BFH-Urteil vom 22.11.2018, VI R 50/16
1. Eine Rücklage nach § 6b EStG darf vor der Anschaffung oder Herstellung eines Reinvestitionswirtschaftsguts nicht auf einen anderen Betrieb des Steuerpflichtigen übertragen werden.
2. Ein Veräußerungsgewinn, der in eine Rücklage nach § 6b EStG eingestellt worden ist, kann in einen anderen Betrieb des Steuerpflichtigen erst in dem Zeitpunkt überführt werden, in dem der Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten des Reinvestitionswirtschaftsguts des anderen Betriebs vorgenommen wird (Bestätigung von EStR 6b.2 Abs. 8 S. 3).
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Problemstellung
Bei Grundstücksverkäufen im Wirtschaftsjahr 2005/2006 erzielte ein Unternehmerehepaar einen Gewinn. In Höhe des Veräußerungsgewinns wurde eine Rücklage gemäß § 6b Abs. 3 S. 1 EStG gebildet. Das Unternehmen wurde am 30.12.2006 auf ein Kind der Unternehmer übertragen.
Am 31.12.2006 wurde die besagte Rücklage auf das Sonderbetriebsvermögen der B-KG übertragen. Gesellschaftszweck der B-KG war die Errichtung und Vermietung von Mehrfamilienhäusern. Dort wurde die Rücklage auf ein am 30.6.2007 fertiggestelltes und in der Sonderbilanz auf den 5.7.2007 bilanziertes Sechsfamilienhaus übertragen, und zwar in voller Höhe auf die Herstellungskosten des Sechsfamilienhauses.
Das Finanzamt erkannte die Rücklage nach § 6b EStG in der Sonderbilanz der Unternehmer auf den 31.12.2006 nicht an. Die Übertragung der Rücklage von einem Betriebsvermögen in ein anderes Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen sei nicht möglich. Die Rücklage könne nur auf ein anderes, in einem (Sonder-)Betriebsvermögen desselben Steuerpflichtigen gehaltenes Wirtschaftsgut übertragen werden. Das fragliche Wirtschaftsgut, hier das Sechsfamilienhaus, sei am 31.12.2006 jedoch noch nicht fertiggestellt gewesen.
Im Zeitpunkt der Fertigstellung des Hauses im Jahr 2007 sei die Übertragung der Rücklage ebenfalls nicht möglich gewesen, da der Betrieb bereits am 30.12.2006 auf ein Kind der Unternehmer übertragen worden sei. Die Rücklage sei deshalb spätestens im Wirtschaftsjahr 2009/2010 im Betrieb des Kindes der Unternehmer aufzulösen.
Lösung
Der BFH folgt der Auffassung des Finanzamts. Die im Wirtschaftsjahr 2005/2006 gebildete Reinvestitionsrücklage ist spätestens vier Jahre (48 Monate) nach Veräußerung des Grundstücks und Bildung der Rücklage aufzulösen.
Steuerpflichtige, die Grund und Boden veräußern, können nach § 6b Abs. 1 EStG und bei Vorliegen der in § 6b Abs. 4 EStG genannten Voraussetzungen (u.a. müssen die angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgüter zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehören) im Wirtschaftsjahr der Veräußerung einen Betrag bis zur Höhe des bei der Veräußerung entstandenen Gewinns von den Anschaffungs- und Herstellungskosten bestimmter anderer Wirtschaftsgüter abziehen. Soweit dieser Abzug nicht vorgenommen wird, kann im Wirtschaftsjahr der Veräußerung eine den Gewinn mindernde Rücklage gebildet werden (§ 6b Abs. 3 S. 1 EStG).
Soweit eine nach § 6b Abs. 3 S. 1 EStG gebildete Rücklage gewinnerhöhend aufgelöst wird, ohne dass ein entsprechender Betrag nach Abs. 3 abgezogen wird, gilt Folgendes: Der Gewinn des Wirtschaftsjahres, in dem die Rücklage aufgelöst wird, ist (gemäß § 6b Abs. 7 EStG) für jedes volle Wirtschaftsjahr, in dem die Rücklage bestanden hat, um 6% des aufgelösten Rücklagenbetrags zu erhöhen (Gewinnzuschlag). |
Die Rücklage durfte nicht in das Sonderbetriebsvermögen der Unternehmer bei der B-KG übertragen werden; sie konnte dementsprechend dort auch nicht in ihrer Sonderbilanz auf den 31.12.2006 ausgewiesen werden. Denn die Rücklage nach § 6b EStG ist kein Wirtschaftsgut. Sie kann folglich nicht nach § 6 Abs. 5 S. 1 EStG übertragen werden.
Zulässig gewesen wäre es allerdings (gemäß § 6b EStG), die im Betrieb gebildete Rücklage von den Anschaffungs- und Herstellungskosten anderer Wirtschaftsgüter eines Einzel- oder Sonderbetriebsvermögens des Steuerpflichtigen abzuziehen. Dieser Abzug ist von neu angeschafften oder hergestellten Wirtschaftsgütern im Sinne des § 6b Abs. 1 S. 2 EStG – insbesondere Grund und Boden sowie Gebäude – möglich, die in den folgenden vier Wirtschaftsjahren (unter den Voraussetzungen des § 6b Abs. 3 S. 3 EStG in den folgenden sechs Jahren) angeschafft oder hergestellt worden sind. Zum Bilanzstichtag am 31.12.2006 befand sich aber im Sonderbetriebsvermögen bei der B-KG kein (Reinvestitions-)Wirtschaftsgut, von dessen Anschaffungs- und Herstellungskosten die Rücklage hätte abgezogen werden können.
Eine isolierte Übertragung der Rücklage in ein anderes (Sonder-)Betriebsvermögen des Steuerpflichtigen ohne (gleichzeitigen) Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines begünstigten Wirtschaftsguts lässt § 6b EStG nicht zu. Andernfalls würde nicht der veräußernde, sondern der reinvestierende Betrieb über die Auflösung der Rücklage entscheiden. Auch eine Übertragung der Rücklage auf unfertige Gebäude vor deren Anschaffung oder Herstellung kommt indes nicht in Betracht. Die in EStR 6b.2 Abs. 8 S. 3 von der Finanzverwaltung vertretene Auffassung, eine nach § 6b Abs. 3 EStG gebildete Rücklage könne auf einen anderen Betrieb erst in dem Wirtschaftsjahr übertragen werden, in dem der Abzug von den Anschaffungs- oder Herstellungskosten bei Wirtschaftsgütern des anderen Betriebs vorgenommen werde, stellt mithin eine zutreffende Auslegung des Gesetzes dar. |
Die Anschaffung oder Herstellung des Sechsfamilienhauses erfolgte im Streitfall nicht schon im Jahr 2006, sondern erst im Jahr 2007. Es wurde (erst) am 30.6.2007 fertiggestellt.
Da das Unternehmen am 30.12.2006 auf ein Kind der Unternehmer übertragen wurde, hat der Betriebsübernehmer auch die gebildete Rücklage zu übernehmen und entsprechend fortzuführen. Der Betriebsübernehmer (Rechtsnachfolger) tritt in die Rechtsposition des Betriebsübergebers (Rechtsvorgänger) ein.
- Bei der Übertragung stiller Reserven bei Veräußerung bestimmter Anlagegüter (insbesondere Immobilien) handelt es sich um ein eigenständiges steuerbilanzielles Wahlrecht (§ 5 Abs. 1 EStG) ohne Umkehrmaßgeblichkeit für die Handelsbilanz. Dies führt zu einer entsprechenden Minderung der AfA-Bemessungsgrundlage.
- Voraussetzung für die Übertragung stiller Reserven ist, dass das neu angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgut zum Anlagevermögen einer inländischen Betriebsstätte gehört (vgl. § 6b Abs. 4 S. 1 Nr. 3 EStG). Reinvestitionen in Wirtschaftsgüter einer ausländischen Betriebsstätte sind nicht nach § 6b EStG begünstigt.
- Für Reinvestitionen im EU/EWR-Ausland sieht § 6b Abs. 2a EStG Folgendes vor: Der Steuerpflichtige hat in dem Fall die Wahl, die auf die stillen Reserven des veräußerten Wirtschaftsguts entfallenden Steuern
– entweder sofort zu entrichten oder – die zinslose Streckung über fünf gleiche Jahresraten zu beantragen. Der Antrag kann nur im Wirtschaftsjahr der Veräußerung gestellt werden.
- Bei Inanspruchnahme einer § 6b-Rücklage (Reinvestitionsrücklage) oder von Sonderabschreibungen nach § 7g EStG muss mit der Bilanz ein gesondertes Verzeichnis (gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 EStG) vorgelegt werden, in dem aufzuführen sind:
– der Anschaffungs- bzw. Herstellungszeitpunkt, – die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten, – die Vorschrift des ausgeübten steuerlichen Wahlrechts und – die vorgenommene Abschreibung. Dies wird erfahrungsgemäß häufig übersehen und führt dann bei steuerlichen Betriebsprüfungen zu unangenehmen Überraschungen. Eine Erstellung des gesonderten Verzeichnisses ist im Zeitpunkt der Übertragung der § 6b-Rücklage auf das neu angeschaffte oder hergestellte Wirtschaftsgut erforderlich.
- Rein steuerrechtlich zulässige Wertansätze in der Steuerbilanz (z.B. Reinvestitionsrücklage, Sonderabschreibungen) führen zu einer Ausdehnung des Anwendungsbereichs latenter Steuern, da sich handelsbilanzielle und steuerbilanzielle Wertansätze aufgrund des Wegfalls der umgekehrten Maßgeblichkeit nicht entsprechen. Dies kann sowohl zu aktiven als auch zu passiven latenten Steuern führen.
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Abb.: Anwendung des § 6b EStG
[Anm. d. Red.]
BC 3/2019
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