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Rechnungslegung/Jahresabschluss
   

Erste Abschlussprüfer-Lehren aus dem Wirecard-Bilanzbetrug

Dr. Hans-Jürgen Hillmer

 

Der Fall Wirecard belastet die Reputation des Finanzplatzes Deutschland und führt dabei auch zu Fragen bezüglich der Rolle von Wirtschaftsprüfern. Diese Feststellung stammt immerhin vom IDW (Institut der Wirtschaftsprüfer) selbst, das im Rahmen eines am 15.7.2020 veröffentlichten Positionspapiers zahlreiche Vorschläge zur Fortentwicklung der Unternehmensführung und -kontrolle veröffentlicht hat.

Die Analyse zeigt, dass für kaufmännische und juristische Experten in den Unternehmen, im Aufsichtssystem und auf den Kapitalmärkten allerlei Umstellungsbedarf gesehen wird. Mit Selbstkritik glänzt der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer im Rahmen seiner „ersten Lehren aus dem Fall Wirecard“ allerdings nicht.


 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Nachdem die Diskussion um den Wirecard-Bilanzbetrug zunächst hinsichtlich der unrühmlichen Rolle der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) geführt wurde (siehe dazu hier), ist mittlerweile die Rolle der Aufsichtsräte und Abschlussprüfer stärker in den Blick geraten. Während man auf Stellungnahmen des Prüfungsunternehmens Ernst & Young bisher vergeblich wartet, ist nun der Berufsstand der Wirtschaftsprüfer mit einem Positionspapier zur „Fortentwicklung der Unternehmensführung und -kontrolle“ an die Öffentlichkeit getreten, mit dem das IDW am 15.7.2020 „erste Lehren aus dem Fall Wirecard“ vorgestellt hat.

Aus Sicht des IDW-Vorstandssprechers Prof. Dr. Klaus-Peter Naumann sind schon jetzt – obwohl der Fall Wirecard komplex ist und daher eine gründliche Analyse erfordert – erste Ansatzpunkte für Verbesserungen gegeben:

„Aus heutiger Sicht sehen wir Anpassungsbedarf bei Unternehmen des öffentlichen Interesses im Hinblick auf die Corporate Governance, die Abschlussprüfung und die Aufsicht – sowohl der Unternehmen als auch deren Abschlussprüfer. Auch die Rolle der (institutionellen) Kapitalmarktteilnehmer ist kritisch zu hinterfragen.“ 

Die recht konkret gefasste Positionierung des IDW ist dem Grunde nach sehr zu begrüßen, da hiermit eine Diskussion befeuert wird, die dringend erforderlich ist, um eigentlich unfassbare Vorgänge einordnen und zukünftig eindämmen zu können.

 

 

Lösung

Den Anspruch, über den Einzelfall hinaus Abwehrmechanismen gegen kriminelle Machenschaften in Unternehmen zu entwickeln, fasste das IDW in einer Pressemitteilung vom 15.7.2020 in drei Maßnahmenkomplexen zusammen:

(1) Zunächst schlägt das IDW vor, eine ausdrückliche Pflicht des Vorstands zur Einrichtung eines angemessenen und wirksamen Compliance-Management-Systems gesetzlich vorzuschreiben. Es soll an der spezifischen Risikolage des Unternehmens ausgerichtet werden und könne dann wirtschaftskriminellen Handlungen vorbeugen.

(2) Auch könnte der Vorstand gesetzlich verpflichtet werden, im Abschluss eine unmissverständliche Aussage dazu abzugeben, dass ihm keine Tatsachen oder Gegebenheiten bekannt sind, die dem Fortbestand des Unternehmens, zumindest in den zwölf Monaten nach Abgabe der Erklärung, entgegenstehen.

(3) Der Aufsichtsrat sollte verpflichtet werden, einen Prüfungsausschuss einzurichten, um Kompetenz und Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Und die von Vorstand und Aufsichtsrat abzugebende Entsprechenserklärung nach § 161 AktG könnte vom Abschlussprüfer geprüft werden.

(4) Im Rahmen der IDW-Vorschläge wird auch das ureigene Feld der Abschlussprüfung nicht völlig ausgespart, indem ein vermehrter Einsatz forensischer Methoden (die systematische Untersuchung krimineller Handlungen) im Rahmen der Abschlussprüfung für sinnvoll gehalten wird. Dabei müsse aber, so schränkt es der IDW-Vorstandssprecher Naumann ausdrücklich sofort wieder ein, vermieden werden,   

 „... über das Ziel hinauszuschießen, denn die Aufdeckung von Bilanzmanipulationen und Vermögensschädigungen, also Fraud, ist ein schwieriges und aufwendiges Vorhaben, was nur bei Vorliegen substantiierter Hinweise auf Fraud und auf den Kreis der Unternehmen des öffentlichen Interesses zu beschränken ist“.

Wer über die Presseinformation hinausgeht und den unter https://www.idw.de/idw/verlautbarungen/idw-positionspapiere verfügbaren Einblick in das IDW-Positionspapier nutzt, kann immerhin feststellen, dass das IDW doch mehr Engagement in eigener Sache zeigt, als es die Pressemitteilung 8/2020 zunächst vermuten lässt. Denn neben dem Forensik-Einsatz wird im Positionspapier auch die Ausweitung der Reichweite der Abschlussprüfung auf die von Vorstand und Aufsichtsrat abzugebende Entsprechenserklärung nach § 161 AktG sowie auf die CSR-Berichterstattung (siehe dazu zuletzt Hillmer) thematisiert. Zur Verbesserung der Transparenz über das Geschäftsmodell und dessen Nachhaltigkeit regt das IDW an, eine gesetzliche Prüfungspflicht für den CSR-Bericht vorzusehen.

Anzumerken ist dazu: Diese nicht ungeschickte Einflechtung der eigenen Geschäftsfeldausweitungen in die aktuelle Problematik setzt natürlich voraus, dass es eine solche CSR-Berichterstattung überhaupt gibt. Eine aussagekräftige CSR-Berichterstattung gibt den Adressaten ergänzend zur Finanzberichterstattung wertvolle Informationen über das Geschäftsmodell des Unternehmens und dessen nachhaltige Entwicklung, insbesondere wenn CSR-Berichterstattung und Finanzberichterstattung integriert erfolgen. Das IDW spricht sich dafür aus, die Diskussionen auf europäischer Ebene zur Überarbeitung der CSR-Richtlinie zu nutzen, um die CSR-Berichterstattung insgesamt fortzuentwickeln. So sollte der CSR-Bericht künftig einen Teil des Lageberichts bilden oder zumindest zeitgleich mit diesem veröffentlicht werden. Der Vorstand sollte darin das Geschäftsmodell des Unternehmens und dessen Nachhaltigkeit nach Auffassung des IDW so beschreiben, dass ein sachkundiger Dritter dieses nachvollziehen und bewerten kann.

Im Rahmen seiner Empfehlungen zur Fortentwicklung der herkömmlichen finanziellen Berichterstattung von Unternehmen fordert das IDW den internationalen Standardsetter IASB und den deutschen Standardsetter DRSC auf, in enger Konsultation mit allen Betroffenen Lösungen zu entwickeln, mit denen die klassische Finanzberichterstattung so fortentwickelt wird, dass die Werttreiber der digitalen Wirtschaftswelt informativ für die Kapitalmarktteilnehmer abgebildet werden. Eine Bilanzierung der einzelnen relevanten Werttreiber und des Werteverzehrs dieser dann aktivierten Vermögenswerte (Assets) könnte die bekannte Problematik aktivierter Geschäftswerte (Goodwill) deutlich abmildern. Im Übrigen spricht sich das IDW dafür aus, dass aktivierte Geschäftswerte auch in der internationalen Rechnungslegung planmäßig abgeschrieben werden.

 

 

Praxishinweise:

  • Insbesondere mit den Hinweisen zur Fortentwicklung der klassischen Finanzberichterstattung sind auch Bilanzbuchhalter und Controller sowie deren Zusammenarbeit untereinander direkt angesprochen. Denn die Aufdeckung der Werttreiber der digitalen Wirtschaftswelt erfordert die Zusammenführung von Expertenwissen aus beiden Disziplinen, weil dazu die tendenziell eher retrospektive (rückblickende) Bilanzwelt mit der mehr auf prognostische Instrumente wie z.B. Szenario-Analysen setzenden Controllingperspektive verbunden werden muss – eine Steilvorlage zur Weiterentwicklung der Überlegungen zum Einsatz sog. Biltroller, deren Bedeutungszuwachs auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung vorhergesagt wird (siehe den Beitrag von Rieke).
  • Insoweit verdienen die IDW-Vorschläge auch aus hier vertretener Sicht starke Unterstützung, zumindest soweit sie auf die Fortentwicklung der finanziellen und nichtfinanziellen Berichterstattung abzielen. Allerdings ist zu den IDW-Vorschlägen anzumerken, dass man dort doch sehr sparsam argumentiert, wenn es um die ureigene Verantwortlichkeit der Wirksamkeit der Abschlussprüfung geht. Symptomatisch können hierfür die Pressemitteilung des IDW (die wie oben ausgeführt sehr fokussiert darauf ist, was andere künftig besser zu machen haben) und die Betitelung des Positionspapiers gewertet werden, die die Abschlussprüfung nicht explizit erwähnt. Ausdrücklich betont wird demgegenüber im Positionspapier, dass die Abschlussprüfung des Jahres 2019 ihre Funktion „wirksam erfüllt“ habe. Da man an den Prüfungsleistungen vieler Vorjahre aber nicht ganz vorbeigehen konnte, räumt das IDW immerhin ein: „Sollten die Abschlüsse früherer Geschäftsjahre fehlerhaft sein und konnten diese Fehler aufgrund systemischer Mängel in der Abschlussprüfung nicht aufgedeckt werden, liegt es in der Verantwortung des Berufsstands, diese Mängel durch angemessene Maßnahmen zu beseitigen.“ Schon der nächste Satz allerdings klingt wie ein Freispruch in eigener Sache: „Ein mögliches Fehlverhalten des Abschlussprüfers in den vergangenen Jahren ist indessen keine Rechtfertigung für eine allgemeine Änderung des Regulierungsrahmens der Abschlussprüfung.“
  • Ob damit insbesondere Überlegungen ein Riegel vorgeschoben werden soll, z.B. Rotationsdauern zu überdenken, ließ sich auch in dem extrem kurzfristig anberaumten „Presseworkshop“ des IDW nicht klären, der am 16.7.2020 virtuell bzw. telefonisch unter Teilnahme des Verfassers stattfand. Vorstandssprecher Naumann betonte, dass die Pflichtenlage des Vorstands auf Stellungnahmen zur Going-Concern-Prämisse (Annahme der Unternehmensfortführung) und weitere Aussagen zur Widerstandsfähigkeit des Unternehmens ausgedehnt werden solle. Auf den Einwand, dass dies im Fall Wirecard wohl kaum weitergeholfen hätte, weil man dort ja offenbar eben gerade auf Vorstandsebene Übung mit „Luftbuchungen“ hatte, wurde argumentiert, dass dann sich der Aufsichtsrat und auch die Abschlussprüfung mit den entsprechenden Aussagen (bei Wirecard soll es noch nicht einmal Vorstandsprotokolle gegeben haben) zu beschäftigen haben. Das mag helfen – ein wirksamer, rechtzeitig einsetzender Schutz vor Vorstandsbetrügern sieht anders aus.
  • Im Übrigen wehrte sich Naumann mehrfach insbesondere gegen eine Vorverurteilung des Abschlussprüfers; denn da müsse noch die sorgfältige Analyse abgewartet werden. Mit mehr Verve setzte er auf die Fortentwicklung der Kontrolle durch den Kapitalmarkt, denn Analystenempfehlungen seien derzeit zu undifferenziert und folgten zu oft dem Lemminge-Prinzip (wenn auch clevere Leute im Umgang mit Geld schwere Fehler begehen).
  • Offenbar wird da nicht gerne vor den eigenen Haustüren gekehrt. Die von der BaFin und der DPR geführte Nichtzuständigkeitsdebatte (siehe Details dazu hier) hat im Ergebnis nun eine dritte Variante gefunden, denn für den Abschlussprüfer seien „noch keine ausreichenden Prüfungsnachweise zu erlangen“ gewesen. Das IDW fordert eine „von der Bundesregierung festzulegende Stelle“, der Verdachtsfälle auf betrügerische Handlungen zu melden sind – quasi eine Nichtzuständigkeit wegen Nichtexistenz der zuständigen Fiktiv-Behörde.
  • Allerdings muss neben dem Fingerzeig auf den Wunsch nach mehr Selbstkritik anerkannt werden, dass sich das IDW als Berufsverband aus der Deckung gewagt und seine Position veröffentlicht hat, und zwar insgesamt gesehen mit sehr konstruktiven Vorschlägen, die die rein als Abwehrhaltung zu sehenden Nichtzuständigkeitsaussagen der BaFin und der DPR weit in den Schatten stellen. Fachkundige Bilanzbuchhalter und Controller (möglicherweise mit ihrem Erfahrungswissen als „Prüfungshelfer“, siehe hier am Ende) sind aufgerufen, sich an der weiteren Diskussion aktiv zu beteiligen. Das grundsätzlich sehr begrüßenswerte IDW-Positionspapier bietet reichlich Anknüpfungspunkte.
  • Dass es auch Berufsverbände gibt, die forscher an die Aufklärungsarbeit in eigener Sache herangehen, zeigt eine weitere Kritik am Aufsichtsversagen im Zusammenhang mit dem Wirecard-Betrug, die sich an offenbar überforderte Aufsichtsräte richtet. Federführend in der Aufsichtsratskritik ist Peter H. Dehnen, der als Corporate-Governance-Experte seine Einschätzung in den von ihm regelmäßig herausgegebenen GermanBoardNews vom 9.7.2020 wie folgt auf den Punkt bringt: „Für mich ist der Fall Wirecard eine Schande für und ein Vertrauensverlust in den Berufsstand des Aufsichtsrats!“ Wirtschaftsprüfer (EY), die DPR und die BaFin seien nur ein Teil der Versagenskette, in der er den Aufsichtsrat ganz vorne einordnet. Er spricht hier für die VARD. Die mit diesem Kürzel adressierte Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland e.V. hat schon vor einigen Jahren Berufsgrundsätze formuliert, die mit Stand 17.7.2015 unter https://www.vard.de/berufsgrundsaetze/ einsehbar sind. Die VARD schlägt deshalb als einen ersten Schritt vor, diese VARD-Berufsgrundsätze für Aufsichtsräte als eine Art hippokratischen Eid (ursprünglich Arztgelöbnis) für Entscheider anzusehen und allgemein verpflichtend zu machen.

 

Dipl.-Kfm. Dr. Hans-Jürgen Hillmer, BuS-Netzwerk Betriebswirtschaft und Steuern, Coesfeld

 

 

BC 8/2020

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