OFD Niedersachsen, Verfügung vom 22.8.2013, S 2141-10-St 222/St 221
Die Behauptung des Steuerpflichtigen, dass nach allgemeiner Erfahrung bei einer Betriebsprüfung mit Steuernachforderungen zu rechnen ist, rechtfertigt nicht die Bildung einer Rückstellung (BFH-Urteil vom 13.1.1966, IV 51/62, BStBl. III, S. 189). Abzugsfähige Steuern sind grundsätzlich dem Jahr zu belasten, zu dem sie wirtschaftlich gehören. Dagegen ist eine Rückstellung für Mehrsteuern aufgrund einer Steuerfahndungsprüfung frühestens mit der Beanstandung einer bestimmten Sachbehandlung durch den Prüfer zu bilden (vgl. H 4.9 [Rückstellung für künftige Steuernachforderungen] EStH 2012).
In dem BFH-Beschluss vom 16.12.2009, I R 43/08, BStBl. II 2012, S. 688, der zur steuerwirksamen Auflösung von Rückstellungen für Nachforderungszinsen auf die Körperschaftsteuer ergangen ist, weist der BFH in seiner Begründung unter II.2.b) darauf hin, dass es in dem zu beurteilenden Einzelfall nicht zu beanstanden ist, Rückstellungen für Mehrsteuern aufgrund einer Außenprüfung erst in dem Jahr zu berücksichtigen, in dem der Steuerpflichtige erstmals Kenntnis von der steuerlichen Beurteilung durch das Finanzamt erlangt.
Nach Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder hat dieser Beschluss keine Auswirkungen auf die in H 4.9 EStH 2012 dargelegte Verwaltungsauffassung. Die Aussagen in den Entscheidungsgründen stehen nicht im Widerspruch zu der Verwaltungsauffassung, da diese Frage in dem Streitfall nicht klärungsbedürftig und auch das Wahlrecht nach R 20 Abs. 3 EStR 1998 noch anwendbar war, Mehrsteuern zulasten des Wirtschaftsjahres der Nachforderung oder auf Antrag zulasten des Wirtschaftsjahres der wirtschaftlichen Zugehörigkeit zu berücksichtigen. In dem zu entscheidenden Fall hatte der Steuerpflichtige keinen Antrag auf Berücksichtigung der Mehrsteuern im Wirtschaftsjahr der wirtschaftlichen Zugehörigkeit gestellt.
Mit Urteil vom 22.8.2012, X R 23/10, BStBl. II 2013, S. 76, hat der BFH die bisherige Verwaltungsauffassung zum Zeitpunkt der Bildung einer Rückstellung für Mehrsteuern infolge einer Steuerfahndungsprüfung bestätigt. Danach kann eine Rückstellung für hinterzogene Mehrsteuern erst zu dem Bilanzstichtag gebildet werden, zu dem der Steuerpflichtige mit der Aufdeckung der Steuerhinterziehung rechnen musste.
Klarstellend weise ich noch darauf hin, dass hinterzogene Lohnsteuer vom Arbeitgeber in dem Zeitpunkt zurückzustellen ist, in dem er mit seiner Haftungsinanspruchnahme ernsthaft rechnen musste (vgl. dazu das BFH-Urteil vom 16.2.1996, I R 73/95, BStBl. II, S. 592). Im Gegensatz dazu hat der Arbeitgeber Rückstellungen für Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen weiterhin im Jahr der Entstehung zu bilden (vgl. dazu das oben genannte BFH-Urteil vom 16.2.1996, BStBl. II, S. 592).
Praxis-Info!
Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten, die betrieblich veranlasst sind – gleichgültig ob diese Verbindlichkeiten zivilrechtliche Schadensersatzansprüche oder öffentlich-rechtliche Verpflichtungen betreffen (hier: für hinterzogene Mehrsteuern) –, ist (nach § 249 HGB) zu dem Zeitpunkt anzusetzen, zu dem der Steuerpflichtige mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Inanspruchnahme (hier: mit der Aufdeckung der Steuerhinterziehung und der entsprechenden Forderung des Finanzamts) rechnen muss.
Bei Verpflichtungen, die aus Straftaten resultieren, entsteht die Verbindlichkeit (nach den maßgebenden zivil- oder öffentlich-rechtlichen Grundsätzen) zwar bereits mit Begehung der Tat. Solange der Bilanzierende aber davon ausgehen kann, dass die Tat unentdeckt bleibt, stellt die Verbindlichkeit für ihn noch keine wirtschaftliche Belastung dar. Ob und inwieweit eine Inanspruchnahme aus der ungewissen Verbindlichkeit zu erwarten ist, richtet sich nach den Verhältnissen des jeweiligen Bilanzstichtags. Anders ausgedrückt: Für die Rückstellungsbildung kommt es nicht auf das Jahr des Entstehens der Steuer (Zeitpunkt der Steuerstraftat), sondern den Zeitpunkt des Entdeckens bzw. Aufdeckens der Tat (Zeitpunkt der Außenprüfung/Steuerfahndung) an. Wie das Finanzamt von diesen Taten erfährt, ist gleichgültig; ein bloßer Verdacht genügt jedoch nicht.
Dies wird in der Rechtsprechung mit dem Begriff der „aufdeckungsorientierten Maßnahme“ bezeichnet. Maßgebend sind die am jeweiligen Bilanzstichtag erkennbaren Verhältnisse, wobei die bis zur Bilanzaufstellung bekannt werdenden wertaufhellenden Umstände zu berücksichtigen sind.
Bei der Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen wegen entstandener Steuernachforderungen handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung. Eine Rückstellung für derartige Verpflichtungen setzt voraus, dass am Bilanzstichtag eine hinreichend konkretisierte Verpflichtung vorliegt. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Steuernachforderung entsteht, ist auch die Verpflichtung zur Entrichtung der Zinsen nach § 233a AO hinreichend konkretisiert. Eine Rückstellung wegen der Verpflichtung auf Entrichtung der Zinsen wäre demnach erstmals im Jahresabschluss des Wirtschaftsjahres zu bilden, in dem die Steuernachforderung entstanden ist.
Da aber eine Rückstellung nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten muss und mit der Zinszahlung wegen entstandener Steuernachforderungen der Liquiditätsvorteil abgegolten wird, der sich aus der „verspäteten“ Zahlung der Steuer für den Steuerpflichtigen ergibt, kann eine Rückstellung frühestens 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuernachforderung entstanden ist, gebildet werden. Eine solche Rückstellung kann nur die bis zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich entstandenen Zinsen umfassen.
Eine Rückstellungsbildung für künftige Steuernachforderungen ist somit unter folgenden Voraussetzungen/Annahmen nicht zulässig: - Der Steuerpflichtige selbst hat von der Steuerhinterziehung Kenntnis.
- Nach allgemeiner Erfahrung ist im Anschluss an Außen- und Fahndungsprüfungen häufig mit der Festsetzung von Mehrsteuern zu rechnen. Hierbei handelt es sich um ein dem allgemeinen Unternehmer- oder Branchenrisiko vergleichbares Risiko, das erst dann zur Bildung einer Rückstellung berechtigt, wenn es sich in Gestalt konkreter und nachprüfbarer Einzelsachverhalte zu dem Risiko eines bestimmten einzelnen Geschäftsvorfalls verdichtet hat.
Sobald die Behandlung konkreter steuerlicher Sachverhalte im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung strittig ist, darf somit eine Rückstellung gebildet werden. Auf der sicheren Seite sind Bilanzierende, wenn die Außenprüfung bereits begonnen wurde und der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat oder zumindest den einschlägigen Sachverhalt konkret überprüft. Dasselbe gilt für anhängige Streitverfahren (auch Musterverfahren), durch die das Unternehmen belastet werden kann, auch wenn der Ausgang des Rechtsstreits noch unsicher ist. In der HGB-Bilanz können hingegen Rückstellungen für künftige Steuernachforderungen aufgrund zu erwartender Betriebsprüfungen unter Umständen gebildet werden, auch wenn sie steuerrechtlich nicht anerkannt sind. Solche Rückstellungen sind denkbar, wenn das Steuerrisiko nicht bereits durch eine entsprechende Steuerabgrenzung abgedeckt ist. Im Klartext: Wird mit Blick auf die nächste steuerliche Außenprüfung erwartet, dass bis dahin bestehende vorübergehende Abweichungen zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz ganz oder zum Teil beseitigt werden und sich hieraus ein steuerrechtlicher Mehraufwand ergeben kann (weil z.B. in der Steuerbilanz Aktivposten, die bislang in der Steuerbilanz niedriger als in der Handelsbilanz angesetzt waren, höher angesetzt werden), ist dieses Risiko bereits durch die Steuerabgrenzung abgedeckt. |
[Anm. d. Red.]
BC 2/2014
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