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Fortschrittskoalition im justizpolitischen Leerlauf

Der EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht 2023 erinnert die Ampel-Koalition erneut an ihr Versprechen, den Rechtsstaat durch einen Bund-Länder-Pakt besser aufzustellen. Die Kommission vermisst Fortschritte bei Besoldung und Ausstattung der Justiz. Zudem rügt sie politische Durchgriffsrechte auf Strafverfahren. Von Sven Rebehn

 

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Der EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht 2023 erinnert die AmpelKoalition ein weiteres Mal an ihr Versprechen, den Rechtsstaat durch einen Bund-Länder-Pakt für die Justiz besser aufzustellen. Damit trifft die EU einen wunden Punkt der Bundesregierung, die zwar viel versprochen hat, um den Rechtsstaat zu stärken, nach fast zwei Jahren im Amt aber noch immer wenig getan hat. Immerhin soll eine Digitalisierungsinitiative mehr Tempo in die Modernisierung der Justiz bringen, um die Kommunikation mit den Gerichten einfacher und schneller zu machen. Der zudem versprochene Bund-Länder-Personalpakt mit einer Anschubfinanzierung des Bundes wäre aber mindestens ebenso notwendig, um die wachsenden Aufgaben insbesondere für die Strafjustiz und eine anrollende Pensionierungswelle personell abzufangen. Schließlich sind es in erster Linie immer neue, immer kleinteiligere Bundesgesetze, die die Justiz an und teilweise über ihre Belastungsgrenze bringen.

EU mahnt „angemessene Ressourcen“ für deutsche Justiz an 

Nach Angaben der Länder und der Justizverbände bestehe weiterhin ein erheblicher zusätzlicher Personalbedarf, auch aufgrund zusätzlicher Aufgaben, die sich aus dem Bundesrecht ergeben, stellt der EU-Rechtsstaatlichkeitsbericht dazu fest. Die Kommission nimmt Bezug auf die breit angelegte Allensbach-Umfrage in der Justiz für den Roland Rechtsreport 2023, nach der es 88 Prozent aller Richter und Staatsanwälte für sehr wichtig halten, dass die Bundesregierung den Pakt für den Rechtsstaat fortsetzt. Zudem hätten 78 Prozent der Richter und 92 Prozent der Staatsanwälte die verfügbaren personellen Ressourcen als unzureichend bewertet, zitiert der EU-Bericht. Gleichwohl hat die Politik „auf Bundesebene keine weiteren Schritte unternommen, um weiterhin angemessene Ressourcen für die Justiz bereitzustellen“, moniert die Kommission. Das gelte auch „in Bezug auf die Besoldung von Richterinnen und Richtern“. Die EU fordert Bund und Länder auf, ihre „Bemühungen zu intensivieren“. Dabei gelte es, „die europäischen Standards zu berücksichtigen“. Die Kommission teilt damit die Kritik des Deutschen Richterbunds an einer bundesweit zu geringen Besoldung von Richtern und Staatsanwälten. Die Bezahlung in Deutschland ist im Vergleich zum Durchschnittseinkommen der Bevölkerung eine der niedrigsten in Europa, wie aus einer Vergleichsstudie des Europarats in allen 46 Mitgliedstaaten hervorgeht. Seitdem die Bundesländer für die Besoldung zuständig sind, hat sich die Situation spürbar verschlechtert. Der öffentliche Dienst läuft der Einkommensentwicklung in anderen Bereichen weit hinterher, die Gehälter für Prädikatsjuristen in Unternehmen und Großkanzleien zum Beispiel sind inzwischen zwei bis drei Mal so hoch wie die Einkünfte in der Justiz. Deshalb hat das Bundesverfassungsgericht die Besoldung mehrfach als verfassungswidrig niedrig eingestuft. Anstatt die Entscheidungen aber als klaren Auftrag anzunehmen, versuchen viele Länder weiterhin, die Karlsruher Vorgaben möglichst schlank umzusetzen, was angesichts einer ab 2023 steil ansteigenden Pensionierungswelle und eines wachsenden Personalbedarfs in Teilen der Justiz keine kluge Politik ist. 

Justizstrukturen in Deutschland wetterfester machen

Während die erneuerte Brüsseler Kritik an der Besoldungshöhe vor allem eine Mahnung an die Bundesländer ist, nimmt die EU die Bundesregierung neben dem Rechtsstaatspakt noch in einem zweiten Punkt in die Pflicht: Brüssel vermisst nach wie vor Reformen der deutschen Justizstrukturen, die punktuell durchaus anfällig für politische Einflussnahmen sind. Hinsichtlich der von der Ampel angekündigten Reform des Rechts der Justizminister, Staatsanwälten in Einzelfällen Weisungen zu erteilen, seien bislang keine Maßnahmen eingeleitet worden, moniert die Kommission. Dabei liegt ein fertiger Vorschlag, wie sich die ministerielle Weisungsbefugnis gegenüber Staatsanwälten einschränken ließe, längst auf dem Tisch. Auf Druck aus Europa wollte die frühere Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) das Weisungsrecht im Einzelfall zumindest für europäische Aufgaben der Strafverfolger entfallen lassen, um einen Dauerkonflikt mit der EU wegen der fehlenden Unabhängigkeit deutscher Staatsanwälte zu vermeiden. Ausgangspunkt der Gesetzespläne war eine Schlappe Deutschlands vor dem EuGH. Die Richter urteilten 2019, dass deutsche Staatsanwälte wegen des Weisungsrechts der Justizminister nicht unabhängig seien und keine Europäischen Haftbefehle ausstellen dürften. Die Strafverfolger erfüllten nicht die Voraussetzungen für eine unabhängige Justizbehörde, so der EuGH.

Der Koalitionsvertrag der Ampel hat den Ball aufgenommen und verspricht, das Einzelfallweisungsrecht gegenüber den Staatsanwaltschaften zu überarbeiten. Geschehen ist seither nichts, obwohl es in der Vergangenheit allen voran die Partei des heutigen Bundesjustizministers Marco Buschmann (FDP) war, die das Weisungsrecht für konkrete Einzelfälle aus dem Gesetz streichen wollte. Jetzt, wo die Möglichkeit zur Umsetzung besteht, ist von den Liberalen aber nicht mehr viel zu hören. Sicher werden Gespräche mit den Landesjustizministern dazu kein Selbstläufer, Mehrheiten für eine Reform könnte die Ampel aber organisieren – wenn sie es denn will. Der von Kritikern einer Reform gerne vorgetragene Einwand, die Staatsanwaltschaft werde erst durch das Weisungsrecht des parlamentarisch verantwortlichen Justizministers hinreichend demokratisch legitimiert, ist nicht stichhaltig. Denn das allgemeine Weisungsrecht der Ministerien will niemand abschaffen. Es geht allein um den politischen Durchgriff auf konkrete Ermittlungsverfahren, der gesetzlich auszuschließen ist. Gerade in einer Zeit, in der rechtspopulistische Regierungen in Europa auf dem Vormarsch sind und ihren Zugriff auf die Justiz ausweiten wollen, sollte es in Deutschland  keine gesetzlichen Durchgriffsrechte der Politik auf konkrete Strafverfahren geben.

Zusammenfassend stellt die EU mit Blick auf das deutsche Justizsystem fest, „dass Deutschland bei der Umsetzung der Empfehlungen des Berichts über die Rechtsstaatlichkeit 2022 keine weiteren Fortschritte erzielt hat“. Für die Bundesregierung, die sich in Brüssel gerne als rechtsstaatlicher Musterschüler darstellt und 2021 mit hochfliegenden Plänen für den Rechtsstaat angetreten war, kann das zur Halbzeit ihrer Amtszeit kein zufriedenstellender Befund sein.

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Sven Rebehn ist Chefredakteur der Deutschen Richterzeitung.
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