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Kreative Scheinlösungen reichen nicht – Gesetzgeber unterlaufen Karlsruher Vorgaben

Das Bundesverfassungsgericht zeigt immer wieder strukturelle Besoldungsdefizite auf. Doch die Beseitigung ist kostspielig. Die kreativen Lösungen der Gesetzgeber wahren nur den Schein von Verfassungstreue. Das betrifft auch den Bund. Von Andreas Stadler

Der Dienstherr hat Beamte und Richter sowie ihre Familien lebenslang angemessen zu alimentieren. Er hat ihnen einen nach ihrem Dienstrang, nach der mit ihrem Amt verbundenen Verantwortung und dessen Bedeutung für die Allgemeinheit angemes­senen Lebensstandard zu gewähren. Dieser muss der Entwicklung der allgemeinen wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse und des allgemeinen Lebensstandards entsprechen. Das ist die Kurzfassung des Alimentationsprinzips, das als hergebrachter Grundsatz des Berufsbeamtentums nach Art. 33 Abs. 5 GG zu berücksichtigen ist. Diesem Grundsatz hat das Bundesverfassungsgericht 2020 auch entnommen, dass die niedrigste Netto-Besoldung eines verheirateten Alleinverdieners mit zwei Kindern um mindestens 15 Prozent höher liegen muss als das Grundsicherungsniveau einer vergleichbaren Bedarfsgemeinschaft.

Wie weit die Realität von der Einhaltung dieser Selbstverständlichkeit entfernt ist, davon haben die Mehrheit der Betroffenen, der Öffentlichkeit und der Abgeordneten keine zutreffende Vorstellung. Die zuständigen Ministerien vermeiden klare Aussagen, wie sehr die Besoldung hinter den Erfordernissen zurückbleibt. Das maßgebliche 95-Prozent-Perzentil vierköpfiger Familien erhält derzeit im Monat circa 1800 Euro Regelsatz, etwa 1900 Euro für Unterkunft und Heizung, etwa 200 Euro für Bildung und Teilhabe der Kinder sowie ungefähr 100 Euro an sonstigen Vergünstigungen, in Summe Leistungen in Höhe von etwa 4000 Euro. Daraus ergibt sich eine Netto-Mindestbesoldung (einschließlich Zuschlägen und nach Abzug der privaten Krankenversicherung) von 4600 Euro. Bei der bisherigen Höhe von Zuschlägen und Familienleistungen erreicht – in Bund und Ländern – in der Grundgehaltstabelle der Besoldungsordnung A mehr als ein Viertel der Felder nicht die nötige Höhe. Die niedrigste Besoldung bleibt häufig noch unter dem Grundsicherungsniveau.

Abhilfe allein durch eine Erhöhung der Grundgehaltssätze erreichen zu wollen, wäre teuer, weil diese um mehr als 25 Prozent steigen müssten. Die Länder und ihnen folgend nun auch der Bund wollen das Problem aber völlig ohne Anhebung der Grundgehaltssätze lösen. Weil das Bundesverfassungsgericht – aus Respekt vor dem Gesetzgeber – dessen Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der Familienleistungen, der Ortszuschläge und der Beihilfe erwähnt hat, wird vor allem auf diese zurückgegriffen, denn sie verringern den Kreis der Betroffenen, sind nur während der Bedarfslage zu gewähren und nicht ruhegehaltfähig. Insbesondere die Kinderzuschläge steigen in den Ländern oft auf ein Vielfaches ihrer gegenwärtigen Höhe, wobei die neuen Familienzuschläge anders als nach bisherigem Recht nicht von der Besoldungsgruppe unabhängig sind, sondern sich mit steigender Besoldungsgruppe verringern. In einigen Ländern und demnächst auch im Bund variieren Teile des Familienzuschlags zudem je nach wohngeld­rechtlicher Zuordnung des Wohnorts des Beamten.

Einige Länder und der Bund gehen noch einen Schritt weiter und stellen fest, dass auch im Beamtenbereich die Alleinverdienerfamilie mit zwei Kindern nicht mehr der gesellschaftlichen Realität entspreche, sondern die Doppelverdienerehe maßstabsbildend sei, weil der zweite Erwachsene mindestens einem Minijob nachgehe. Dieses fiktive Partnereinkommen wird dem Beamten bei der Prüfung des Mindestabstands der Besoldung von der Grundsicherung angerechnet; in einigen Ländern springt der Dienstherr ein, wenn der Beamte nachweist, dass kein oder ein geringeres Partnereinkommen erzielt wird. Von all diesen Regelungen behaupten ihre Autoren, dass sie verfassungsgemäß seien. Das ist jedoch sehr zweifelhaft.

Die Erhöhung der Familienzuschläge führt dazu, dass künftig bis zu einem Drittel der Besoldung aus familienbezogenen Leistungen besteht. Ein verheirateter Bundesbeamter mit zwei Kindern und in der Eingangsstufe der niedrigsten Besoldungsgruppe, die zum einfachen Dienst gehört und keine Laufbahnausbildung erfordert, wird so höher besoldet als ein lediger, kinderloser Beamter des gehobenen Dienstes nach einem dreijährigen Studium und zwei Beförderungen in der Eingangsstufe A 11. Haben Besoldungsbestandteile in diesem Umfang keinen Bezug mehr zum Amt, stellt es das Besoldungsgefüge gleichsam auf den Kopf, denn Beamte und Richter sind nicht nach ihren Familienverhältnissen oder ihrem Wohn- oder Dienstort zu alimentieren, sondern nach ihrem Amt und der mit ihm verbundenen Verantwortung.

Die erhöhten Familienzuschläge sind in jeder Hinsicht systemfremd. Sie sind im Kern eine sozialpolitische Leistung. Besoldung ist aber kein Almosen, sondern das Korrelat dafür, dass der Beamte und Richter seine ganze Arbeitskraft dem Dienstherrn zur Verfügung stellt. Der Maßstab der Familienzuschläge ist das Existenzminimum. Der Dienstherr hat aber nicht nur dieses, sondern den dem Amt angemessenen Lebensstandard zu gewährleisten. Vergleichbare Familienleistungen erbringt der Dienstherr weder gegenüber Tarifbeschäftigten noch der übrigen Bevölkerung. Auch deshalb ist die „Vergoldung von Beamtenkindern“ nicht zu rechtfertigen. In der Besoldung kann auch kein tatsächliches oder fiktives Partnereinkommen angerechnet werden. Der Dienstherr selbst hat den amtsangemessenen Lebensstandard zu gewährleisten. Der Erfüllung dieser Pflicht kann er sich nicht entledigen, indem er den Beamten auf Unterhaltsansprüche gegen Dritte verweist.

Es ist an der Zeit, mit dem Bundesverfassungsgericht zu erkennen, dass die Beamten- und Richterbesoldung signifikant zu erhöhen ist. 2023 betrug der durchschnittliche Bruttoverdienst Vollbeschäftigter 4900 Euro im Monat. Je höher die Laufbahngruppe, desto mehr hinkt die Beamtenbesoldung den Verdiensten vergleichbarer Beschäftigter in der Gesamtwirtschaft hinterher. In der Richterbesoldung tritt das Defizit noch deutlicher zutage. Die Besoldung eines Bundesrichters beträgt das Doppelte des Durchschnittseinkommens in der Bevölkerung – ein Wert, den die EU für Berufsanfänger im Richteramt empfiehlt. Das lässt sich auf Dauer nicht mehr allein mit dem Verweis auf die günstige Versorgung im Ruhestand rechtfertigen. Die Herstellung des Mindestabstands der Besoldung von der Grundsicherung wird nicht allein durch die Erhöhung der Grundgehälter möglich sein, aber keinesfalls ohne sie.

Der Deutsche Richterbund hat die aktuelle Schieflage der Besoldungspolitik gegenüber dem Bundesverfassungsgericht und im Gesetzgebungsverfahren ausführlich dargelegt. Daran hält er fest, bis das Besoldungsrecht nicht mehr nur zum Schein verfassungsgemäß ist.

Dr. Andreas Stadler, LL.M. (Iowa) ist Vorsitzender Richter am Landgericht und im Präsidium des Deutschen Richterbundes unter anderem für Besoldungsrecht zuständig.
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