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Rückstellung für die Aufbewahrungspflicht von Geschäftsunterlagen: Berücksichtigung von Finanzierungskosten

BC-Redaktion

BFH-Urteil vom 11.10.2012, I R 66/11

 

  1. Eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen kann Finanzierungskosten (Zinsen) für die zur Aufbewahrung genutzten Räume auch dann enthalten, wenn die Anschaffung/Herstellung der Räume nicht unmittelbar (einzel-)finanziert worden ist, sondern der Aufbewahrungspflichtige (hier: eine Sparkasse) seine gesamten liquiden Eigen- und Fremdmittel in einen „Pool“ gegeben und hieraus sämtliche Aufwendungen seines Geschäftsbetriebs finanziert hat (sog. Poolfinanzierung).
  2. Voraussetzung für die Berücksichtigung der Zinsen (als Teil der notwendigen Gemeinkosten) ist in diesem Fall, dass sie sich durch Kostenschlüsselung verursachungsgerecht der Herstellung/Anschaffung der Räume zuordnen lassen und dass sie nach Maßgabe des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG 2002 angemessen sind.

 

 

Praxis-Info!

 

Problemstellung

Eine Sparkasse hatte in ihrem Jahresabschluss zum 31.12.2005 eine Rückstellung für die Verpflichtung zur Aufbewahrung von Geschäftsunterlagen gebildet und hierbei auch Finanzierungskosten im Zusammenhang mit den für Zwecke der Aufbewahrung genutzten eigenen Räumen einbezogen. Die Zinsaufwendungen wurden aus den Restbuchwerten der für Aufbewahrungszwecke genutzten Räume sowie der durchschnittlichen Passivverzinsung der Sparkasse in Höhe von 4,11% abgeleitet.

Nach Auffassung des Finanzamts dürfen die Finanzierungsaufwendungen nicht passiviert werden, da sie nicht zu den notwendigen Gemeinkosten (im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG) gehören.

 

 

Lösung

Auch diejenigen Zinsen, die als sog. Gemeinkosten den aufbewahrungspflichtigen Geschäftsunterlagen zuzuordnen sind, dürfen als Rückstellungen gebildet werden.

 

 

Wichtig!

Die handels- und steuerrechtliche Rückstellungsbewertung beschränkt sich nicht allein auf Zinsen für Kredite, deren Valuten unmittelbar zur Finanzierung der Archivräume verwendet worden sind (Einzelkosten). Auch die im Wege einer Kostenschlüsselung (Schätzung) zuordenbaren Gemeinkosten sind zu berücksichtigen (= nicht unmittelbar der Aufbewahrungsverpflichtung zuzuordnende Zinsaufwendungen). In die Rückstellungsbewertung fließen somit die Vollkosten ein (Einzelkosten und die den einzelnen Kostenträgern (Leistungseinheiten) zuzuordnenden variablen und fixen Gemeinkosten). Voraussetzung: Diese Zuordnung muss auf einer kaufmännisch vernünftigen, d.h. angemessenen und verursachungsgerechten Schlüsselung der Finanzierungskosten (Gemeinkosten) beruhen.

Sofern (handelsrechtliche) Wahlrechte zur Einbeziehung bestimmter Gemeinkosten (z.B. Verwaltungsgemeinkosten) in die Herstellungskosten von Vermögensgegenständen bestehen, dürfen diese auf die Bewertung von Rückstellungen nicht übertragen werden. Demzufolge sind z.B. auch anteilige Material-, Fertigungs- und Verwaltungsgemeinkosten – soweit es sich nicht lediglich um kalkulatorische Kostenbestandteile handelt – auszuweisen.

 

 

Da grundsätzlich auch die fixen Gemeinkosten Gegenstand der handels- und steuerrechtlichen Rückstellungsbewertung sind, können die als Gemeinkosten angefallenen Zinsaufwendungen nicht deshalb aus dem Kreis der angemessenen (notwendigen) Gemeinkosten (im Sinne von § 6 Abs. 1 Nr. 3a Buchst. b EStG 2002) ausgeklammert werden, weil Zinsen für Fremdkapital nach § 255 Abs. 3 Satz 1 HGB a.F./n.F. nicht zu den Herstellungskosten gehören. Zinsen für Fremdkapital dürfen im Rahmen des Wahlrechts nach § 255 Abs. 3 Satz 2 HGB nur insoweit als Herstellungskosten angesetzt werden, als sie auf den Herstellungszeitraum entfallen.

Sind im Rahmen einer sog. Poolfinanzierung die Fremd- und Eigenmittel untrennbar vermischt und damit die Kreditmittel nicht einer bestimmten Ausgabe konkret (unmittelbar) zuordenbar, ist es nicht zu beanstanden, wenn der Zinsaufwand nach der Fremdkapitalquote des Unternehmens den für Archivierungszwecke genutzten Gebäuden und Gebäudeteilen zugerechnet wird. Die hierbei getroffene Annahme einer kongruenten Finanzierung der Aktiva (sog. Gleichverteilungshypothese) entspricht gängiger betriebswirtschaftlicher Sicht.

Sofern der Fremdkapitalanteil des Finanzierungspools in den Jahren nach Erwerb oder Herstellung der für Archivierungszwecke genutzten Gebäude unter den zunächst gegebenen anzuerkennenden (Fremdkapital-)Anteil gesunken ist, sind auch die auf die Archivgebäude rechnerisch entfallenden Refinanzierungsschulden anteilig durch einen –gegenüber dem Vorjahr erhöhten – Einsatz von Eigenkapital getilgt worden. Bei Letzterem würde es selbst dann bleiben, wenn in den Folgejahren der Fremdfinanzierungsanteil des Pools wieder erhöht würde, da auch im Rahmen einer Gemeinkostenschlüsselung der einzelnen Leistungseinheit nur die tatsächlich entstandenen, nicht hingegen lediglich kalkulatorische Aufwendungen zugerechnet werden können; hiernach ist es ausgeschlossen, den Einsatz von Eigenmitteln nachträglich durch eine – nur noch kalkulatorische – Fremdfinanzierung zu ersetzen.

Darüber hinaus werden die auf die Archivräume entfallenden Zinsaufwendungen auch durch den (abschreibungsbedingten) Rückgang der Gebäudebuchwerte gemindert. Grund: Die den Aufbewahrungsräumen im Wege der Schlüsselung zugeordneten Kredite werden – selbst im Falle einer konstanten Fremdkapitalquote des Unternehmens – ausgerichtet an der Nutzungsdauer der betroffenen Gebäude zurückgeführt. Demzufolge sind die in den zukünftigen Rechnungsperioden auf die Archivräume entfallenden Zinsen nach den in diesen Folgejahren jeweils geminderten Buchwerten zu bestimmen; dieser degressive Zinsverlauf ist auch der Schätzung der rückstellungsfähigen Gemeinkosten zugrunde zu legen.

 

 

Praxishinweis:

Das Finanzamt erhob gegen die für die gemieteten und eigenen Archivräume angesetzten laufenden Jahreskosten (vor allem AfA, Miete einschließlich Mietnebenkosten, Grundsteuer, Versicherung, Instandhaltungskosten, sonstige Raumkosten) sowie die Aufwendungen der elektronischen Speicherung keine Einwendungen. Einvernehmen bestand auch darüber, dass 80% der Unterlagen für einen Zeitraum von zehn Jahren aufzubewahren seien und für die restlichen Unterlagen (20%) von einer Aufbewahrungsdauer von sechs Jahren auszugehen sei.

Nach diesem Schlüssel wurden die (jahresbezogenen) Kostenteile mit dem für die jeweils mittlere Aufbewahrungsfrist der am Bilanzstichtag vorhandenen Unterlagen anzusetzenden Faktor (5,5 und 3,5) multipliziert – zuzüglich einmaliger Kosten (z.B. für das Einlesen der Unterlagen).

 

[Anm. d. Red.]

 

 

BC 3/2013

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