Zeitrahmens verpflichtete. An die Nichterfüllung der Verpflichtung waren Sanktionen geknüpft. Am Bestehen der Verpflichtung ändert auch der von der GmbH eingelegte Widerspruch nichts. Dass der Anfall des Aufwands nach dem maßgeblichen Bilanzstichtag mit Abhilfebescheid 1991 verlagert, modifiziert und zudem vom Zeitpunkt der Genehmigung durch die Behörde abhängig gemacht wurde, ist jedenfalls für die Beurteilung zum Bilanzstichtag unerheblich.
Nur bei künftig entstehendenVerpflichtungen ist für eine Passivierung zusätzlich u.a. erforderlich, dass ihr wirtschaftlicher Bezugspunkt zeitlich vor dem jeweiligen Bilanzstichtag liegt. Gleiches gilt nicht für bereits zum Bilanzstichtag bestehende Verpflichtungen, denen der (unbedingte) Anspruch des Gläubigers auf ein bestimmtes Tun oder Unterlassen gegenübersteht. Fallen rechtliche Entstehung und wirtschaftliche Verursachung einer Verbindlichkeit zeitlich auseinander, ist für ihre Passivierung der frühere der beiden Zeitpunkte maßgebend.
Die Rückstellungsbildung scheidet aber nach Ansicht des BFH aus, soweit der nach den Verhältnissen des Bilanzstichtags künftig zu erwartende Aufwand als Herstellungsaufwand zu aktivieren ist. Eine wesentliche Verbesserung ist allerdings erst dann gegeben, wenn über die zeitgemäße Erneuerung hinaus nach objektiven Maßstäben der Gebrauchswert des Wirtschaftsguts im Ganzen deutlich erhöht wird. Die auf Grund der behördlichen Anordnung zu bewirkende Minderung der Emissionswerte allein führt nicht zu einer wesentlichen Verbesserung der Anlage, weil sie lediglich dem zeitgemäßen Standard entspricht.
[Anm. d. Red.]
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