FG Baden-Württemberg, Urteil vom 2.3.2018, 5 K 548/17 (Revision zugelassen)
Für Ausgaben vor dem Bilanzstichtag, welche Aufwand für eine bestimmte Zeit nach dem Abschlussstichtag darstellen, ist ein aktiver Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden. Doch gilt dies für sämtliche Aufwendungen, oder kann hier eine Wesentlichkeitsbetrachtung angebracht sein?
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Problemstellung
Der Kläger erzielte mit seinem als Einzelunternehmen geführten Handwerksbetrieb gewerbliche Einkünfte. Im Rahmen einer steuerlichen Außenprüfung erhöhte der Betriebsprüfer den aktiven Rechnungsabgrenzungsposten – und somit den Gewinn aus Gewerbebetrieb – um rund 4.000 €. Dieser Betrag setzte sich aus einer Vielzahl von Kleinbeträgen zusammen. Allein für diverse Fahrzeuge wurden Abgrenzungen für Kfz-Steuern in Höhe von jeweils 12 € bis 160 € vorgenommen.
Der Kläger vertrat die Auffassung, eine Rechnungsabgrenzung habe erst ab einem Wert von 410 € zu erfolgen. Dies ergebe sich aus dem Grundsatz der Wesentlichkeit. So sind z.B. auch Vermögensgegenstände des Sachanlagevermögens bis zu einem Betrag von 410 € als Geringwertige Wirtschaftsgüter (GWG) sofort abzugsfähig.
Lösung
Das FG Baden-Württemberg schließt sich der Argumentation des Klägers an. Zwar besteht nach dem Gesetzeswortlaut ein Aktivierungsgebot für aktive Rechnungsabgrenzungsposten. Doch können unwesentliche Elemente aufgrund des Grundsatzes der Wesentlichkeit bei der Bilanzierung und Bewertung außer Betracht gelassen werden. Auch aus der BFH-Rechtsprechung ergibt sich, dass in Fällen von geringer Bedeutung auf eine Abgrenzung verzichtet werden kann. Die herrschende Meinung in der Literatur befürwortet ebenfalls ein Bilanzierungswahlrecht bei geringfügigen Rechnungsabgrenzungsposten.
Dieser Auffassung folgt auch das FG Baden-Württemberg. Im Interesse der Wirtschaftlichkeit der Buchführung sollte der periodengerechte Ansatz von Aufwand „nicht übertrieben werden“.
- Die gesetzgeberischen Überlegungen zur Sofortabschreibung von Geringwertigen Wirtschaftsgütern können nach Ansicht des FG Baden-Württemberg auch auf die Bildung von aktiven Rechnungsabgrenzungsposten übertragen werden. Somit kann auf eine Abgrenzungverzichtet werden, wenn der Wert der einzelnen Abgrenzungsposten 410 € pro Position nicht übersteigt.
- Auch der BFH hat in seinem Beschluss vom 18.3.2010, X R 20/9, als Wesentlichkeitsgrenze die in der damaligen Fassung des § 6 Abs. 2 EStG genannte GWG-Grenze für selbstständig abnutzbare bewegliche Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens angesetzt (410 €). Diese steuerliche Regelung dürfte überwiegend auch in die handelsrechtliche Rechnungslegungspraxis übernommen werden, um Abweichungen zwischen beiden Rechenwerken zu vermeiden. Schließlich gilt es in der Fachliteratur zum Handelsrecht als zulässig, auch von der Bilanzierung geringfügiger Rechnungsabgrenzungsposten abzusehen.
- Fraglich bleibt, inwieweit die ab dem Veranlagungszeitraum 2018 angehobene GWG-Grenze von bislang 410 € (netto, vgl. § 6 Abs. 2 S. 1 EStG) auf 800 € auch als Wesentlichkeitsgrenze für aktive Rechnungsabgrenzungsposten angewendet werden darf. Das Finanzgericht Baden-Württemberg trifft hierzu keine Aussage, da sich der Streitfall auf die Jahre 2014 bis 2017 bezieht. Folgt man jedoch der Argumentation der Stuttgarter Richter, wonach der Gesetzgeber mit der Regelung in § 6 Abs. 2 EStG zu erkennen gebe, dass er bei GWG auf einen periodengerechten Ausweis verzichte, müsste dies bejaht werden.
- Die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Wesentlichkeit (materiality) haben den Charakter eines faktischen Wahlrechts.
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Christian Thurow, Dipl.-Betriebsw. (BA), Senior Business Audit Manager, London (E-Mail: Thurow@virginmedia.com)
BC 3/2019
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