BFH-Urteil vom 16.2.2022, X R 14/19
Der Mittelpunkt einer betrieblichen Tätigkeit ergibt sich aus dem Gesamtbild der Verhältnisse. Prüfkriterien sind sowohl inhaltliche als auch nach zeitliche Gesichtspunkte (Dauerhaftigkeit) der Tätigkeit.
Seit 2014 wird die erste Tätigkeitsstätte vorrangig anhand der arbeits-(vertrag-) oder dienstrechtlichen Zuordnung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber bestimmt.
Praxis-Info!
Problemstellung
Ein nebenberuflich selbstständiger Angestellter hat vom Unternehmen seines Arbeitgebers Fahrten zum Standort eines einzigen (!) Auftraggebers (AR) seines eigenen Gewerbes unternommen (befristete Aufträge von maximal einem Jahr). Zum Teil nutzte er hierfür ein in seinen Betriebsvermögen („Ein-Mann-Betrieb“) befindliches Firmen-Kfz (55%), zum Teil das Firmen-Kfz seines Arbeitgebers (45%). Der nebenberuflich Selbstständige ging (erkennbar) häufiger seinem eigenen Gewerbe nach als seiner angestellten Tätigkeit (gelegentliche Büroarbeiten).
Nach Auffassung des Finanzamts und des Finanzgerichts sind sämtliche Fahrten des nebenberuflich Selbstständigen zum Auftraggeber (AR) seines eigenen Gewerbes als Wege zwischen Wohnung und seiner Betriebsstätte (zugleich: ortsfeste betriebliche Einrichtung einer ersten Tätigkeitsstätte) anzusehen. Der nebenberuflich Selbstständige verfügte sichtlich nicht über eine eigene Betriebsstätte seines Gewerbes. Die hierfür angefallenen Aufwendungen dürfen daher nicht nach Reisekostengrundsätzen berücksichtigt werden. Die Tätigkeit beim Auftraggeber (AR) bildete den Schwerpunkt seiner Tätigkeiten (Mittelpunkt der betrieblichen Arbeit).
Die Betriebsausgaben für die Fahrten des nebenberuflich Selbstständigen mit seinem betrieblichen Pkw zwischen seiner Wohnung und dem Auftraggeber (AR) können nur beschränkt (gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EStG) abgezogen werden.
Lösung
Der BFH schließt sich der Auffassung des Finanzamts – zugleich auch die der Vorinstanz – an. Die Aufwendungen für die Fahrten des nebenberuflich Selbstständigen mit seinem betrieblichen Pkw können nur mit der Entfernungspauschale berücksichtigt werden. Im Streitfall sei zutreffend – sowohl gemäß § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EStG a.F. (bis 2013) als auch im Sinne von § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 6 EStG n.F. (ab 2014) – der Betrieb des Auftraggebers (AR) als Betriebsstätte des nebenberuflich Selbstständigen erkannt worden (Erbringung der geschuldeten Leistung). Eine bestimmte vertragliche Mindestlaufzeit (bei AR) wird für diese Einstufung nicht vorausgesetzt.
Auch bei Anwendung der Regelungen der ersten Tätigkeitsstätte (im Sinne des § 9 Abs. 4 S. 1 EStG n.F.) kann der Einrichtung des Auftraggebers (AR) von einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung ausgegangen werden („Dritter“ als Kunde des Arbeitgebers). Da der nebenberuflich selbstständige Angestellte bereits vor dem Jahr 2010 und über 2014 hinaus beim Auftraggeber (AR) tätig war und ist, kann von einer dauerhaft angelegten Zusammenarbeit ausgegangen werden (dauerhafte Zuordnung gemäß § 9 Abs. 4 S. 3 EStG n.F.).
Ergo: Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse stellt die Aufgabenerledigung beim Auftraggeber (AR) sowohl nach inhaltlichen als auch nach zeitlichen Kriterien eindeutig den Mittelpunkt der betrieblichen Tätigkeit des nebenberuflich selbstständigen Angestellten dar.
[Anm. d. Red.]
BC 8/2022
becklink450352