Umsetzung der sog. STEKO-Rechtsprechung bei Aktiengewinnen
Nach den Urteilen des EuGH vom 22.1.2009, C-377/07 (BStBl. II 2011, 95, DStRE 2009, 225), und des BFH vom 22.4.2009, I R 57/06 (BStBl. II 2011, 66, DStR 2009, 1748 – STEKO-Rechtsprechung), verstößt das Abzugsverbot für Gewinnminderungen auf Beteiligungen nach § 8b Abs. 3 KStG 1999 gegen die in Art. 56 EGV (nun Art. 63 AEUV) garantierte Kapitalverkehrsfreiheit, weil das Abzugsverbot im VZ 2001 auf Auslandsbeteiligungen beschränkt war. Wegen der Anwendung dieser Rechtsprechung auf noch offene Fälle [erfolgt ein] Hinweis auf das BMF-Schreiben vom 11.11.2010 (IV C 2 – S 2750-a/07/10006, BStBl. I 2011, 40, DStR 2010, 2578), mittlerweile ersetzt durch das BMF-Schreiben vom 16.4.2012 (IV C 2 – S 2750-a/07/10006, BStBl. I 2012, 529, DStR 2012, 802).
Im Anschluss an diese Rechtsprechung hat der BFH mit Urteil vom 28.10.2009, I R 27/08 (BStBl. II 2011, 229, DStRE 2010, 282), entschieden, die Beschränkung des Abzugsverbots für negative Aktiengewinne, die auf Beteiligungen inländischer Investmentvermögen an ausländischen Kapitalgesellschaften beruhen und durch Veräußerung oder Rückgabe von Anteilen an inländischen Investmentfonds im Jahre 2001 realisiert wurden, stehe ebenfalls nicht mit Art. 56 EGV (nun Art. 63 AEUV) in Einklang.
Das BMF hat daraufhin mit Schreiben vom 1.2.2011 (IV C 1 – S 1980-1/09/10006, BStBl. I 2011, 201, DStR 2011, 316) dazu Stellung genommen, wie in den noch offenen Fällen zu verfahren ist. Danach entfällt für den VZ 2001 die Hinzurechnung eines negativen Anleger-Aktiengewinns gemäß § 40a Abs. 1 KAGG i.V.m. § 8b Abs. 3 KStG in der damaligen Fassung. Um eine Korrektur bereits ermittelter und veröffentlichter Fonds-Aktiengewinne zu vermeiden, ist nach Rn. 6 des BMF-Schreibens vom 1.2.2011 (in BStBl. I 2011, 201, DStR 2011, 316) aus praktischen Gründen eine Änderung der für die Investmentvermögen bekannt gegebenen Fonds-Aktiengewinne nicht erforderlich. Die Rechtsprechung kann auf Ebene der Anleger durch Korrektur der Anleger-Aktiengewinne umgesetzt werden. Dazu sind entsprechende Korrekturposten zu bilden.
Die Anwendung der STEKO-Rechtsprechung in Rechtsbehelfsverfahren führt
– einerseits für einzelne VZe zu Steuererstattungsansprüchen,
– andererseits aufgrund gegenläufiger Auswirkungen unter Umständen auch zu Steuernachzahlungen.
Vom Finanzamt bestrittene Steuererstattungsansprüche sind nach der Rechtsprechung des BFH zum ersten Bilanzstichtag zu aktivieren, der auf die vorbehaltlose Veröffentlichung der die Ansprüche begründenden Rechtsprechung und gegebenenfalls begleitender Regelungen des BMF folgt (BFH vom 31.8.2011, X R 19/10, BStBl. II 2012, 190, DStR 2012, 17, m.w.N. – siehe auch hier). Dementsprechend sind die auf der Anwendung der STEKO-Rechtsprechung beruhenden Steuererstattungsansprüche bei kalenderjahrgleichem Wirtschaftsjahr erst zum 31.12.2011 zu erfassen. Dies gilt grundsätzlich auch für damit verbundene Ansprüche auf Erstattungszinsen nach § 233a AO.
Fraglich ist jedoch, zu welchem Bilanzstichtag Steuernachzahlungen, die sich als Folgewirkung aus der Umsetzung der Rechtsprechung ergeben, auszuweisen sind. Nach H 4.9 „Rückstellung für künftige Steuernachforderung“ Satz 2 EStH 2012 sind abzugsfähige Mehrsteuern, die sich aufgrund von geänderten Veranlagungen ergeben, grundsätzlich dem Jahr zu belasten, zu dem sie wirtschaftlich gehören. Ob diese Regelung auch dann zu beachten ist, wenn – wie hier – die für die Steuernachzahlung maßgebende Gewinnerhöhung lediglich als Folgewirkung einer Gewinnminderung aus einem vorherigen Veranlagungszeitraum zustande kommt, erscheint zweifelhaft. Die Entscheidung des FinMin NRW bleibt abzuwarten.
Hinweis: Entsprechende Fälle sind bis zum Ergehen einer weiteren Weisung offenzuhalten.
Praxis-Info!
1. Steuererstattungsansprüche
Eine Forderung ist erst dann (am Schluss des Wirtschaftsjahres) zu aktivieren, wenn sie rechtlich entstanden ist oder wenn die für ihre Entstehung wesentlichen wirtschaftlichen Ursachen im abgelaufenen Geschäftsjahr gesetzt wurden und der Kaufmann mit der künftigen rechtlichen Entstehung des Anspruchs hinreichend sicher rechnen kann. Dies gilt auch für Steuerforderungen, wie z.B. Umsatzsteuer-Erstattungsansprüche – und damit korrespondierend für die Erstattungszinsen nach § 233a AO.
Steuererstattungsansprüche sind somit nicht erst bei Erteilung des jeweiligen Steuerbescheids zu aktivieren, sondern bereits mit Ablauf des Geschäftsjahres, auf das sie entfallen (im Bilanzrecht vorherrschende wirtschaftliche Betrachtungsweise). Voraussetzung: Es kann mit hinreichender Sicherheit angenommen werden, dass der Erstattungsanspruch von der Finanzverwaltung festgesetzt werden wird.
Gilt – wie im genannten BFH-Urteil vom 31.8.2011 – der ursprüngliche Steuerbescheid aufgrund der Rechtsprechung als fehlerhaft, ist insbesondere die Veröffentlichung eines BFH-Urteils hierzu im Bundessteuerblatt (BStBl. II) ausschlaggebend. Ein Finanzgerichtsurteil hat hingegen nicht diese bindende Wirkung; in diesem Fall wird wohl weiterhin eine Aktivierung des Erstattungsanspruchs erst mit Änderung des ursprünglichen Bescheids geboten sein.
- Handelsrechtlich sind die faktisch im laufenden Geschäftsjahr begründeten Forderungen (gemäß § 268 Abs. 4 Satz 2 HGB) unter dem Posten „sonstige Vermögensgegenstände” (§ 266 Abs. 2 B. II. 4. HGB) zu aktivieren.
- Der Anspruch auf Zinsen wegen Steuererstattungen entsteht (nach § 233a Abs. 1 AO) in der Regel erst dann, wenn die Festsetzung einer Betriebssteuer zu einer Steuererstattung führt. Vor der Steuerfestsetzung ist für gewöhnlich rechtlich kein Zinsanspruch entstanden. Gleichwohl ist aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eine Zinsforderung auszuweisen, wenn die in § 233a Abs. 2 Satz 1 AO genannte Frist von 15 Monaten nach dem Ende des Kalenderjahres, für das der Steuererstattungsanspruch entstanden ist, abgelaufen ist.
- Werden jedoch Bestehen oder Höhe des Erstattungsanspruchs von der Finanzverwaltung bestritten, so ist dies im Rahmen der Bewertung der Forderung zu berücksichtigen. In diesem Fall kommt eine Aktivierung nur mit einem Erinnerungsposten von 1 € in Betracht.
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Ein Beispiel zur Berechnung der Forderung auf Zinsen wegen Steuererstattungen findet sich in der Verfügung der OFD Frankfurt vom 22.4.2013 (S 2133 A – 21 – St 210). Deutlich wird u.a. bei der Ermittlung des Zinslaufbeginns, wie die gesetzlich festgelegte Frist von 15 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, für das der Steuererstattungsanspruch entstanden ist (hier: 2001), zu berücksichtigen ist.
2. Steuernachforderungen
Eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten, die betrieblich veranlasst sind – gleichgültig ob diese Verbindlichkeiten zivilrechtliche Schadensersatzansprüche oder öffentlich-rechtliche Verpflichtungen betreffen –, ist (nach § 249 HGB) zu dem Zeitpunkt anzusetzen, zu dem der Steuerpflichtige mit hinreichender Wahrscheinlichkeit mit einer Inanspruchnahme (der entsprechenden Forderung des Finanzamts) rechnen muss.
Bei der Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen wegen entstandener Steuernachforderungen handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Verpflichtung. Eine Rückstellung für derartige Verpflichtungen setzt voraus, dass am Bilanzstichtag eine hinreichend konkretisierte Verpflichtung vorliegt. Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Steuernachforderung entsteht, ist auch die Verpflichtung zur Entrichtung der Zinsen nach § 233a AO hinreichend konkretisiert. Eine Rückstellung wegen der Verpflichtung auf Entrichtung der Zinsen wäre demnach erstmals im Jahresabschluss des Wirtschaftsjahres zu bilden, in dem die Steuernachforderung entstanden ist.
Da aber eine Rückstellung nicht nur an Vergangenes anknüpfen, sondern auch Vergangenes abgelten muss und mit der Zinszahlung wegen entstandener Steuernachforderungen der Liquiditätsvorteil abgegolten wird, der sich aus der „verspäteten“ Zahlung der Steuer für den Steuerpflichtigen ergibt, kann eine Rückstellung frühestens 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuernachforderung entstanden ist, gebildet werden. Eine solche Rückstellung kann nur die bis zu diesem Zeitpunkt wirtschaftlich entstandenen Zinsen umfassen.
- Sobald die Behandlung konkreter steuerlicher Sachverhalte im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung strittig ist, darf somit eine Rückstellung gebildet werden. Auf der sicheren Seite sind Bilanzierende, wenn die Außenprüfung bereits begonnen wurde und der Prüfer eine bestimmte Sachbehandlung beanstandet hat oder zumindest den einschlägigen Sachverhalt konkret überprüft. Dasselbe gilt für anhängige Streitverfahren (auch Musterverfahren), durch die das Unternehmen belastet werden kann, auch wenn der Ausgang des Rechtsstreits noch unsicher ist.
- In der HGB-Bilanz können hingegen Rückstellungen für künftige Steuernachforderungen aufgrund zu erwartender Betriebsprüfungen unter Umständen gebildet werden, auch wenn sie steuerrechtlich nicht anerkannt sind. Solche Rückstellungen sind denkbar, wenn das Steuerrisiko nicht bereits durch eine entsprechende Steuerabgrenzung abgedeckt ist. Im Klartext: Wird mit Blick auf die nächste steuerliche Außenprüfung erwartet, dass bis dahin bestehende vorübergehende Abweichungen zwischen Handelsbilanz und Steuerbilanz ganz oder zum Teil beseitigt werden und sich hieraus ein steuerrechtlicher Mehraufwand ergeben kann (weil z.B. in der Steuerbilanz Aktivposten, die bislang in der Steuerbilanz niedriger als in der Handelsbilanz angesetzt waren, höher angesetzt werden), ist dieses Risiko bereits durch die Steuerabgrenzung abgedeckt.
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[Anm. d. Red.]
BC 11/2014
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