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Aufkündigung des beamtenrechtlichen Dienst- und Treueverhältnisses?

Entgegen den wiederholten eindeutigen Interventionen des Bundesverfassungsgerichts halten Bund und Länder an der rein fiskalischen Ausrichtung ihrer Besoldungspolitik fest. Die fortgesetzte Missachtung des Bundesverfassungsgerichts geht dabei in ihren Implikationen weit über den eigentlichen Regelungsbereich hinaus.

I. Verfassungsrechtliche Vorgaben

Mit der Föderalismusreform im Jahr 2006 wurde den Ländern die Gesetzgebungskompetenz für die Besoldung ihrer Beamten, Richter und Staatsanwälte übertragen. Seither haben die Länder die Besoldung als Einsparpotenzial zur Sanierung ihrer Haushalte behandelt – mit der Folge einer zunehmenden Abkopplung der Besoldung von der allgemeinen wirtschaftlichen Entwicklung. Zugleich herrscht in vielen Bereichen des Öffentlichen Dienstes inzwischen ein akuter Personalmangel.

Hatte das Bundesverfassungsgericht dem Besoldungsgesetzgeber ursprünglich noch einen sehr weiten, gerichtlich nur eingeschränkt kontrollierbaren Einschätzungs- und Entscheidungsspielraum zugebilligt, gab es in Reaktion auf diese Entwicklung im Jahr 2012 seine Zurückhaltung auf und etablierte erstmals eine effektive gerichtliche Kontrolle der Besoldungsgesetzgebung, indem es aus dem Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG zahlreiche Parameter ableitete, anhand derer die Amtsangemessenheit der Besoldung konkret zu überprüfen ist.[1]

Die Länder haben diesen Rechtsprechungswandel zunächst noch mit ungläubigem Staunen zur Kenntnis genommen, um sodann wieder zur fiskalpolitischen Tagesordnung überzugehen.[2] Daraufhin entwickelte das Bundesverfassungsgericht mit zwei Entscheidungen aus dem Jahr 2015 zur R-Besoldung und zur A-Besoldung erstmals detaillierte Rechenvorschriften für die Bemessung der Besoldung.[3]

Unter dem Eindruck dieser Fortentwicklung der besoldungsrechtlichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts haben die Besoldungsgesetzgeber gezwungenermaßen begonnen, sich an den aufgestellten Prüfkriterien abzuarbeiten, ohne dabei jedoch tatsächlich von ihrem fiskalpolitischen Kurs abzurücken.

In einer weiteren Reaktion auf die fortgesetzte Verweigerungshaltung der Länder hat das Bundesverfassungsgericht zuletzt in zwei Entscheidungen vom 4. Mai 2020 die gerichtliche Kontroll-dichte nochmals vertieft.[4] Danach verlangt das Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG, dass die Besoldung für die Beamten und ihre Familien in der untersten Besoldungsgruppe mindestens 15 Prozent über dem realitätsgerecht erfassten Grundsicherungsbedarf zu bemessen ist – mit weitreichenden Folgen für das gesamte Besoldungsgefüge. Da die Besoldungshöhe die abgestufte Wertigkeit der verliehenen Ämter betragsmäßig umsetzt, können untere Besoldungsgruppen nicht angehoben werden, ohne zugleich alle darüber liegenden ebenfalls anzuheben. Andernfalls ist das besoldungsinterne Abstandsgebot verletzt. Damit hat das Bundesverfassungsgericht erstmals nicht nur eine effektive Untergrenze für eine amtsangemessene Besoldung gezogen, sondern zugleich das Besoldungsgefüge insgesamt dem alimentationsrechtlichen Schutz unterstellt.[5]

Ausgangspunkt dieses Rechtsprechungswandels ist die Prämisse, dass der Gesetzgeber im Rahmen seiner Verpflichtung zu einer dem Amt angemessenen Alimentation auch die Attraktivität der Dienstverhältnisse von Beamten, Richtern und Staatsanwälten für überdurchschnittlich qualifizierte Kräfte, das Ansehen des Amtes in den Augen der Gesellschaft sowie die vom Amtsinhaber geforderte Ausbildung und seine Beanspruchung zu berücksichtigen hat.[6]

Dabei stellt die Besoldung in diesem Zusammenhang kein Entgelt für bestimmte Dienstleistungen dar. Sie ist vielmehr ein „Korrelat“ des Dienstherrn für die mit der Berufung in das Richter- und Beamtenverhältnis verbundene Pflicht, unter Einsatz der ganzen Persönlichkeit – grundsätzlich auf Lebenszeit – die volle Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen und gemäß den jeweiligen Anforderungen die Dienstpflichten nach Kräften zu erfüllen. Die Gewährleistung einer rechtlich und wirtschaftlich gesicherten Position, zu der die individuelle Garantie einer amtsangemessenen Besoldung und Versorgung durch das Alimentationsprinzip und die Möglichkeit ihrer gerichtlichen Durchsetzung wesentlich beitragen, bildet die Voraussetzung und innere Rechtfertigung für die lebenslange Treuepflicht sowie das Streikverbot; diese Strukturprinzipien sind untrennbar miteinander verbunden.[7]

Darüber hinaus besteht die Verpflichtung des Dienstherrn zu einer amtsangemessenen Alimentation des sich mit seiner ganzen Arbeitskraft seinem Amt widmenden Richters und Beamten nicht allein in dessen persönlichem Interesse, sondern dient zugleich dem Allgemeininteresse an einer fachlich leistungsfähigen, rechtsstaatlichen und unparteiischen Rechtspflege und öffentlichen Verwaltung, hat also auch eine qualitätssichernde Funktion.[8]

Um sicherzustellen, dass diese grundsätzlichen Erwägungen im Gesetzgebungsverfahren Berücksichtigung finden, hat das Bundesverfassungsgericht dem Besoldungsgesetzgeber prozedurale Pflichten auferlegt. Diese treten als „zweite Säule“ des Alimentationsprinzips neben seine auf eine Evidenzkontrolle beschränkte materielle Dimension und dienen seiner Flankierung, Absicherung und Verstärkung. Danach ist der Gesetzgeber gehalten, bereits im Gesetzgebungsverfahren die Fortschreibung der Besoldungshöhe zu begründen. Die Ermittlung und Abwägung der berücksichtigten und berücksichtigungsfähigen Bestimmungsfaktoren für den verfassungsrechtlich gebotenen Umfang der Anpassung der Besoldung müssen sich in einer entsprechenden Darlegung und Begründung des Gesetzgebers im Gesetzgebungsverfahren niederschlagen. Eine bloße Begründbarkeit genügt nicht den verfassungsrechtlichen Anforderungen der Prozeduralisierung. Der mit der Ausgleichsfunktion der Prozeduralisierung angestrebte Rationalisierungsgewinn kann – auch mit Blick auf die Ermöglichung von Rechtsschutz – effektiv nur erreicht werden, wenn die erforderlichen Sachverhaltsermittlungen vorab erfolgen und dann in der Gesetzesbegründung dokumentiert werden. Die Prozeduralisierung zielt auf die Herstellung von Entscheidungen und nicht auf ihre Darstellung, das heißt nachträgliche Begründung.[9] Die Verletzung des Prozeduralisierungsgebotes kann bereits für sich genommen die Verfassungswidrigkeit des Besoldungsgesetzes begründen, ohne dass es auf dessen Inhalt ankommt.

Nicht zuletzt aufgrund der Bindungswirkung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (§ 31 BVerfGG) sind die Besoldungsgesetzgeber nunmehr zu einer grundlegenden Überarbeitung und Anpassung der Besoldung gezwungen. Gleichwohl zeichnet sich bislang noch immer kein entsprechendes Umsteuern in der Gesetzgebung ab. Vielmehr nehmen die Länder im Gegenteil ihren gesetzlichen Gestaltungsauftrag weiterhin allein unter fiskalpolitischen Gesichtspunkten wahr.[10] Korrespondierend damit sind zahlreiche unlängst erlassene Besoldungsgesetze bereits Gegenstand von Vorlagebeschlüssen zum Bundesverfassungsgericht.[11]

II. Die aktuelle Besoldungsgesetzgebung

Bund und Länder stehen vor der Herausforderung, die sich aus der aufgezeigten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergebenden Vorgaben umzusetzen. Nachfolgend wird eine beispielhafte Übersicht über die Maßnahmen in den teilweise bereits in Kraft getretenen und teilweise noch im Verfahren befindlichen Gesetzgebungen im Bund und den Ländern gegeben, um die grundsätzlichen Ansätze aufzuzeigen und einzuordnen.

  1. Die für die Besoldung im Bund fachlich zuständige Bundesinnenministerin hat Anfang des letzten Jahres versichert: „Wir werden für Besoldungs- und Versorgungsempfängerinnen und -empfänger eine zielorientierte und sachgerechte Lösung finden und sicherstellen, dass der Bund auch künftig verfassungsgemäß alimentiert. Wenn das zusätzliches Geld kostet, dann muss es uns dies wert sein.“ An selber Stelle warnte der Bundesfinanzminister unter Verweis auf die Schuldenbremse, dass am Ende nur das an Wohlstand verteilt werden könne, was zuvor erwirtschaftet worden ist.[12] 2022 führte das Bundesinnenministerium nunmehr deutlich zurückhaltender aus: „Die erforderliche Anpassung der Bundesbesoldung an die Beschlüsse des BVerfG vom 4. Mai 2020 ist eine Herausforderung, der wir uns stellen. Allerdings gilt gerade hier: Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in den vergangenen Jahren in verschiedenen Entscheidungen eingehend mit der Frage der Amtsangemessenheit der Alimentation befasst. Es geht also nicht nur um die Umsetzung der Beschlüsse vom 4. Mai 2020, sondern um ein in sich stimmiges Gesamtkonzept. Ein solches Konzept wirft eine Reihe dienstrechtspolitischer wie verfassungsrechtlicher Fragen auf, die zunächst abschließend zu klären sind. Daneben sind natürlich immer auch haushälterische Gesichtspunkte mit in den Blick zu nehmen.“[13] Zwischenzeitlich erfolgte mit dem Gesetz zur Anpassung der Bundesbesoldung und -versorgung für 2021/2022 vom Juni 2021 lediglich die Anpassung der Besoldung an die Löhne der Tarifbeschäftigten im Öffentlichen Dienst. Während in der Gesetzesbegründung einerseits behauptet wird, die Besoldung des Bundes erweise sich danach als mit Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar und damit verfassungsgemäß, wird im Anschluss daran unter dem Punkt “Mindestabstand zur sozialhilferechtlichen Grundsicherung“ eingeräumt, dass der Vorschlag des Bundesinnenministeriums in Umsetzung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts einen regionalen Ergänzungszuschlag als eigenständigen Besoldungsbestandteil zur Gewährleistung der amtsangemessenen Alimentation der Bundesbesoldung einzuführen, nicht zu finalisieren gewesen sei. Daher bleibe die bundesbesoldungsgesetzliche Umsetzung der vorgenannten Beschlüsse des Bundesverfassungsgerichts den parlamentarischen Beratungen des Gesetzentwurfs beziehungsweise einer eigenständigen Gesetzesinitiative der Bundesregierung vorbehalten.[14] Anfang dieses Jahres erklärte die Ministerin, für eine verfassungskonforme Besoldung und Versorgung beim Bund wolle sie außerdem darauf drängen, dass ein entsprechendes Gesetz „sehr bald“ kommt.[15] Einstweilen bleibt es also auf Bundesebene bei einer Besoldung, die in weiten Teilen nicht mit dem Alimentationsprinzip aus Art. 33 Abs. 5 GG vereinbar ist.[16] Ob der Bund damit seiner Leitfunktion gegenüber den Ländern gerecht wird, sei dahingestellt.[17] 
  2. Auch die Gesetzesvorhaben der Länder sind weiterhin darauf ausgerichtet, bei der Besoldung der Richter, Staatsanwälte und Beamten die fiskalischen Folgen der „Umsetzung“ der jüngsten Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts so gering wie möglich zu halten. Für die konkrete Ausgestaltung dieser Umsetzung werden verschiedene Ansätze gewählt, regelmäßig auch kombiniert.
  3. Bereits in der Vergangenheit zu beobachtende Maßnahmen sind die Streichung der untersten Besoldungsgruppen und die Überführung der hiervon betroffenen Beamten in die nächsthöhere Besoldungsgruppe (beispielsweise Baden-Württemberg, Bremen und Sachsen) sowie entsprechend die Streichung der unteren Erfahrungsstufen innerhalb einer Besoldungsgruppe (Nordrhein-Westfalen, Thüringen sowie Hessen). Auf diese Weise soll der gebotene Mindestabstand zur Grundsicherung hergestellt werden. Entsprechend liegen diesen Maßnahmen jeweils umfangreiche Berechnungen im Abgleich mit der Grundsicherung zugrunde, um den gebotenen Mindestabstand von 15 Prozent – mitunter bis auf die Komma-stelle – zu belegen. Bei näherer Betrachtung erweisen sich diese Berechnungen jedoch regelmäßig als unzureichend und lückenhaft. Zudem wird dabei übergangen, dass sich der absolute Mindestabstand zur Grundsicherung in den untersten Besoldungsgruppen über das besoldungsinterne Abstandsgebot zwischen den Besoldungsgruppen auf das Besoldungsgefüge insgesamt auswirkt. Je deutlicher der Verstoß ausfällt und je mehr Besoldungsgruppen hinter dem Mindestabstandsgebot zurückbleiben, desto eher ist damit zu rechnen, dass es zu einer spürbaren Anhebung des gesamten Besoldungsniveaus kommen muss, um die gebotenen Abstände zwischen den Besoldungsgruppen wahren zu können.[18] Demgemäß ist es dem Gesetzgeber verwehrt, ohne sachliche Grundlage Besoldungsgruppen oder Erfahrungsstufen zu streichen und die betroffenen Beamten in die nächsthöhere Gruppe oder Stufe überzuleiten. Die in den jeweiligen Gesetzesbegründungen allgemein angeführte Behauptung veränderter Anforderungen an die jeweils betroffene Gruppe, die deren Aufwertung gebiete, vermögen dies jedenfalls nicht zu rechtfertigen. Angesichts des Vorgehens und der jeweils zugrunde gelegten Berechnungen wird vielmehr deutlich, dass für diese Maßnahmen keine sachlichen Gründe vorliegen, sondern diese allein die Herstellung des absoluten Mindestabstands zum Grundsicherungsniveau bezwecken.
  4. Durchweg in mehr oder weniger allen Gesetzesvorhaben findet sich eine Anhebung von Familienzuschlägen, teilweise auch regional ausdifferenziert. Damit soll insbesondere der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu kinderreichen Beamten Rechnung getragen werden. Auch bei dieser Maßnahme geht es darum, die rechnerischen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einzuhalten und dabei zugleich die fiskalischen Auswirkungen so weit wie möglich zu begrenzen.[19][20] Angesichts der bestehenden Besoldungsdefizite droht mit einer schwerpunktmäßigen Kompensation über Familienzuschläge jedoch die Einführung einer Art Parallelbesoldung, von der nur die Richter, Staatsanwälte und Beamten mit Kindern profitieren. Im Hinblick auf das Leistungsprinzip und den allgemeinen Gleichheitssatz wird sich das jedenfalls in den geplanten Ausmaßen nicht rechtfertigen lassen. Wie das Bundesverfassungsgericht angemerkt hat, ist dieser Ansatz bis zu einem gewissen Umfang durchaus zulässig.
  5. Ein neuerer Ansatz ist die Abkehr vom bislang geltenden Modell der vierköpfigen Alleinverdienerfamilie (Bayern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz). Danach soll bei der Bemessung der amtsangemessenen Besoldung das Familieneinkommen insgesamt berücksichtigt werden. Hierfür wird ein fiktives Einkommen des anderen Teils der Ehe- oder Lebenspartnerschaft angerechnet, mit der Folge, dass eine niedriger bemessene Besoldung noch ausreichen soll. Wenngleich das Bundesverfassungsgericht feststellt, dass die vierköpfige Alleinverdienerfamilie nicht Leitbild der Beamtenbesoldung sei und der Besoldungsgesetzgeber auch hinsichtlich der Strukturierung der Besoldung über einen breiten Gestaltungsspielraum verfüge, dürfte sich diese aus der bisherigen Besoldungspraxis abgeleitete Bezugsgröße[21] nicht ohne Weiteres umstellen lassen. Es erscheint kaum vorstellbar, dass ein solch anspruchsvolles Vorhaben im Alleingang einzelner Länder umsetzbar ist. Vielmehr bedürfte es hierfür einer umfassenden Abstimmung mit dem Bund und den übrigen Ländern, um auf dieser neuen Grundlage ein insgesamt stimmiges Konzept zur Gewährleistung einer amtsangemessenen Besoldung zu entwickeln. Zum einen ist auch insoweit das besoldungsinterne Abstandsgebot zu beachten. Ein Wechsel in der Bezugsgröße birgt die Gefahr einer Unwucht zwischen den unteren Besoldungsgruppen im Verhältnis zu den höheren Besoldungsgruppen sowie zu den Tarifbeschäftigten.[22] Insbesondere dürfte diese Maßnahme zu einer übermäßigen Belastung der privaten Haushalte von Beamten vor allem in den unteren und mittleren Besoldungsgruppen führen, was nicht zuletzt in Zeiten erheblicher Kostensteigerungen kaum vertretbar sein dürfte. Nicht zu unterschätzen sein dürfte schließlich auch der symbolische Gehalt eines solchen Wechsels. Letztlich würden die Richter, Staatsanwälte und Beamten mit ihren Familien dadurch ähnlich einer sozialrechtlichen Bedarfsgemeinschaft behandelt.[23] 
  6. Den bereits dargestellten prozeduralen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wird im Übrigen keines der aktuellen Gesetzgebungsvorhaben gerecht. Wie aufgezeigt, sind die vorgenannten Maßnahmen durchgehend fiskalpolitisch motiviert, womit es bereits an einer sachgerechten Begründung fehlt. Zudem liegen diesen Maßnahmen regelmäßig unzureichende oder fehlerhafte Berechnungen des Grundsicherungsbedarfs zugrunde. Da es die Gesetzgeber nicht auf eine sachgerechte Lösung anlegen, ist damit zugleich auch die Einhaltung der geforderten Prozeduralisierung von vorn-herein ausgeschlossen.

III. Fazit

Den vorgenannten Maßnahmen liegt weiterhin eine Verkennung beziehungsweise eine Missachtung der aufgezeigten Zielsetzung des Bundesverfassungsgerichts zugrunde. Entgegen der landläufigen Behauptung besteht offenkundig weder im Bund noch in den Ländern die Absicht, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts tatsächlich umzusetzen. Dies zeigt sich daran, dass das Vorgehen in der Besoldungsgesetzgebung ungeachtet des nunmehr vor zehn Jahren eingeleiteten Rechtsprechungswandels nach wie vor rein fiskalpolitisch ausgerichtet ist. Dabei ist es durchaus bemerkenswert, dass diese Art der Besoldungsgesetzgebung regelmäßig breite parteiübergreifende Zustimmung in den Parlamenten findet.[24]

Nicht nur hinsichtlich der Zielsetzung, sondern auch in Bezug auf die methodische Einordnung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts scheint bei den Besoldungsgesetzgebern ein grundsätzliches Missverständnis zu bestehen. Es ist zwingend zu differenzieren zwischen dem verfassungsrechtlichen Gestaltungsauftrag aus Art. 33 Abs. 5 GG einerseits und dem Umfang einer gerichtlichen Kontrolle der Besoldungsgesetzgebung andererseits. Die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellten Parameter dienen der gerichtlichen Überprüfung der Besoldungsgesetzgebung auf eine evidente Sachwidrigkeit. Diese Parameter sind von den Gesetzgebern zwar – als absolutes Mindestprogramm – zu berücksichtigen, das bloße Abarbeiten der aus diesen Parametern folgenden rechnerischen Vorgaben ist jedoch nicht geeignet, dem gesetzgeberischen Gestaltungsauftrag zur Schaffung einer sachgerechten Bestimmung der Besoldung gerecht zu werden.[25]

Insofern ist wohl zu konstatieren, dass das Bundesverfassungsgericht mit den konkreten rechnerischen Vorgaben für die Überprüfung der Besoldungsgesetzgebung einstweilen das Gegenteil von dem erreicht hat, was es damit eigentlich bezweckt. Infolge der Verweigerungshaltung der Besoldungsgesetzgeber ist deren Gesetzgebung inzwischen zu einem arithmetischen Hindernislauf verkommen, bei dem auch eingepreist sein dürfte, dass jede Verzögerung weiteres Einsparpotential bedeutet.

Aus Sicht der Dienstherren ist auch nicht die seit über einem Jahrzehnt eklatant zu niedrige Besoldung das Problem, sondern die „verschärfte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts“, die immer neue Kriterien aufstelle und zuletzt den Prüfrahmen hinsichtlich des Mindestabstandes zur Grundsicherung und der Befriedigung der finanziellen Mehrbedarfe kinderreicher Familien „völlig neu abgesteckt und deutlich verschärft habe“.[26] Nach dieser Argumentation haben nicht die Besoldungsgesetzgeber die wiederholt festgestellte Verfassungswidrigkeit der von ihnen gewährten Besoldung zu verantworten, sondern das Bundesverfassungsgericht, das keine Rücksicht auf die haushaltspolitischen Nöte nimmt. Auch hierin liegt eine grundlegende Verkennung der Verhältnisse. Bund und Länder haben in den letzten 15 Jahren massiv Personalkosten eingespart und den Richtern, Staatsanwälten und Beamten damit ein verfassungswidriges Sonderopfer zur Sanierung der öffentlichen Haushalte abverlangt. Dass angesichts des Ausmaßes dieser Einsparungen nunmehr die Wiederherstellung einer amtsangemessenen Alimentation mit erheblichen Kosten verbunden ist, dürfte niemanden überraschen. Die Verantwortung sowohl für die Entstehung als auch für die Lösung dieses Problems liegt allein bei den Dienstherren.

Letztlich ist festzuhalten, dass Bund und Länder bei Ihren Versuchen, das Bundesverfassungsgericht arithmetisch auszukontern, um die fiskalischen Konsequenzen so gering wie möglich zu halten, längst aus den Augen verloren haben, wem eigentlich ihr verfassungsrechtlicher Gestaltungsauftrag gilt. Angesichts dieser offenen Missachtung bleibt den Beamten, Richtern und Staatsanwälten nur, gegen die jeweilige Besoldungsfestlegung Rechtsmittel einzulegen. Dass die Auswirkungen dieser Politik verheerend sind für die innere Einstellung gegenüber dem Dienstherrn und der eigenen Aufgabe sowie für die allgemeine Motivation, liegt auf der Hand. Dies, zumal unter anderem auch in der Justiz die Belastungen erheblich gestiegen sind, während infolge der jahrzehntelangen Sparpolitik inzwischen allenthalben ein akuter Personalmangel herrscht. Im Ergebnis stellt diese Art der „Personalpolitik“ eine Aufkündigung des besonderen Dienst- und Treueverhältnisses durch den Dienstherrn dar.

Folgerichtig hat das Bundesverfassungsgericht mit dem von ihm gezwungenermaßen eingeleiteten Rechtsprechungswandel nunmehr zum wiederholten Male unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass eine funktionierende Demokratie es sich nicht leisten kann, die Alimentation ihrer Staatsdiener allein als Einsparpotential zu begreifen. Mögen die – vermeintlichen oder tatsächlichen – Sparzwänge auch hoch sein, die Kosten einer rein fiskalisch ausgerichteten Besoldungspolitik werden für das Gemeinwesen auf Dauer ungleich höher sein.

Die erfolgversprechende Alternative zur kurzatmigen Strategie, die Konsequenzen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu hintertreiben: Die Dienstherren gingen endlich die überfällige Aufgabenkritik als Einstieg in eine umfassende Verwaltungsreform an. Die Auswirkungen des demografischen Wandels auf den Arbeitsmarkt zwingen ohnehin dazu. Viele Verwaltungsaufgaben lassen sich standardisieren und damit digitalisieren. Dadurch würden viele Dienstposten entbehrlich werden. Zugleich müsste hierfür allerdings auch qualifizierteres Personal gewonnen werden, das angemessen zu vergüten wäre.


[1]  BVerfG, Urteil vom 14.02.2012, DRiZ 2012, 133.

[2]  Vgl. Färber/Rodermond, ZBR 2021, 181; Schwan, S. 55 – Besoldungsrechtliche Entwicklungen in Bund und Ländern nach der bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidung 2 BvL 4/18 und vor den konkreten Normenkontrollverfahren 2 BvL 5/18 bis 2 BvL 9/18, abrufbar unter: https://www.berliner-besoldung.de/wp-content/uploads/2022/02/Besoldungsrechtliche-Entwicklungen-in-Bund-und-Laendern-Februar-2022.pdf.

 [3]  BVerfG, Urteil vom 05.05.2015 - 2 BvL 17/09 u.a. – BVerfGE 139, 64 („R-Besoldung“); Beschluss vom 17.11.2015 – 2 BvL 19/09 – BVerfGE 140, 240 („A-Besoldung“); Stuttmann stellte hierzu seinerzeit pointiert fest, dass die Länder mit ihrer Besoldungsgesetzgebung das Bundesverfassungsgericht in eine Art verfassungsrechtliche Notwehrlage gebracht hätten, vgl. NVwZ 2015, 1007.

 [4]  BVerfG, Beschlüsse vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 – „Richterbesoldung“ und – 2 BvL 6/17 u.a. – „Kinderreicher Beamter“.

 [5]  Vgl. Stuttmann, NVwZ-Beilage 2020, 83 (83), der von einer „Besoldungsrevolution“ spricht, obgleich er vor dieser Konsequenz bereits 2015 gewarnt hatte, vgl. ders. NVwZ 2015, 1007 (1011) sowie ferner ders., NVwZ 2018, 552; ders. NVwZ 2016, 184. Vgl. ferner: W. Meier, Die Anpassung der Bundesbesoldung und -versorgung 2021/2022 sowie Änderungen weiterer dienstrechtlicher Vorschriften, ZBR 2022, 297 (299 ff. zur Vereinbarkeit mit Art. 33 Abs. 5 GG mit der Argumentation des Bundes); S. Leppek, Status des Einzelnen im Beamtenrecht, HdVerwR IV, 2022, § 106 Rn. 44; M. Heintzen, Amtsprinzip, in: Kahl/Ludwigs (Hrsg.), HdVerwR III, 2022, § 89 Rn. 48; T.I. Schmidt, Recht des öffentlichen Dienstes in Deutschland, in: Kahl/Ludwigs (Hrsg.), HdVerwR III, 2022, § 90, der von Art. 33 Abs. 5 GG als eine Art „Magna Charta des Berufsbeamtentums“ spricht; Färber/Rodermond, ZBR 2021, 181; Böhm, ZBR 2018, 222; Schübel-Pfister, NJW 2015, 1920: „BVerfG macht das Alimentationsprinzip bissfest“; Voßkuhle resümiert, das Bundesverfassungsgericht habe dem Alimentationsprinzip „Zähne eingezogen“, Voßkuhle/Kaiser in: Voßkuhle/Eifert/Möllers (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 3. Aufl. 2022 § 43 Personal, Rn. 118a.

 [6]  BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 – „R-Besoldung“, Rn. 25 m.w.N.

 [7]  BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 - 2 BvL 6/17 u.a. – „Kinderreicher Beamter“, Rn. 27 m.w.N.

 [8]  BVerfG, a.a.O., Rn. 28 m.w.N.; Zur Zielsetzung dieser Rechtsprechung: Voßkuhle/Kaiser in: Voßkuhle/Eifert/Möllers (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band II, 3. Aufl. 2022 § 43 Personal, Rn. 118d; vgl. ferner P.M. Huber, in: Kahl/Ludwigs (Hrsg.), Handbuch VerwR III, § 54 Rn. 39; HA Wolff,in Stern/ Sodan/Möstl, Das Staatsrecht der BRD im Europäischen Staatenverbund II , 2022,& 47 Rn 63 ff – „drei Paukenschläge“.

 [9]  BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 – „R-Besoldung“, Rn. 96 f. m.w.N.

 [10] Vgl. hierzu die ausführliche Darstellung bei Schwan, DÖV 2022, 198.

 [11] Vgl. Vorlagenbeschlüsse BVerwG (Niedersachen), OVG Berlin-Brandenburg, OVG Schleswig-Holstein, VGH Kassel, OVG Saarlouis, VG Halle, VG Bremen, VG Hamburg – Nachweise im Einzelnen bei Schwan, S. 7 (Fn. 2).

 [12] dbb magazin Jan/Feb 2022, S. 12.

 [13] dbb magazin Dez 2022, S. 9.

 [14] BT-Drs. 19/28677 vom 19.04.2021, S. 40.

 [15] https://www.dbb.de/artikel/faeser-wir-haben-eine-starken-und-handlungsfaehigen-staat.html.

 [16] Vgl. hierzu: Schwan, S. 25 f. (Fn. 2).

 [17] Hessen scheint hieran bereits anzuknüpfen, wenn dort die Erreichung des Mindestabstandsgebots zur Grundsicherung in eine Gesamtabwägung gestellt wird mit „unvorhersehbaren gleichrangigen und vergleichbaren haushaltsaufwändigen Aufgaben“ – Klima- und Umweltschutz, Folgen der Pandemie und des Ukraine-Krieges, Energieversorgung sowie die steigende Inflation, vgl. Hess. LT Drs. 20/9499, S. 2 f; HA Wolff aaO Rn 70 sieht die Gesetzgeber in einer Sackgasse.

 [18] BVerfG, Beschluss vom 04.05.2020 – 2 BvL 4/18 –, Rn.  49.

 [19] BVerfG, Beschluss vom 04.05.2020 – 2 BvL 4/18 –, Rn.  47.

 [20] Vgl. Schwan, S. 38 (Fn. 2).

 [21] BVerfG, Beschluss vom 04.05.2020 – 2 BvL 4/18 –, Rn. 47.

 [22] Vgl. Klöckner, RiA 2021, 141.

 [23] Vgl. Schwan, S. 48 f. (Fn. 2).

 [24] S. hierzu Schwan, S. 27 f. (Fn 2).

 [25] Vgl. BVerfG, Beschluss vom 4. Mai 2020 – 2 BvL 4/18 – „R-Besoldung“, Rn. 30.

 [26] Vgl. Hess LT, Drs. 20/9499, S. 1 f.

Prof. Dr. Dr. h.c. Ulrich Battis ist Emeritus der Juristischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin, Rechtsanwalt und Of Counsel. René Bahns ist Rechtsanwalt in Frankfurt/Main.
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